Mut in Zeiten des Terrors

Wir Europäer seien „selber schuld“ an den Anschlägen, schallt es aus den Kommentaren – wegen einer imperialistischen Politik, sagen die einen. Wegen einer fehlgeleiteten Immigrationspolitik, sagen die anderen. „Zu schwach“ seien wir, „um unsere Werte zu verteidigen“.

Es ist ein vertrautes Gefühl nach der Katastrophe. Nach dem Schock, dass so etwas mitten unter uns passieren konnte und der Trauer über dieses Mädchen, dass da in Sneakers auf dem Boden liegt, die Arme friedlich überkreuzt und jetzt tot ist. So tot wie 130 weitere Menschen, die vorletzten Freitag ausgehen wollten. Es hätte auch meine Schwester sein können. Es hätte jeder sein können.

Ohnmacht

Wie eine tückische Krankheit nistet sich Ohnmacht in uns ein und bedingt so gegensätzliche Reaktionen zu so verschiedenen Zeitpunkten. Die einen ertragen es nicht, hauen geifernd auf den Tisch und rufen den „totalen Krieg“ aus. Die Gegenreaktion soll jetzt sofort geschehen und sie soll tödlich sein. Ich denke an die Anschläge vom 11. September zurück, was für eine Genugtuung es gewesen sein muss, als die ersten Bomben auf Kabul fielen. Wie die Menschen noch gejubelt haben, als Osama Bin Laden Jahre später zur Rechenschaft gezogen wurde. Ich kann es ihnen nicht übel nehmen, denn ich habe auch so gedacht.

Die anderen ertragen es nicht und rufen zynisch dazwischen, dass wir doch selbst schuld seien. Jeder weitere Angriff geht auf eine imperialistische Politik des „Westens“ zurück oder aber ein falsches Verständnis einer multikulturellen Gesellschaft. Das politische Spektrum wird so zum Kreis und vormals ganz links und vormals ganz rechts treffen sich in der Mitte, um zu verkünden, dass sie schon immer gesagt hätten, dass wir schuld seien. Es ist ein Aderlass – ein Ventil für die Ohnmacht, mit dem es sich kurzzeitig besser leben lässt, das langfristig aber mehr schadet als hilft. Denn wirkliche Verantwortung will keiner derjenigen übernehmen, die so reden.

Schwäche

Schwach ist der, der dazwischenhauen möchte und das Gefühl der Ohnmacht und Trauer nicht erträgt. Der, der nicht an die Opfer denkt oder nach einer Lösung sucht, sondern danach strebt, seine Hilflosigkeit vor sich selbst zu kaschieren. Schwach ist der, der die Widersprüchlichkeit einer komplexen Welt nicht erträgt und kein Interesse daran hat, Verantwortung zu übernehmen, dafür aber einfache Antworten kennt. Schwach sind die, die jetzt eine latente Angst äußern. Angst vor dem Fremden, Angst davor, jetzt aus der Gemütlichkeit der Konsumgesellschaft plötzlich mit Tod und Terror konfrontiert zu werden. Schwach sind die, die den Zynismus wie ein Schild vor sich aufstellen, das tiefe Trauer nicht heranlässt und eine Abgeklärtheit suggeriert, die in Wahrheit tiefe Verunsicherung offenbart.

Stärke

Stark ist, weiterhin Mitgefühl zu zeigen und hartnäckig auf eine friedliche Welt zu bestehen. Stärke zeigen heißt Ohnmacht auszuhalten, Trauer zuzulassen und trotz Frustration stetig nach einer friedlichen Lösung in einer komplexen Welt suchen. Stärke zeigen heißt Werte haben und für diese Kernwerte ungebeugt eintreten.

Die „christlichen Werte“ und unsere Lebensweise werden dabei angeführt, ja entführt, um einen Unterschied deutlich zu machen. Dass viele Menschen zu uns fliehen, um eben diese Werte zu teilen, wurde schon gesagt. Dass es aber Menschen gibt, die laut „unsere Werte“ brüllen, aber was ganz anderes meinen, bleibt ungesagt. Alle sprechen von Leitkultur, aber vom ZEIT-Feuilleton über die Deutschtümler bis zu Horst Seehofer meinen sie alle etwas anderes.

Stark sind tatsächlich christliche Werte, wie sie in ihrem Extremismus kaum zu überbieten sind: Absolute Vergebung, bedingungslose Barmherzigkeit, zwingende Empathie. Bist du bereit zu sagen: Ich vergebe den IS-Terroristen, ich nehme mich den armen Massen an, die vom Terror vertrieben wurden, ich versuche die Gründe wahrlich zu verstehen, die junge Menschen aus unserer Gesellschaft zu Terroristen hat werden lassen? Diese grund-humanistischen Werte spenden eine Sinnhaftigkeit, wie sie unbequemer und wirksamer kaum sein könnten.

Handeln

Wer jetzt wohlig nickt, nur um in der digitalen Passivität zu verharren, mit dem teile ich diese Werte nicht. Wer auf das Christliche pocht und das Humanistische außen vor lässt, mit dem teile ich diese Werte nicht. Wer kleingeistig das Recht neben Einigkeit und Freiheit als das Recht auf seinen Vorteil interpretiert, mit dem teile ich diese Werte nicht. Wer sich einen starken Mann wünscht und in einer komplexen Welt nicht zwischen Massenmedien und Propaganda unterscheiden kann, mit dem teile ich diese Werte nicht.

Wir werden nicht nur vom IS angegriffen. Wir werden auch von innen angegriffen, von Menschen, die unsere liberal-humanistische Ordnung stört. Wir sollten uns vehement wehren. Wir sollten unser Maul aufmachen, wenn die Bauernfänger mit einfachen Antworten aufwarten. Wir sollten auf Nächstenliebe bestehen, wenn andere zynisch werden. Wir sollten überraschend deutlich werden, wenn Menschen mit ihren Auffassungen diese Werte in Frage stellen, auch online. Wir sollten mit unerwartetem Wohlwollen und Geduld auftreten, um diese komplexe Welt zu verstehen und dann konsequent handeln. Genau in dem Sinne, wie es Jens Stoltenberg nach Anders Breiviks Anschlag 2011 formulierte: „Unsere Antwort auf Gewalt ist noch mehr Demokratie, noch mehr Humanität, aber niemals Naivität.“

 

2 Gedanken zu „Mut in Zeiten des Terrors“

  1. Lieber Julian!
    Danke für Deinen Text, habe vieles ähnlich durchlebt die letzten Tage. Nun liefen auf Phoenix fast jeden Abend Salafismus-IS-Djihad-Erklärfilme. Teilweise sehr erkenntnisreich, was die Psychologie des Phänomens angeht, seine Attraktivität für junge Menschen – eine Extrem-Ideologie auch als Gegen-, Jugend und Popkultur, als Identitätsstiftung und besonderer Raum, um zu den 'Mächtigen' und 'Erfolgreichen' zu gehören.

    Und jetzt zu Deinem Punkt: „Wir sollten uns vehement wehren. Wir sollten unser Maul aufmachen, wenn die Bauernfänger mit einfachen Antworten aufwarten.“

    Wie machen wir das im Fall der Salafisten? Es klingt jetzt auch etwas wütend, aber mir kamen so Gedanken wie: Wir müssen neben Pierre Vogel auf dem Marktplatz stehen, wenn er vor Hunderten seinen Salafismus predigt. Wir müssen auch dort sein und erklären, was gut ist an unserer Demokratie, an unserem Pluralismus, an unserer Freiheit, an der Gleichberechtigung. Wir müssen auch Flugblätter verteilen und auch starke Bilder schaffen, auch wenn uns diese Werte so selbstverständlich vorkommen, dass wir meinen, wir müssten sie niemandem erklären. Aber wenn Du diese Kundgebungen siehst, diesen ganzen Hass gegen „den“ Westen“ und die Propaganda des Salafismus, und wie junge Menschen mitskandieren, dann müssen wir eben doch erklären!

    Denn es bricht mir das Herz, wenn ich die glänzenden Augen des jungen Publikums auf diesen Kundgebungen sehe. Wenn hier ein Steinzeit-Islam verklärt wird, dann möchte ich einfach sagen, was dieser als Gesellschaftsmodell bedeuten würde. Es wäre eine anti-demokratische, anti-pluralistische, fortschrittsfeindliche, zutiefst unfreiheitliche autoritäre Welt. Es wäre das Ende der Wissenschaft, der Kultur, der Selbstbestimmung.

    Das ist jetzt polemisch, aber ich sage es trotzdem. Wenn wir uns – wie das die Salafisten offenbar am liebsten gehabt hätten – in einer Welt wie im 7. Jahrhundert 'eingefroren' hätten, nach ihrer ultra-strengen Lehre – dann gäbe es heute die Smartphones nicht, mit denen Hunderte diese Kundgebungen filmen. Es gäbe die Toyota-Pick-Ups nicht, mit denen der IS durch Syrien marodiert. Wir hätten eine Horror-Version von Gesellschaft und ich will nicht, dass Menschen leichtfertig mit dieser Terror-Popkultur flirten, ohne sie zu Ende zu denken.

    Und ich will mit Sympathisanten dieses Fundamentalismus darüber reden. Ich will auch über die Kolonial-Geschichte, die Unterdrückung des Islams und die Schuld 'des' Westens reden. Ich will einfach nicht, dass sich so viele Menschen in diese Gegenwelt verabschieden.

    Das Ding ist nun, dass unser Gesellschaftsmodell aus sehr guten Gründen darauf basiert, dass alle ihren Vorstellungen nachgehen können, ihrem Glauben, ihrer Weltsicht, auch ihrer Ideologie und ihrem Fundamentalismus. Und wir sind es nicht gewohnt, wie Pierre Vogel auf dem Marktplatz zu stehen, und unser Werte zu 'predigen'. Aber dieser Austausch muss stattfinden! Wir haben einfach zu lange einfach so nebeneinander her gelebt. Ich war immer ein großer Fan des „jeder macht seins“. Aber da bin ich jetzt von weg. 'wir machen unsers' ist für mich das Gebot der Stunde, und zwar über alle Glaubensrichtungen und Zugehörigkeiten hinweg.

    Wie das ausschauen kann, ist hier zum Beispiel auf diesem Blog junger Muslime zu beobachten.

    Midaad.de: IS: “Sie sind doch immer noch unsere Geschwister.” – Nein!
    http://midaad.de/is-sie-sind-doch-immer-noch-unsere-geschwister-nein/

    Liebe Grüße, Alex

  2. Hallo Alex,

    das sehe ich ähnlich – aber nicht nur für eine islamistisch motivierte Gruppe. Auch einer sich abwendenden nationalistischen Bewegung.

    Das Ding mit dem Gegenprotest ist, dass er ja irgendwie auch den Protest erhebt. Wie wäre es eher anzufangen: Zeigen wie Partizipation funktioniert, Begeisterung und Leidenschaft für unsere Konzepte weiterzutragen und vor allem solche mit einbeziehen, die eigentlich gerne dabei sein würden.

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