Feierabend – Vom Ende der Arbeit

Sinnstiftend und tugendfördernd: Arbeit hat den Mythos des gesellschaftlichen Allheilmittels. Bundesarchiv, Bild 183-13175-0004 / CC-BY-SA 3.0

Als in Frankreich im späten 19. Jahrhundert die Arbeiter durch Dampfmaschinen ersetzt werden sollten, flogen die Sabots. Die hölzernen niederländischen Treter sollten der Legende nach nicht nur die frühen industriellen Maschinen kaputt machen, sondern auch für das Wort Sabotage verantwortlich sein. Knapp einhundertfünzig Jahre später fliegen wieder Symbole des Protests. Doch diesmal richtet sich die zerstörerische Wut nicht gegen die dampfenden Ungetüme. Diesmal richtet sich die Wut gegen Autos und ihre lenkenden Tagelöhner, die stellvertretend für eine Weg-Digitalisierung der Arbeiterschaft stehen.Das Elend der Arbeiterschaft führte einerseits zur Entwicklung des modernen Sozialstaates, andererseits zur Erfindung des Kommunismus. Während sich ersterer keinesfalls selbstverständlich die Rechte der Arbeiterschaft erkämpfte, gipfelte die praktische Anwendung des Letzteren in mehrere der vielen Massensterben und -morde des letzten Jahrhunderts.

Die Befürchtung der Sabots-werfenden Arbeiterschaft des vorletzten Jahrhunderts mochte berechtigt sein, die Angst der Kumpel einer sterbenden Ruhrgebiets-Kohlelandschaft hundert Jahre später war es dagegen weniger. Statt der Industriejobs entstanden entsprechende Dienstleistungsangebote – Kumpel wurden zu (Kranken-)Schwestern und aus Malochern wurden Servicekräfte. Ganz so einfach war es natürlich nicht, aber der Transfer von einer Industrie- in eine Dienstleistungsgesellschaft funktionierte trotzdem ziemlich gut.

Sinnstiftend und tugendfördernd: Arbeit hat den Mythos des gesellschaftlichen Allheilmittels. Bundesarchiv, Bild 183-13175-0004 / CC-BY-SA 3.0
Sinnstiftend und tugendfördernd sieht anders aus – Bergmänner bei der Arbeit, 1952. Bild aus dem Bundesarchiv via Wikimedia Commons / Fotograf: Günther Paalzow / CC-BY-SA 3.0

Jetzt sind es die Dienstleistungsjobs, die ersetzt werden. Und die Dampfmaschinen sind intelligente Algorithmen und Customer-Service-Bots. Da helfen auch die massivsten Sabotten nichts mehr, denn die Gegner sind wolkig in dezentrale Netzwerke ausgelagert. Das haptische Pendant fährt zur Zeit zwar noch mit Fahrer durch Paris, New York und Berlin. Wie kurzweilig diese hoch gepriesene Chancenmaschine für unsere sozial benachteiligten Mitbürger und heutigen Uberfahrer angelegt ist, daran lässt das Unternehmen wenig Zweifel: Bis 2017 sollen die autonomen Gefährte getestet werden, ab 2021 wurden 200.000 fahrerlose Fahrzeuge bestellt.

Allein in Berlin arbeiten 18.000 Taxifahrer. Die wären dann arbeitslos. Etwas geräuschloser geht momentan die Abschaffung der Arbeit in anderen Bereichen voran. Chatbots sind das neue Ding in der Techwelt; sie haben eine realistische Chance, mittelfristig Callcenter branchenübergreifend zu ersetzen. Smarte Buchhalter sortieren die Rechnungen automatisiert und verbuchen sie gleich mit. Spracherkennungssoftware übernimmt Texte für ein Heer von Dolmetschern und Übersetzern. Und nicht zuletzt holt additive Fertigung die fertigende Industrie in die Heimat zurück, die zuerst unter massivem Arbeitsplatzverlust in den bis dahin industrialisierten Ländern nach Südostasien ausgelagert wurde, nur um jetzt mit ähnlich gravierenden Veränderungen in eben diese Länder zurückgeholt zu werden. Neue Arbeitsplätze vor Ort entstehen jedoch keine, denn die Produktionsstraße ist vollautomatisiert.

Nochmal für alle Begriffsstutzige und Sozialdemokraten: Das passiert jetzt gerade. In diesem Jahr werden die ersten LKW-Fahrer durch autonome Fahrzeuge abgelöst. Stellt euch vor, ein gewisser Henry Ford hätte vor ein paar Monaten eine ominöse Fließbandstraße für dieses Automobil gebaut. Glaubt mir – die Kutschen kommen nicht wieder und sie sind schneller verschwunden, als ihr die Internationale singen könnt.

Was kommt, ist das Schlaraffenland eines jeden Idealisten – denn wenn wir keine Taxifahrer mehr benötigen, dann könnten die was viel Wichtigeres machen und wir alle viel mehr Taxi fahren. Vielleicht kümmern sie sich um die ganzen neuen Menschen in Deutschland, die auf der Suche nach einem besseren Leben glücklicherweise zu uns gekommen sind. Vielleicht machen sie auch einfach gar nichts – wir wären genauso gut dran wie vorher.

Tatsächlich aber verteidigen viele selbstproklamierte Linke die Glückseligkeit der Arbeit. Demnach steht jedem, der Willens ist, ein Arbeitsplatz zu – was für die Amerikaner die ‚Pursuit of Happiness’ ist, als das stilisiert sich bei uns die Arbeit.

Dem gegenüber steht die Skepsis, ob es in Zukunft überhaupt im aktuellen Sinne marktfähige Arbeit geben wird. Zugegeben, auch damals war die Sorge groß, dass wir eine so große Masse von Malochern gar nicht eingliedern könnten. In die Tradition der falschen Propheten möchte ich mich nicht einreihen. Gehen wir davon aus, dass in Zukunft künstlerische Berufe und die Ermöglicher von Selbstverwirklichung die neuen Dienstleister werden. Außerdem gibt es ja noch die Speerspitze der gestaltenden Arbeiter, also Systemdesigner, Coder und gesellschaftliche Vernetzer.

Dem gegenüber steht aber vor allem das Selbstverständnis, dass herkömmliche Arbeit glück- und sinnstiftend ist. Dagegen kann man in der digitalisierten Gesellschaft nur das Offensichtliche einwenden: Arbeit ist keine identitätsstiftende Institution mehr. Arbeit hat aufgehört, der soziale Kitt zu sein. Stattdessen hat sich eine dritte Klasse herausgebildet, neben den Eliten mit Ressourcen und Zugang und den ebenfalls priviligierten Arbeitern. Nämlich der unbenannte Rest. Das sind Arbeitslose, junge Menschen, Selbstständige und digitale Nomaden – es sind diejenigen, die sich nicht mehr mit dem Diktat der Arbeit abfinden möchten oder vor Jahren herausgefallen sind.

Es sind solche Menschen, denen von Hartz IV konstant vermittelt wird, dass sie weniger Wert sind und solche, die durch ein bescheidenes Erbe nicht auf die Willkür eines altersabhängigen Karriepfades angewiesen sind. Es ist eine Gruppe, die dramatisch an Masse zunehmen wird, durch die Taxifahrer, durch die Buchhalter und durch die vielen Dienstleister, die von cleveren Algorithmen ersetzt werden.

Was passiert aber mit den Kosteneinsparungen bei Taxifahrten? Bleiben die Ressourcengewinne in der Gesellschaft oder wandern sie in die persönlichen Vermögenspositionen einiger weniger Digitalunternehmer und ihrer Kapitalgeber? Das war eine rhetorische Frage, natürlich passiert letzteres. Und Google und Facebook machen vor, dass man dabei sogar noch so wenig Steuern wie möglich zahlen kann, von Sozialabgaben ganz zu schweigen.

Wer jetzt Arbeiterrechte hochhält, der wäre auch früher für die Rechte der Kapital- und Grundbesitzer gewesen. Die neue soziale Frage wird eng mit dem Ende der Arbeit verknüpft sein. Und ihre Fürsprecher werden es mit einem Establishment zu tun bekommen, das sich trügerisch auf der Seite des kleinen Mannes wähnt.

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