Eigentum verpflichtet – warum die stärkere Besteuerung von Erbschaften wichtig und gerecht ist

Und plötzlich ist er da, der große Unterschied, nachdem man Nächte lang zusammen geschwitzt hat, um die Präsentation für den Chef im unterbezahlten Agenturjob doch noch fertig zu bekommen. Nachdem die erste Stelle nach den gemeinsamen Jahren der Entbehrung zwar nicht gerecht wird, aber zumindest die Ausbildung würdigt. Nachdem der Konzern die Frustrationstoleranzgrenze ausgereizt hat mit dem Versprechen eines Karrieresprungs. Wir werden gemeinsam im Freundeskreis sitzen, mit den gleichen Erzählungen von Mühen und Niederlagen, von guten Deals und steilen Karrieren und mit Mitte dreißig wird uns etwas entzwei reißen, das vorher nicht mehr als eine Randnotiz war – die einen werden erben und die anderen nicht.

Während die einen also die Eigentumswohnung im Prenzlauer Berg erwerben, oder im Frankfurter Vorort, oder in ihrer ostwestfälischen Heimat direkt ein Haus erben, kämpfen die anderen weiter. Mit ihren Ratenkrediten, den Studienschulden und der überschaubaren Urlaubskasse. Nach all den Jahren wird sich eine bittere Erkenntnis einstellen: Es kommt nicht auf deine Leistung an.
Worauf es ankommt ist eine glückliche Fügung: Erben ist keine Leistung sondern Zufall, bis auf wenige Ausnahmefälle wie zum Beispiel der potentiellen Erbin des Vermögens von Hugh Heffner. Erben ist ironischerweise ein Zugeständnis nicht an den Erbenden, sondern an den Vererbenden, der zur Lebzeiten vorsorgen möchte und den es im Zeitpunkt des Erbvorgangs wortwörtlich kalt lässt. Das Gedankenexperiment des Philosophen John Rawls bringt es auf den Punkt:
Um objektiv entscheiden zu können, versetzt Rawls alle Menschen in einen ‚Urzustand“, in dem alle gleich sind und erst später per Zufall ihre geistigen, physischen und sozialen Eigenschaften, ihre gesellschaftliche Position und ihren materiellen Besitz zugewiesen bekommen. Ohne vorher zu wissen welche Rolle sie erhalten, lässt Rawls seine fiktiven Charaktere Entscheidungen treffen, mit der sie in ihrer späteren Rolle jedoch leben müssen. Müsste unter diesem ‚Schleier des Nichtwissens‘, entschieden werden wie Erbschaften zu verteilen sind, wird instinktiv klar, dass die hohe Konzentrierung von Erbschaften auf wenige Personen nicht im Sinne eines gerechten Gesellschaftsvertrages ist.
Was ist gerecht? Um das herauszufinden, entzieht John Rawls uns unserer Identität und umhüllt die Menschheit mit einen 'Schleier des Nichtwissens'.  Foto von Michael Scholl (CC-by-SA-3.0)
Was ist gerecht? Um das herauszufinden, entzieht John Rawls uns unserer Identität und umhüllt die Menschheit mit einen ‚Schleier des Nichtwissens‘. Foto von Michael Scholl (CC-by-SA-3.0)
Ungerechtigkeit lässt sich gut aushalten, vor allem wenn es keinem so richtig schlecht geht. Es gibt schlimmeres als ein paar Sorgen um den Hauskredit und nur auf Norderney Urlaub machen zu können anstatt in der Karibik. Zudem – manche Ungerechtigkeit muss ausgehalten werden, zum Beispiel wenn es das große Ganze erst ermöglicht. Das Recht auf Privateigentum zum Beispiel, eines unserer Grundsätze und Garant für die materielle Selbstbestimmung und Freiheit unserer Gesellschaft, leitet das Recht auf Vererben ab. Ohne die Möglichkeit zu Vererben gibt es keinen Anreiz Güter anzuhäufen und damit auch kein Anreiz produktiv im Sinne der Gesellschaft zu werden, argumentieren manche. Während Vererben also den Anreiz zur Leistung setzt, hebt Erben ihn wieder auf. Solche Spannungen sind ungemütlich, gehören jedoch zu einer freiheitlichen Gesellschaft dazu.
Gänzlich unverschleiert und trotzdem im Sinne Rawls macht Bill Gates vor, wie man auch noch mit Erbschaft umgehen kann: Im Falle seines Todes geht sein Vermögen in die von ihm und seiner Frau Melinda geschaffene Stiftung ein. Seine Sprösslinge erhalten lediglich ein Startgeld von verhältnismäßig verschwindend geringen 10 Mio. US-Dollar. Man könnte meinen, Gates nimmt den Schleier des Nichtiwssens für bare Münze, denn mit seinem restlichen Vermögen unterstützt er die Ärmsten der Armen. Als tragbares Modell taugt es jedoch nicht – auf freiwilliger Basis würde ein schwäbischer Maschinenbauer wohl kaum die Früchte seiner unternehmerischen Tätigkeit in eine Stiftung einbringen, zudem untergraben Stiftungen staatlichen Institutionen, die im Gegensatz zu ihnen demokratisch legitimiert sind. Was also tun, mit dem Erben?
Bill und Melinda Gates: Unternehmer, Milliardäre und Philanthropen Besuch des Osloer Opernhauses im Juni 2009. Foto von Kjetil Ree (CC-by-SA-3.0)
Bill und Melinda Gates: Unternehmer, Milliardäre und Philanthropen. Besuch des Osloer Opernhauses im Juni 2009. Foto von Kjetil Ree (CC-by-SA-3.0)
Die Frage des Umgangs mit Vermögen und Erbe ist keine neue Frage. Was neu ist, sind die Rahmenbedingungen, die eine Beantwortung der Frage immer dringlicher werden lassen. Zum einen ist da der demografische Wandel. Immer weniger Kinder bedeutet immer mehr Alte, die mehr Erbmasse auf weniger Köpfe verteilen. Während sich früher fünf Geschwister um das Erbe stritten, teilen sich heute zwei Nachfahren die Beute. Menschen die früher nichts zu vererben hatten, hätten es jedoch heute auch nicht – das heißt die Anzahl der Erben bleibt gleich, das vererbte Vermögen wird nur viel größer.

Gleichzeitig heißt demografischer Wandel aber auch eine Umverteilung der Lasten durch mehr alte Menschen. Während früher alle fünf Geschwister für Opa und Oma aufkommen müssen, sind es jetzt nur noch zwei. Jedoch wird die Rente über das Einkommen finanziert, nicht über das Vermögen. Damit profitieren die Erbenden von einem strukturellen Missverhältnis, die Belastung daraus tragen aber auch solche die nicht erben und zwar im gleichen Maße über ihr Gehalt. Die Pflicht zur Solidarität endet für Vermögende und solche die auf dem guten Weg sind dahin – Kapitalerträge und alle Einkommen über 72.600 Euro im Jahr werden zur Finanzierung der Rente nicht einbezogen.

Wenn wir heute von Einkommen sprechen, meinen wir meist unser Einstiegsgehalt, vielleicht noch das monatliche Bafög, die Unterstützung von den Eltern oder für einige wenige die Zuwendung aus Stipendien. Mit Mitte dreißig wird einigen eine andere Art von Einkommen wichtig werden: Die aus Kapital. Während in unserer Gesellschaft etwa zwei Drittel aller Einkommen durch Arbeit – vom Gehalt des Tellerwäschers bis zum Bankvorstand – erwirtschaftet werden, fließt ein Drittel durch Kapitalerträge auf private Konten. Auf ein Bruttogehalt von 2.600 Euro im Monat kommt durchschnittlich ein Zusatzeinkommen von 850 Euro dazu. Das kann die jährliche Rendite der VW Aktien sein, die Einkünfte aus einer unternehmerischen Beteiligung oder aber auch die Mietzahlung an euren Vermieter. Für die Eigentumswohnung im Prenzlauer Berg wird für einige ab Mitte dreißig plötzlich keine Miete mehr fällig, oder der Zweitwagen wird über die Mieteinnahmen aus Omas alter Wohnung finanziert. Aus einem kleinen Zufall wird so ein großer Unterschied.

Einkommen aus Kapitalerträgen ist an sich etwas Positives, denn es vermittelt den Kapitalbesitzenden, wo ihr Kapital an meisten gebraucht wird (und jemand deswegen am meisten dafür zahlen würde – in Form von Zinsen). Das ist ein wichtiger Anreiz für Immobilienbesitzer und Investoren im Sinne der Gesellschaft tätig zu werden. Erst der Anreiz- und Verteilungsmechanismus durch Kapitalrenditen hat unglaublichen Wohlstand geschaffenund sich klar gegenüber anderen Modellen durchgesetzt. Erben könnte also ein notwendiges Übel sein, wenn Vermögen nicht die Tendenz hätte weitere Ungleichheit zu schaffen.

In seinem Buch Kapital im 21. Jahrhundert wies der französische Professor für Volkswirtschaftslehre Thomas Piketty nicht nur das stärkere Wachstum von Kapitalerträgen gegenüber dem Wirtschaftswachstum nach, sondern löste mit seinem Buch eine weltweite Debatte über die Ungleichverteilung von Vermögen aus. „Denn wer da hat, dem wird gegeben“ – so könnten sich seine Forschungsergebnisse zusammenfassen lassen. Jedoch ist Piketty kein Prophet sondern Wissenschaftler. Der Ökonom mit dem eigenwilligen Englischen Akzent hat über ein Jahrzehnt einen enormen Datensatz zusammengetragen: Insgesamt 22 Volkswirtschaften im Verlauf über 300 Jahren lassen Piketty zu dem Schluss kommen, dass sich Vermögen systematisch immer weiter konzentriert. Höchstens Krisen, Kriege und schnelles Wachstum wirken diesem Effekt entgegen. In der heutigen Ära von geringem Wirtschaftswachstums und – gemessen am 20. Jahrhundert – großen Stabilität, sieht Piketty die Gefahr einer sich selbst verstärkenden Ungleichheit.

Je größer das Vermögen, so weist Piketty nach, desto einfacher ist die Möglichkeit dieses zu vermehren. Immer mehr Vermögen für immer weniger Menschen heißt Oligarchie. Dem entgegen steht die Meritokratie – also unser Versprechen das Leistung belohnt wird und nicht der Zufall einer Erbschaft entscheidet. So schafft es Piketty das er gleichzeitig klingt wie ein Wirtschaftsliberaler und Linker zugleich – er plädiert für das Leistungsprinzip und will zu seinem Schutz Vermögen besteuern.

Thomas Piketty: Volkswirt, Autor und Initiator einer weltweiten Debatte über soziale Ungleichheit. Vortrag an der Universitat Pompeu Fabra Oktober 2014.
Thomas Piketty: Volkswirt, Autor und Initiator einer weltweiten Debatte über soziale Ungleichheit. Vortrag an der Universitat Pompeu Fabra Oktober 2014.

Zusammengefasst bedeutet das: Während sich durch den demografischen Wandel die typische Erbschaft stark erhöht, bleibt die Anzahl der Erben gleich. Trotzdem wird die Last der großen Rentnergeneration auf alle verteilt. Hinzu kommt, dass sich Vermögen an sich immer weiter konzentriert und so immer weniger Menschen in unserer Gesellschaft, immer mehr besitzen werden.

Was werden wir tun, wenn wir merken, dass wir trotz härterer Arbeit und besserer Leistung mit viel weniger dastehen als unsere Kampfgefährten aus der Ausbildung oder der Universität, nur weil diese geerbt haben? Sozialer Aufstieg durch harte Arbeit war das Versprechen, dass unsere Eltern genutzt und wir aufrecht erhalten müssen – für Ötzde, für Kevin, aber auch für uns als Gesellschaft. Denn es kommt eine Herausforderung auf uns zu, die der Anstrengung einer ganzen Gesellschaft bedarf, nicht nur ihrer arbeitenden Bevölkerung.

An dieser Stelle erscheint nächste Woche die Fortsetzung zum Thema, wie eine gerechte Lösung aussehen könnte und wofür wir die stärkere Besteuerung von Erbschaften und Vermögen benötigen.

Ein Gedanke zu „Eigentum verpflichtet – warum die stärkere Besteuerung von Erbschaften wichtig und gerecht ist“

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