links rechts geradeaus – Hauptsache gegen Israel

Ein grünes, gehörntes Wesen mit roten Warzen, spitzen, abstehenden Ohren, Stoßzähnen und unterschiedlich großen Augen sitzt aufrecht im Bett – ein Monster. Wartend, eine Gabel in der linken und ein großes Messer in der rechten Hand, beäugt das Monster ein Zimmermädchen, das im Vordergrund, aber nur von hinten zu sehen ist. In ihren Händen trägt die Dame ein gefülltes Frühstückstablett, das sie dem Monster servieren wird.

Israel als gefräßiger Moloch

Die Bildunterschrift verrät, wer dargestellt wird: „Deutschland serviert. Seit Jahrzehnten wird Israel, teils umsonst, mit Waffen versorgt. Israels Feinde halten das Land für einen gefräßigen Moloch.“ Wir haben also Germania als Zimmermädchen und den Judenstaat als gefräßigen Dämon.

Die beschriebene Karikatur wurde auf Seite 15 (Das Politische Buch) der Süddeutschen Zeitung vom 2. Juli 2013 abgedruckt, um eine Buchbesprechung zu bebildern.  Diese Darstellung Israels ist auf massive Kritik gestoßen, weil sie an antisemitische Karikaturen des Stürmers und anderer nationalsozialistischer Propagandablätter erinnerte. Die Süddeutsche Zeitung sah sich zu einer Stellungnahme gezwungen und entschuldigte sich.

Aber wie kommt es überhaupt zu einer solchen Dämonisierung Israels, die nicht die erste, aber sicher eine der drastischsten der Süddeutschen Zeitung ist? Ist sie vielleicht sogar berechtigt? Schließlich ist Israel ein Land, in dem die Trennung von Religion und Staat zu wünschen übrig lässt, gleichgeschlechtliche Ehen nicht möglich sind und die Einkommensungleichheit mit einem Gini-Koeffizienten von etwa 39 Prozent verhältnismäßig hoch ist. Nationalistische und religiöse Kräfte, die ihre Agitation mit göttlichem Auftrag  rechtfertigen, nehmen immer wieder Einfluss auf die israelische Politik. Ovadja Josef, geistiger Führer der israelischen Schas-Bewegung, deren Partei bereits an verschiedenen Regierungskoalitionen beteiligt war, erklärte 2010, alle Nichtjuden seien nur auf der Welt, um den Juden zu dienen. Naftali Bennnett und seine Partei „Jüdisches Heim“, aktuell in der Regierungskoalition, lehnen gleichgeschlechtliche Ehen strikt ab, wollen orthodoxe Stiftungen fördern. Gründe genug, das politische System Israels in den Fokus linker, liberaler, demokratischer, säkularer oder eben linksliberaler Kritik zu stellen. Diese Kritik ist angebracht und vielleicht sogar notwendig.

Die Israelkritik ist ein Meister aus Deutschland

Für gewöhnlich wird Israel aber wegen seines Verhaltens im Nahostkonflikt, insbesondere im Konflikt mit den Palästinensern angeklagt. Die Vorwürfe gegen Israel reichen von „Besetzung palästinensischer Gebiete“ und „Benachteiligung der Muslime“  über „illegale Landnahme“ und „ethnische Säuberung“ bis zu „Genozid“ und „Vernichtungskrieg“. Diese letzten, extremen Ansichten sind offensichtlicher Unsinn und dennoch weit verbreitet. So stimmten in einer 2011 veröffentlichten Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung 48 Prozent der befragten Deutschen der Aussage zu, Israel führe einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser. Die Eliten der Politik drücken sich für gewöhnlich gewählter aus, beziehen aber ebenfalls einseitig Position gegen den Judenstaat. Deutschland, das Israels Sicherheit zur Staatsraison erklärt und seit 1945 den Anfängen wehren will, ist immer nur ein „kritischer Freund“ Israels gewesen.

So forderten die Grünen im April dieses Jahres eine Kennzeichnungspflicht für Waren aus „israelischen Siedlungen in besetzten Gebieten“. Dabei gehe es nicht um einen Boykott israelischer Waren, sondern um die „Ermöglichung informierter Kaufentscheidung“. Die Grünen konnten bei dieser Forderung auf die Vorarbeit der NPD-Landtagsfraktion von Mecklenburg-Vorpommern zurückgreifen, die entsprechende Produkte „verbraucherfreundlich kennzeichnen“ möchte. Kennzeichnungen für Produkte aus dem von China besetzten Tibet oder dem von der Türkei besetzten Zypern haben hingegen weder Grüne noch NPD gefordert; soweit man weiß, sind dort auch keine Juden im Spiel. Dafür möchte die Grünen-Bundesvorsitzende Claudia Roth mit dem „pragmatischen Teil“ der Hamas verhandeln und hätte sich wohl bei früherer Gelegenheit für Verhandlungen mit den pragmatischen Teilen der SS begeistern können. Andrea Nahles nimmt sich die Fatah zum Vorbild, weil sie zwischen dieser Palästinenserorganisation und der SPD „gemeinsame Werte“ sieht. Ihr Parteifreund Sigmar Gabriel bezeichnete im März letzten Jahres, weniger verblümt, die israelische Palästinsenserpolitik als „Apartheidsregime, für das es keinerlei Rechtfertigung gibt“. In der Linken gibt es mit Inge Höger, Annette Groth und Norman Paech nicht nur prominente Helden der Worte, sondern auch der Taten gegen Israel. Deren Teilnahme an der Gaza-Flotille 2010 wurde von ganz oben, der damaligen Parteivorsitzenden und heutigen Vize-Franktionsvorsitzenden Gesine Lötzsch gedeckt, die „sehr stolz auf ihren Einsatz“ war. Die Regierungsparteien hatten mit Hoh- und Möllemann vor einigen Jahren prominente Judenskeptiker in ihren Reihen; ein weiterhin aktiver, „israelkritischer“ Evergreen der CDU ist der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages Ruprecht Polenz. Der frühere FDP-Generalsekretär und heutige Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel, dem die Israelis 2010 die Einreise nach Gaza verwehrten, erklärte, dass es selbst den treuesten Freunden schwer falle, Israel zu verstehen. Seinen Teppich musste er schließlich woanders kaufen, was ihn sichtlich verärgerte: „Es ist fünf vor zwölf für Israel“!

Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr, wovon bei Israel allerdings keine Rede sein kann.

Antisemitismus als Kern des Nahostkonfliktes

Israel ist umgeben von Feinden. Eine triviale Bemerkung und doch zentral für das Verständnis der Politik Israels. Die Friedensverträge mit den Ägyptern im Südwesten und Jordanien im Osten haben diese Situation zwar entschärft, ändern aber nichts an dem Hass, der Israel in der Region entgegenschlägt. Die Kriegsparteien des nordöstlichen Syriens, ob FSA oder Assad, sehen in ihrem jeweiligen Gegner eine zionistische Marionette. Syrien wird am Ende des Bürgerkriegs so wenig radfahrerfreundlich wie proisraelisch sein. Vom Norden aus arbeitet die Hizbollah an der Zerstörung Israels (siehe bspw. hier), ohne mit Widerstand von der libanesischen Politik rechnen zu müssen. Im Westen grenzt Israel an das Mittelmeer, in das iranische Entscheidungsträger die Israelis gern treiben würden. Weil das schwerer ist als gedacht, plant man in Teheran, das zionistische Krebsgeschwür per Atombombe herauszuschneiden. Im Westjordanland regiert die abgewählte Fatah, deren Wappen weder auf Gewaltfreiheit noch auf Kompromissbereitschaft hinweist. Auch der „Palästinenserpräsident“ Mahmud Abbas hat immer wieder Märtyrerstolz für Terroristen und sogar seine eigene Person beschworen. Im Gazastreifen regiert die legal gewählte antisemitische Terrororganisation Hamas, die die Vernichtung Israels in ihrer Charta festhält und wöchentlich mit Raketenbeschuss vorantreibt.

Aber nicht den Antisemitismus der arabischen Widersacher halten die „Israelkritiker“ für das zentrale Problem des Nahostkonfliktes, sondern den israelischen Mauer- und vor allem Siedlungsbau. Dieser zerteile das Westjordanland und mache einen Frieden langfristig unmöglich, weil er eine illegale Landnahme mindestens begünstige. Dass der Mauerbau seit 2003 die Anschlagwelle aus dem Westjordanland und damit die Mordrate im israelischen Kernland, die mit der zweiten Intifada sprunghaft angestiegen war, stark reduzieren konnte, scheint nicht zu interessieren. Die Siedlungspolitik, die gerne mit einer Rhetorik belegt wird, als handele es sich nicht um Siedlungen, sondern um Konzentrationslager für Juden, steht quasi weltweit in der Kritik. Dabei ist die Aufregung schwer nachvollziehbar. Viele der Siedlungen liegen in Gebieten, die in den relevanten Friedensplänen dem israelischen Kernland zugeschlagen werden sollten. Selbst wenn schließlich jüdische Siedler im Palästinenserstaat verbleiben, ist die Empörung unangebracht. 20 Prozent der israelischen Bevölkerung sind Araber und leben mit gleichen Rechten im Judenstaat. Aber umgekehrt sollen jüdische Bürger für die palästinensischen Gebiete nicht zumutbar sein? Das Argument, man würde mit den Siedlungen das Westjordanland zerteilen (wie es beispielsweise im Zusammenhang mit den Siedlungsplänen im Gebiet E1 hieß), greift daneben. An der schmalsten Stelle wäre das Westjordanland etwa 20 Kilometer breit, Israels schmalste Stelle beträgt 15 Kilometer. Die Räumung der Siedlungen, die viele für das Westjordanland fordern, hat es im Gazastreifen bereits 2005 gegeben. Dort wurde der Abzug der Siedler mit dem Abbrennen von Synagogen und einem vermehrten Beschuss Israels bedankt. Der Gazastreifen ist heute so judenrein, dass Hitler seine reinste Freude daran hätte; dem Frieden ist man dadurch jedoch nicht näher gekommen.

Es gäbe noch vieles mehr zu sagen, doch habe ich bereits auf den Kern des Konfliktes hingewiesen: den Antisemitismus. Israel hat im Konflikt mit den Palästinensern einiges falsch gemacht, ist aber seit der Staatsgründung immer an Frieden interessiert gewesen. Den Frieden wollten und konnten ihm seine Feinde aber nicht gönnen, weil sie von einem zerstörerischen Judenhass angetrieben werden. Die Deutschen, die sich gerne für die weltbesten Vergangenheitsbewältiger halten, haben es sich heute in der „Israelkritiker“-Rolle bequem gemacht. Dabei sind sie ihren Großeltern näher, als sie wahrhaben wollen.

12 Gedanken zu „links rechts geradeaus – Hauptsache gegen Israel“

  1. der letzte satz bleibt mir unverständlich.

    weshalb sind heutige kritiker israelischer siedlungspolitik – deren richtigkeit oder angemessenheit dahingestellt bleibt – „ihren Großeltern näher, als sie wahrhaben wollen“? inwiefern ist (falsche) kritik nur quantitativ zu unterscheiden von der systematischen vernichtung einer ethnischen gruppe?

    waren nazis also auch „Israelkritiker“?

  2. Da würde ich auch einhaken. Dass es in Deutschland und Europa gerade auf der extremen Linken und Rechten und sicher auch dazwischen Antisemitismus gibt, ist, denke ich, unumstritten. Darunter sind bestimmt auch solche (besonders in der NPD, und wahrscheinlich auch in manchen linken Kreisen, Wolfgang Kraushaar hat mir da die Augen geöffnet, jedenfalls, was manche Protagonisten der 68er-Bewegung angeht), deren antisemitische Radikalität derjenigen der Nazis nur wenig nachsteht.

    Deine Insinuation, dass der Antisemitismus quasi allgegenwärtig wäre, leuchtet mir aber noch nicht unmittelbar ein, da brauche ich noch mehr Argumente. Klar gibt es „Antizionismus“, der Antisemitismus ist, es gibt aber auch „Israelkritik“, die eben kein Antisemitismus ist. Dieser Ansatz, dass die meisten kritischen Töne gegenüber Israel auf irgendeine mythische Substanz eines zeitübergreifenden Antisemitismus zurückzuführen seien, scheint mir doch immer noch sehr fragwürdig, weil der Antisemitismus dabei nicht konkret historisch erklärt wird. Woher käme denn so ein weit verbreiteter deutscher Antisemitismus? Es gibt natürlich Schuldabwehrantisemitimus; ich würde aber behaupten, dass das vor allem die ältere Generation betrifft, die sich noch unmittelbar und persönlich mit der deutschen Schuld auseinandersetzen musste. Gibt es nicht auch andere Erklärungsmöglichkeiten für die tatsächlich manchmal leicht seltsam schnelle Parteinahme für die Palästinenser? Mir scheint ein wichtiger Faktor z. B. schlicht Unwissenheit über die tatsächlichen Probleme der Israelis und den Stand der realistischen Friedenspläne. Von daher finde ich deine erläuternden Erklärungen zum Nahostkonflikt selbst sehr erhellend. Von so etwas bräuchten wir mehr, anstatt immer gleich Polemik und Debatte über etwas, von dem der Leser einfach zu wenig Ahnung hat, um Positionen beziehen und bewerten zu können. Eine große Rolle spielt auch die Gewohnheit vor allem (aber nicht nur) linker Zeitgenossen, sich immer erstmal mit dem militärisch Schwächeren zu identifizieren, und das sind nunmal im Nahostkonflikt ganz klar die Palästinenser. Das mag dumm und zuweilen zynisch sein, es ist aber noch nicht automatisch Antisemitismus.

  3. Allein dafür sollte Erik den Preis für den „Post des Monats“ kriegen: bei keinem anderen Post hätte ich Lust gehabt, 5 Stunden bevor ich aufstehe noch eine Antwort auf einen Kommentar zu schreiben; auch bei meinem eigenen nicht.

    Ich glaube du widersprichst Eriks These nicht zwingend.
    Denn Israels Lage lässt sich durchaus auf die Kontinuität des Antisemitismus zurückführen. Die Ressentiments waren schon vorhanden – in Nahost sowie in Europa – oder willst du die (regionalen) Drohungen ggü. Israel einfach aus der Unintegrierbarkeit des Staates Israel erklären? Das wäre etwas zu einfach. Israel war – (auch) als Staat der Juden – immer schon vielen ein Dorn im Auge.
    Und es ist interessant, dass man trotz der von dir bemühten Unwissenheit gerade dazu so gerne eine Meinung hat und dass die Massenmedien und Parteien anscheinend ihrem Publikum unterstellen, dass es auf Israelkritik anspringen würde (hah, jetzt habe ich, über drei Ecken, den homo oeconomicus auch noch mit drin).

  4. Vielen Dank.

    Die EU hat zwar vor kurzem den militärischen Arm der Hizbollah auf ihre Terrorliste gesetzt, was auch Zeit wurde.
    Allerdings hat sie gleichzeitig mit einem neuen Leitfaden israelische Bewohner, Institutionen und Organisationen, die in den „besetzten Gebieten“ wohnen, von Verträgen mit der EU ausgeschlossen. Den EU-Mitgliedsländern werden gleichzeitig Geschäfte mit den entsprechenden Gruppen und Personen verboten. Diese typisch ressentimentgeleitete Politik ist nicht nur symbolisch das falsche Signal, sondern bringt auch praktische Probleme, sowohl für Israelis als auch für die arabische Bevölkerung. Von der Richtlinie sollte sich die EU umgehend wieder distanzieren. Daran habe ich allerdings meine Zweifel. Ebenfalls darf die EU nicht den Antisemitismus in Europa aus den Augen verlieren (http://www.welt.de/debatte/kommentare/article11847743/Europa-laesst-sich-von-den-Judenhassern-taeuschen.html)

    Von der deutschen Politik würde ich ein konsequenteres Vorgehen für Israel erwarten. Das heißt konkret: Schluss mit Geschäften mit dem Iran (die schon bestehenden Sanktionenen werden leider immer wieder unterlaufen: http://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/hr/15072013-exclusiv-im-ersten-gefaehrliche-geschaefte-100.html) und ein konsequentes Vorgehen gegen die iranische Bombe, eine kritischere Betrachtung und Verurteilung der palästinensischen Akteure und ein überzeugtes Werben für die israelische Position.

    Letzteres würde ich dann auch den politisch interessierten Bürgern empfehlen. Leider gibt es gegen Antisemitismus kein Patentrezept; der Nahostkonflikt wird so leicht nicht zu lösen sein.

  5. Habe den Preis gleich mal verliehen 😉

    Was den Antisemitismus in der arabischen Welt betrifft, gebe ich euch ja völlig Recht: Das ist ein großes Problem und wahrscheinlich die wichtigste Erklärung für den andauernden Nahostkonflikt. Man sollte den arabischen aber schon vom europäischen Antisemitismus unterscheiden.

    Dass die Europäer immer gerne eine Meinung gerade zu Israel haben, finde ich auch ziemlich seltsam; es ließe sich aber nicht nur aus antisemitischen Affekten erklären. Man könnte zum Beispiel anführen, dass der Sudan oder Tibet einfach weiter weg sind, nicht nur geographisch: Der Holocaust ist einfach bis heute einer der wichtigsten Bezugspunkte nationaler, europäischer und westlicher Erinnerungskultur und Identitätskonstruktion, von daher ist das Interesse für den Judenstaat an sich noch nicht sehr überraschend. Dass sich dieses Interesse in der Tat häufig vorschnell als „Isrealkritik“ geriert statt als eine Art anteilnehmende Beobachtung, ist in der Tat seltsam. Wie gesagt, ich behaupte ja auch nicht, dass es keinen Antisemitismus in Europa oder Deutschland gäbe, mir ist die Erklärung nur erstmal zu lame, weil sie nur aus einem Wort besteht: „Antisemitismus!“ Ich will darüber mehr wissen: Wie lässt sich eine solche, nach dem moralischen Tiefpunkt, den der Holocaust in der Geschichte des Westens darstellt, an sich ja doch sehr erstaunliche Kontinuität historisch und sozialpsychologisch erklären? Wenn man diese Erklärung beiseitelässt, produziert man aus meiner Sicht eine Art mythisches Bild des Antisemitismus, der schon immer subkutan in allen Kulturen angelegt sei und im Prinzip auch gar nicht zu beseitigen wäre. Das wäre für mich dann das eigentlich interessante an der von Erik aufgeworfenen Frage.

  6. Ich würde auch gern mehr über die Entwicklung des antisemitischen Ressentiments in Deutschland/Europa seit 1945 erfahren. Große Teile der 68er-Bewegung waren extrem antizionistisch eingestellt, obwohl sie sich ja gerade von ihren antisemitischen Tätereltern abgrenzen wollten. Dass der Israelhass aus dem Antisemitismus erwachsen ist, daran hab' ich keine Zweifel. Wie genau das funktioniert hat, müsste man sich in der Tat mal genauer anschauen. Vielleicht schreibe ich demnächst mal etwas darüber.

    Hitler selber war auch ein klarer Gegner des Zionismus. Er lehnte ein selbstbestimmtes jüdisches Kollektiv kategorisch ab, sowohl inner- als auch außerhalb Deutschlands. Auch in Madagaskar sollten die Juden nicht autonom leben. Nationalsozialistischer und arabischer (sogar palästinensischer) Antisemitismus erlebten unter anderem über die Person Mohammed Amin Al-Husseini, Großmufti von Jerusalem, eine unheilige Verbindung.

  7. Ich glaube nicht, dass der „arabische“ Antisemitismus das Hauptproblem ist. Ich würde schon eher sagen, dass es auch in der arabischen Bevölkerung um Kritik an Israel geht. Die radikale Politisierung des Islam durch die Osmanen haben einen „islamischen“ oder „arabischen“ Antisemitismus erst „Salonfähig“ gemacht. Dank der Nah Ost Politik der Europäer und später der Amerikaner ist die Region immer weiter radikalisiert worden. Diese Länder sind größtenteils mit Bleistift und Lineal gezeichnet worden. Ohne Rücksicht auf Ethnien, Konfessionen oder Kulturen. Das einzige was Staaten wie Syrien zusammenhält sind charismatische Führer wie Abbas und gemeinsame Feinde wie Israel oder der Dschihad. Das arabische Volk verdient vielleicht mehr Aufmerksamkeit als die ständige Leier von Stabilität und Sicherheit. Es ist ohne Zweifel Richtig, sich für Israel einzusetzen. Aber es wird auch Zeit, dass alle Parteien den Staat Israel und das Judentum als zwei Paar Schuhe betrachten. Israel ist ein Nationalstaat mit einer homogenen Bevölkerung die es so in der Region nicht gibt. Bei einem Nationalstaat muss man das Recht haben, diesen zu kritisieren so wie jeden anderen Staat auf der Welt. In meinen Augen ist das in den letzten 50 Jahren viel zu selten geschehen. Kritik nur deshalb nicht zu äußern aus Angst vor dem Verdacht des Antisemitismus ist falsch. Kritik auf Basis des Antisemitismus zu äußern genauso. Friedensverhandlungen sind nicht alleine deshalb gescheitert, weil radikale oder terroristische Organisationen durch Anschläge erneut provoziert haben. Hamas, Hisbollah und co. sind Produkte dieses Konflikts selbst. Radikale Parteien, die es überall dort gibt, wo zwei oder mehr Akteure einen Konflikt austragen, bei dem beide Seiten bis zum Äußersten gehen. Terror als asymmetrische Kriegsführung gegen einen scheinbar übermächtigen Feind. Eine abscheuliche Kriegsführung aber in den Augen derer das scheinbar letzte Mittel.
    Man sieht doch deutlich, dass man das Problem am Ursprung angehen muss. Diese ständige Aktion-Reaktion Politik im Stile des amerikanischen Realismus blockiert wirkliche Lösungen und Friedensverhandlungen seit 30 Jahren. Immerhin erkannten der Westen, wie auch Israel, dass die Sicherheit Israels von der Stabilität der Region abhängt. Die Politik um diese Stabilität herzustellen, ist aber kläglich gescheitert. Netanjahus Nationalismus schürt doch nur noch mehr Aggressivität. Man kann es Antizionismus nennen.

    Das sich Kritik an Israel bei der arabischen Bevölkerung im Endeffekt dann in Form von Antizionismus oder Antisemitismus äußert ist bedauernswert aber auch nicht weiter verwunderlich. Die Menschen dort haben nicht die Möglichkeit auf diesen Konflikt zu schauen so wie wir das können.

  8. Wenn der Antisemitismus in der arabischen Bevölkerung schon salonfähig geworden ist, dann geht es doch gerade nicht um „Kritik an Israel“. Dann ist es Antisemitismus. Wenn man dem Westen jetzt die Schuld für die Unzufriedenheit oder gar den Antisemitismus der arabischen Bevölkerung in die Schuhe schiebt, dann spricht man 1. den Akteuren in arabischen Ländern ihre Entscheidungsfähigkeit ab und hat 2. immer noch nichts gewonnen. Selbst wenn der Westen ursprünglich die Schuld an der schlechten Lage der Araber hat – das Problem ist damit doch nicht gelöst. Mittlerweile sind die Staaten souverän und müssen sich entscheiden, ob ihnen der Israelhass wichtiger ist als die Lage der eigenen Bevölkerung. Solange sie sich für den Israelhass entscheiden, muss sich Israel halt zur Wehr setzen. Dass Israel trotzdem an Frieden interessiert ist, zeigt sich gerade aktuell wieder, wo sie als Vorbedingung(!!) für Friedensverhandlungen 104 palästinensische Gefangene freilassen, unter denen sich verurteilte Terroristen befinden.

    Selbstverständlich ist auch Kritik an Israel möglich und selbstverständlich gibt es einen Unterschied zwischen Antisemitismus und Israelkritik. Aber dass es in den letzten fünfzig Jahren an Kritik an Israel gemangelt hat, ist schon eine realitätsferne These. Es gibt bspw. gegen kein anderes Land so viele UN-Resolutionen wie gegen Israel; und das, obwohl Länder wir Nordkorea, der Iran und Saudi-Arabien immer noch ihr Unwesen treiben.

    Übrigens sollte Stabilität nicht das einzige sein, an dem die Politik sich orientieren sollte. Stabilität bedeutet auch Stagnation und für Staaten, in denen die Menschenrechte massivst verletzt werden wie bspw. in Saudi-Arabien, ist Stagnation oder „Stabilität“ einfach keine langfristig wünschenswerte Perspektive.

  9. [Der Einwand kommt jetzt zwar über ein Jahr zu spät, ich mach's dennoch.]
    Dagegen gab es aber auch hohe Nazioffiziere, die den Zionismus durchaus begrüßt haben. Solange die jüdische Bevölkerung woanders lebte, hat sie ja auch nicht mehr „gestört“.
    Und im Gegenzug gab es nicht wenige jüdische Antizionisten, die keine Gelegenheit ausließen, zu betonen, dass Antizionismus eben NICHT mit Antisemitismus gleichzusetzen sei (dass das eine das andere durchaus bedingen kann, will ich gar nicht abstreiten).
    Wie passt das ins Bild?

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