Duftende Bilder. Über den Imaginationsraum von Parfümwerbungen

 

Wenn man mit so einer Werbung konfrontiert wird, während man abends vor dem Rechner oder Fernseher sitzt und seine Tiefkühlpizza zerschneidet, denkt man nicht an Kosmetik. Nach dem Zoom auf die betörend weiße und knappe Badehose von David Gandy vermutet man eine Werbung für Badewäsche, Strandurlaub in Italien oder Waschpulver. (Für offensichtliche Ähnlichkeiten zeugt die Werbung von Marks&Spencers-Unterwäsche.)

Umso größer die Überraschung, wenn am Ende des Videos die Flasche des Dolce&Gabbana-Parfümklassikers Light Blue eingespielt wird. Spätestens hier fragt man sich: Wo liegen die Verbindungen zwischen Produkt und Werbung? Inwiefern kann die geglückte Anatomie sowohl die Schönheit und Bequemlichkeit von Kleidungsstücken als auch den Charakter eines Dufts (re)präsentieren? Die Unterwäsche wird in der Regel am Modell explizit gezeigt, aber wie soll man dieselben Bilder in eine olfaktorische Sprache übersetzen? Ist der Duft von D&G holzig, süß, zitrisch, blumig, würzig oder atmosphärisch, stark und langanhaltend oder eher dezent und leicht? Anhand der Werbung kann man schwer ein Parfüm aussuchen, weil sie nur eine Phantasie bietet, die den von der Flüchtigkeit des Parfüms angebotenen Imaginationsraum ausfüllt und bewusst auf konkrete Hinweise auf Duftnoten und Ingredienzien verzichtet.

Duftende Bilder, bildhafte Düfte

Dass Videos und Bilder für die Augen und nicht für die Nase bestimmt sind, ist banal. Gerade die Widerständigkeit von Gerüchen aber, sprachlich abseits der Analogie beschrieben, überhaupt in ihrer flüchtigen Präsenz gefasst zu werden (dies formulieren Classen, Howeds und Synott in ihren einschlägigen Publikationen), macht die Kollision zwischen Produkt und Werbung auffällig. Die während der Aufklärung stürmisch geführte philosophische Diskussion darüber, welche Sinneswahrnehmung die Unmittelbarste und Wahrhaftigste ist, hat der Sehsinn unumstritten gewonnen. Auch in den ästhetischen Diskussionen des 18. Jahrhunderts wurde lange darum gerungen, welcher der drei Sinne – Sehen, Hören oder Tasten – am feinsten Unterschiede wahrnehmen und den unmittelbarsten Eindruck von Kunst erzeugen kann. Geruch und Geschmack wurden zusammen mit allem, was diese erregt, als Nicht-Kunst aus der Diskussion verbannt. So können Gerüche nur über suggestive Bilder oder Analogien umrissen werden, sie sind für immer in Bildern gefangen.
Sicherlich ist die Beziehung zwischen Werbung und Produkt viel komplexer und Parfüms sind nur eines von vielen Beispielen für die indirekte, abstrakte oder symbolische Darstellung von Waren und Dienstleistungen. So funktioniert Werbung in vielen Fällen: Bei Versicherungen, Rausch- und Putzmitteln oder Kosmetik wird mit einem Lebensstil geworben, mit dem Resultat oder der Wirkung des Produkts. Glänzende, schuppenlose Haare, weiße Zähne und Laken, fleckenlose T-Shirts und staubfreie Böden ersetzen bis auf die kurze Darstellung der Verpackung das tatsächliche Produkt. Doch während die Bilder, die die Wirkungen eines bestimmten Putzmittels demonstrieren, öfters mit einer „Geld-Zurück-Garantie“ beglaubigt werden, werden die Düfte in der Werbung erst gar nicht beschrieben. Selbst dann wäre aber die Beschreibung nicht zuverlässig, denn in ihren Luxusflacons riechen sie für jede Person unterschiedlich – was man an seitenlangen Diskussionen in Parfümforen ablesen kann – und sind in ihrer Wirkung auf die Umwelt unvorhersehbar.
Welche Bilder sich für Parfümwerbungen angeblich am besten schicken und leider am häufigsten verwendet werden, brauche ich nicht lang auszuführen. Zur Faustregel, die die Werbung des italienischen Modehauses in Perfektion beherrscht, kommt man nach wenigen willkürlichen Sondierungen des Feldes: Sex Sells. Gandys Sixpack aus der Dolce&Gabbana-Werbung, also der Versuch, olfaktorische Eigenschaften durch konkrete Bilder spürbar zu machen, führt noch einmal die privilegierte Rolle des Sehens vor Augen. Gut, gepflegt, trainiert auszusehen, wird mit einem guten Körpergeruch identifiziert. Der Erfolg beim anderen Geschlecht, den die Protagonisten der Werbung in ihren zwei Versionen erleben (2. Version), soll nicht durch mühsame Workouts im Fitnessstudio oder Low-Carb-Diäten, sondern durch den Gebrauch des Duftes garantiert werden. Parfüm wird hier – und das ist der Normalfall – zu einem wahren Aphrodisiakum. Die olfaktorische Anziehung braucht keine Worte, sie ist unmittelbar, primitiv, irrational.

In den seltensten Fällen verzichten Parfümwerbungen auf halbnackte Körper oder sexuelle Anziehung. Körperduft scheint fest mit körperlichem Begehren verschränkt zu sein. Eine nur scheinbare Alternative bieten Naturbilder wie Blumen, Wälder, Eis, Wasserfälle oder Meerlandschaften. Diese zeugen erneut für die Ohnmacht der Sprache, einen Geruch abseits von Analogien zu beschreiben, bzw. heben die Bildhaftigkeit als wesentliches Merkmal der Sprache erst recht hervor. Die elementaren Kräfte der Natur können den Geruch zwar auch nicht hervorbringen, bieten jedoch mindestens einen ungefähren Imaginationsraum für die potenziellen KäuferInnen. Doch selbst in den naturinspirierten Werbespots übernehmen die elementaren Kräfte der Natur die Rolle des intimen Partners der euphorischen Frauenfigur und verlieren ihre primäre Bedeutung. Regen, Feldblumen oder exotische Pflanzen haben eine berauschende Macht über die Frauenfiguren, die muskulösen Männer wiederum bekriegen und besiegen ganz dem Klischee entsprechend alle Naturgewalten:

Dass Werbungen ein Gefühl bzw. einen Lebensstil verkaufen, ist eine Selbstverständlichkeit. Dass dieser Lebensstil wiederum positiv dargestellt werden muss, eine(n) Wunsch(-identifikation) anregen soll, liegt in der Logik des Verkaufens. Aber wenn schon Riechen, Geruch und olfaktorische Ingredienzien aus der Werbezeit der Videos und den Glanzpapierseiten der Mode- und Lifestylezeitschriften rigoros ausgeschlossen werden, was für Bilder werden uns als Ersatz und Inspiration angeboten? Was für einen Lebensstil, welche Emotion und welche Erfahrung vermitteln uns die attraktiven Körper von mehr oder weniger prominenten Figuren der Mode-, Film- und Musikbranche? Fördern sie eine Identifikation, rufen sie einen Wunsch hervor oder sorgen sie vielmehr für Irritation, sogar Enttäuschung? Sind die abstrakt anmutenden Bilder vielleicht doch zu konkret?

Einmal gerochen, für immer verliebt.

Parfümwerbungen kommen meistens ohne Monologe oder Dialoge aus. Die Unmittelbarkeit, mit der sich die Figuren in diesen Werbungen begegnen, braucht, wie bereits festgestellt, keine Sprache. Die Figuren haben meistens keine Vorgeschichte, auch wenn in der Tendenz Werbevideos immer narrativer, sujetreicher und länger werden (ein Beispiel hier wäre die dreiteilige Werbung von Wes Anderson und Roman Coppola für Prada Candy). Die Protagonisten, die sich in den herrlich prunkvollen Parfümwerbungen begegnen, haben keine Vergangenheit und noch weniger eine gemeinsame Geschichte, wie die folgende märchenhafte Nachtzugreise mit Audrey Tautou expliziert.

In diesem Werbespot ist der Geruch der eigentliche und wichtigste Orientierungssinn, der die Figuren letztendlich zusammenbringt. Jegliche Informationen zur Person sind hier marginal, genauso Informationen dazu, was genau gerochen wird. Ob Patschuli, Vanille, Moschus, Tabak oder doch Zitrusfrüchte, der Geruch behält seine mythisch-suggestive Absenz, die eine leere Projektionsfläche für heterogene Erwartungen bietet.
Das Lanvin-Logo, gemalt von Paul Iribe, das Jeanne Lanvin und ihre Tochter darstellen soll, schmückt seit 1927 die Flasche des Parfüms Arpège und ist damit ein früher Versuch, Frauen als Mütter anzusprechen.
Das Lanvin-Logo, gemalt von Paul Iribe, das Jeanne Lanvin und ihre Tochter darstellen soll, schmückt seit 1927 die Flasche des Parfüms Arpège und ist damit ein früher Versuch, Frauen als Mütter anzusprechen.

Das Lanvin-Logo, gemalt von Paul Iribe, das Jeanne Lanvin und ihre Tochter darstellen soll, schmückt seit 1927 die Flasche des Parfüms Arpège und ist damit ein früher Versuch, Frauen als Mütter anzusprechen.Jahre später hat Chanel für das prominente Werbevideo seines Evergreens Nº 5 das brasilianische Topmodel Gisele Bündchen engagiert. Sie soll nicht mehr eine geheimnisvolle Frau im Nachtzug (wie Audrey Tautou 2009), nicht eine vor Ruhm und Blitzlicht geflohene Diva (gespielt 2005 von Nicole Kidman) oder eine sich noch in der Blütezeit ihrer Karriere befindende Marilyn Monroe (deren Stimme für die Werbung 2012 postum benutzt wurde) darstellen, sondern eine Frau mit Vergangenheit. Die für die Traditionen des Hauses Chanel und für die Parfümbranche insgesamt an sich revolutionäre Idee, eine Frau mit Beruf und Familie zum Werbebild des ikonischen Duftes zu machen, ist einerseits an den mangelnden schauspielerischen Fähigkeiten Bündchens gescheitert, andererseits aber, weil Kind und Job in dem Video, die Gisele Bündchen dank einer Haushilfe so wundervoll meistert, im Sujet der Werbung ein sinnfreier Anhang bleiben. Letztlich steht das Treffen der Protagonistin mit ihrem Mann (Michiel Huisman) im Zentrum, das genauso geheimnisvoll wie alle romantisch-erotischen Szenen in Parfümwerbungen gezeichnet wird. Auch hier scheint die Omnipräsenz des Parfüms und insgesamt der Marke Chanel im Leben der Familie für die ewig brennende Flamme der Leidenschaft des Paares zu garantieren.

Zwinger, Limousine, Wiese – Topographie und Typologie der Parfümwerbung

Zu behaupten, dass Parfümwerbungen sonst keine starken, selbstbestimmten Frauen zeigen, wäre falsch. Doch ihre Stärke und Selbstbestimmung wird nicht durch Szenen aus dem Berufs- oder Beziehungsleben geschöpft, sondern aus ihren wiederum sehr sexuell aufgeladenen Konfrontationen mit dem anderen Geschlecht. (Dass Parfümwerbungen abgesehen von wenigen Werbungen für Unisex-Düfte äußerst heteronormativ agieren, versteht sich leider immer noch von selbst.) So z. B. in den Werbungen von Chanel für Coco Mademoiselle und Dior für Miss Dior.
Stärke und Selbstbestimmung oszillieren hier zwischen der Fähigkeit, jeden zu verführen, der Unfähigkeit oder dem Unwillen, sich festzulegen, und dem Bedürfnis, Instinkt und Gefühl zu folgen. Das Parfüm wird, wenn nicht zum Männerersatz schlechthin, so zumindest zum Ersatz für die feste Beziehung, zum Fetisch und Rauschmittel, das die Frauenfigur mal als überlegene femme fatale, mal als unterlegene Sklavin ihres Kosmetikschrankes erscheinen lässt. Die Parfümwerbung kann nur die alleinstehende, ungebundene Frau als Protagonistin haben, denn im phallischen Flakon findet sie bereits ihre Befriedigung. Nicht zufällig erscheinen vor diesem Hintergrund Produktnamen wie Addict von Dior und Opium von Yves Saint Laurent, in deren Werbespots die Protagonistinnen wie besessen alles hinter sich lassen, um sich der Flasche und der sie füllenden Substanz zu ergeben. Auch nicht explizit darauf verweisende Düfte übernehmen diese Ästhetik und geben ihr das Gesicht einer verruchten Kate Moss wie im Werbespot für Yves Saint Laurents Parisienne

oder die Gesichter mehrerer jungfräulicher Feengestalten wie in den Videos für Daisy von Marc Jacobs

 

 

Die Idee der immer ledigen Frau kann in der Parfümbranche leider nur drei, höchstens vier Formen annehmen – die von Leder und Satin umgebene Pariser „Edelhure“, die minderjährig anmutende, naturverbundene Blondine, die barfuß in weißem Baumwollkleid durch grüne Wiesen läuft, die Bezwingerin von wilden Tieren (meistens Raubkatzen) oder die leichtsinnige Mädchenfrau, die einfach mal Spaß haben will. Trotz einem prächtigen Angebot an verschiedensten Düften ist die Typologie der Parfümwerbung schnell erschöpft. Diese vernachlässigt die Produkte, für die sie wirbt und reduziert sie auf wenige bereits gut bekannte Bilder.
Die sich auffällig wiederholenden Orte und Akteure der Parfümwerbung sorgen nicht nur dafür, dass die ZuschauerInnen schnell die einzelnen Videos Typen zuordnen können. Die Werbungen sind mittlerweile selbst zu Parodien inspirierenden Verkaufsschlagern geworden. Dadurch haben sie nicht unbedingt an Wirkung eingebüßt. Diese sehr beschränkte Anzahl von Bildern und Typen von Frau und Mann sind in ihrer Schönheit und stilvollen Ausführung äußerst ansprechend – doch in dem Raster von Sportler, Playboy, Femme fatal und Lolita auch extrem einschränkend. Das Parfüm als ephemere Substanz, die nur unbenutzt, in der Flasche eine Form besitzt, kann, sobald sie diese verlässt, beliebig viele Formen in der Imagination hervorrufen. Die sexuellen Konnotationen, die ihm die Werbekampagnen aufzwingen, können durch ihren Glanz und ihre Ästhetik anziehend sein. Durch ihre konkreten Bilder können sie aber auch die eigene bildliche Vorstellung des Duftes, die damit verbundenen Erinnerungen oder die Illusion, dass man über den Duft eine Besonderheit dazugewinnt, unvergesslich und unverwechselbar wird, ruinieren. Vielleicht möchte man sich nicht neben einem Tiger imaginieren und noch weniger auf einem Pferd liegend, sondern den Freiraum haben, eigene Phantasien zu erdenken und Gerüche mit einer Vielfalt an Situationen und Orten zu verbinden, die über seidene Bettlaken und die Lederpolster schicker Oldtimer hinausgehen.
Poison von Dior: Eine gefährlich-geheimnisvolle Substanz.
Poison von Dior: Eine gefährlich-geheimnisvolle Substanz.

Die Einschränkung der Parfümbranche auf die erotisch-mystische Thematik und die aus ihr resultierenden Frauentypen ist ein Phänomen, das sich bis in die 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts zurückverfolgen lässt. So ordnet Arthur Minton in seinem Artikel All the Perfumes of America in der linguistischen Zeitschrift American Speech von Oktober 1946 hunderte Parfümnamen in thematische Gruppen ein. Für Frauendüfte tauchen Liebe, Verführung, Magie, Nacht, Orient oder die Stadt Paris als Themenkreise am häufigsten auf, für Männerdüfte – in den 40er Jahren immer noch eine Neuigkeit – meistens Sport und Luxus. Bevor Minton mit seinen Aufzählungen beginnt, hält er jedoch fest: „Perfume names reflect mainly the erotic and euphorical powers of perfumes, distinctions between these being blurred.“ Die Werbung und, wie Minton zeigt, der Name sehen vollkommen von der Tatsächlichkeit des Duftes ab. Ob süß oder würzig, mit Veilchen oder Jasmin – die Werbung suggeriert ähnliche Bilder. Nun sind gerade Parfüms aber konkrete chemische Mischungen, die durch ihre Ingredienzien beschreibbar sind: Vanille, Rosenöl, Basilikum, Zitrone, Maiglöckchen, Sanderholz, Patchouli. Dies interessiert aber die Produzenten nicht: Oft können potenzielle KäuferInnen nicht einmal auf den Verpackungen etwas zur Art und Zusammensetzung des Geruchs finden, sondern nur zum chemischen Aufbau der Flüssigkeit.

I Hate Perfume

Den Versuch, das übermystifizierte Parfüm von seinem alten Glanz zu befreien und mit neuen, frischen Bildern zu besetzen, unternehmen immer mehr Designerhäuser. Die Aufwertung der sonst so vernachlässigten Duftnoten und die Verpackungsästhetik, die an Apothekenfläschen und Heilmittel erinnert, ist eine der Richtungen, die diese Befreiung des Parfüms aus seinem einseitig-erotischen Image nimmt. Ein Beispiel dafür wäre das französische Designerhaus Maison Martin Margiela mit der Parfümlinie REPLICA: Reproduction of Familiar Scents and Moments of Varying Locations and Periods, das die Idee von Düften als Erinnerungsträger aufgreift und originell vermarktet: Tea Escape, By the Fireplace, Beach Walk oder Lazy Sunday Morning werden als Erinnerungen und konkrete Situationen durch maschinengeschriebene Daten und Orte sowie die Aufzählung von Duftelementen authentifiziert, aber auch als beliebig reproduzierbar ausgestellt. (untitled), ein Unisex-Parfüm desselben Hauses, pointiert durch die minimalistische Verpackung und den sich negierenden Namen die Flüchtigkeit des Produkts und erlaubt dem Duft und den KäuferInnen eine beliebige Neubesetzung über Geschlechterdifferenzen und Paratexte hinweg.
Noch offensiver greifen État Libre d’Orange den Mythos Parfüm an mit Projekten wie dem Männerduft Fat Electrician oder Sécrétions Magnifiques, die für die Parfümbranche sehr untypische, überexplizite Bilder hervorrufen wollen: die Melancholie eines gescheiterten High-School-Playboys oder die Vermischung von Blut, Sperma und Brustmilch. Der schwedische Parfümproduzent Agonist geht noch einen Schritt weiter und beschreibt die einfachgehaltenen Flacons (nicht zu verwechseln mit den kunstvollen Glaskreationen, in die man das Parfüm umfüllen kann) mit einer detailreichen Auflistung aller Duftnoten. Düfte wie Solaris, Liquid Crystal, Vanilla Marble und Black Amber kombinieren olfaktorische Ingredienzien, Gesteine, aber auch exotisch-rare Substanzen, wie das aus Schimmelpilzen gewonnene Oud – Eindrücke, die die schwedischen Parfümmacher Christine und Niclas Lydeen während ihrer Reisen sammelten.
Verschiedene Reisen außerhalb des Boudoirs bietet auch Christopher Brosius. Der Besitzer und Hauptdesigner der Marke I Hate Perfume richtet sich durch seine olfaktorischen Mischungen wie In the Library, Faggot oder Invisible Monster gegen das Parfüm als künstliche und nivellierende Hülle. Inspiriert von seinen Erfahrungen als Taxifahrer erinnert sich der Parfümmacher immer noch an die Kundinnen, die sich nach dem Ende des Arbeitstages in seinem Taxi heftig „with some horrible crap“ besprühten und das Parfüm als ein „offensive weapon“ nutzten.

Die aufgezählten Nischenkonzepte verdienen eine massenhafte Verbreitung, denn sie verwischen nicht nur die Grenzen zwischen männlichen und weiblichen Düften und dadurch die Stereotypen, die diese immer wieder mit sich bringen, sondern eröffnen auch ein neues Universum an Gerüchen, die selten in Parfümbeschreibungen zu lesen sind, die originell, universal und überraschend sind. Diese schöne neue Welt des Parfüms versucht nicht, sex und gender auf einen Wunsch und eine Wesenheit zu fixieren (triebgesteuerte Amazone oder willensstarker Herkules), sondern rückt nicht-menschliche Akteure ins Zentrum. Dass Düfte eine Geschichte inspirieren können, wie ihre Vermarktung zeigt, ist wunderschön. Dadurch kann man erfahren, dass kognitive Erfahrungen Geschmack und Geruch beeinflussen. Doch gerade diese Eigenschaft der Werbung, Geschichten zu erzählen, sollte ein Interesse für die Vielzahl an Situationen und Erinnerungen wecken, die kapitalisiert werden können, und nicht das Beharren auf ein Minimum an Auswahl unterstützen. Also nicht Edelhure oder Lolita, Sportler oder Gentleman, sondern die Bibliothek, der Strand, die Pride Parade, der Bernstein, die Hoffnung, das Licht, der Friseurladen, der Waschsalon, das verbrannte Holz oder die neuen Lederhandschuhe sollten neue Ordnungsmuster für unsere Träume, Wünsche und Erinnerungen bereitstellen: ein Fetischismus neuer Art, der uns als KonsumentInnen umdefiniert. KonsumentInnen, die nach der genausten und überzeugendsten Replica eigener Erinnerungen und Wünsche suchen – eine Suche, die die Frage nach dem Ursprung und Urheber des Sinnes, der Erfahrung und des Traums ohne befriedigende Antwort lässt. Denn mit welcher Bedeutung wir überhaupt Geschlecht, Körperlichkeit und gesellschaftliche Rolle besetzen, wie wir unseren Alltag sehen und beschreiben, ist kein authentischer Prozess abseits des Bildschirms, sondern immer innigst mit der medialen Realität verbunden. Als Teil dieser marktorientierten Realität sollten Parfümwerbungen die Pluralität des Imaginären demonstrieren und kapitalisieren.

Bilder:
Lanvin-Logo, veröffentlicht als gemeinfrei über Wikimedia Commons.
Dior Poison, Foto von kuzmanovizc via Wikimedia Commons (CC-by-2.0).

3 Gedanken zu „Duftende Bilder. Über den Imaginationsraum von Parfümwerbungen“

  1. Was für ein anregender, kluger Text! Das heißt, Text stimmt ja nicht ganz, vielmehr handelt es sich um eine interessante Mischung (deren Bezeichnung wie hieße?) aus Text, Videos und einigen Bildern. Ihr Vorteil der größeren Vielfältigkeit und Anschaulichkeit kommt allerdings nicht ohne Kosten. Sie bestehen in dem enormen erforderlichen Zeitaufwand, all das zur Kenntnis zu nehmen. Für mich ergab sich das Dilemma, bei der Neuheit und Unvertrautheit mit der Thematik das Gebotene möglichst lückenlos zur Kenntnis nehmen zu wollen, mit der Bewältigung dieser Aufgabe aber zunehmend in Zeitnot zu geraten. Ich habe mich zugunsten dieses Beitrages, damit aber auch zulasten einer Reihe anderer Zeitverwendungen entschieden. (Andere interessierte Blog-Leser müssen sich bei noch größerer Zeitnot vielleicht anders entscheiden.)

    Die Analyse der vorgestellten Werbeinhalte finde ich gelungen, ihr Ergebnis plausibel: Werbeträgerin ist die alleinstehende, ungebundene Frau in den vier aufgeführten Typen. Daß das so ist, hat viel mit den Parfümherstellern und ihren Marketingabteilungen und Werbeagenturen zu tun, sicherlich. Interessant wäre darüber hinaus zu erfahren, an wen sich die Werbung eigentlich vornehmlich richtet, wer die Produkte kauft, denn auf die zielt ja die Werbung. Sind das wirklich Frauen (oder Männer) in festen Beziehungen, mit Kindern, kleinen oder schon großen? Sicherlich kann man Daten und Zahlen über die Käufer herausfinden.

    Für mich ein Aha-Erlebnis auch der Befund: „Die Werbung und … der Name sehen vollkommen von der Tatsächlichkeit des Duftes ab.“ So ist es! Ich selbst mag gern den Duft von Flieder und Maiglöckchen und habe versucht, wenigstens einen davon in (hiesigen, nicht berliner) Parfümläden zu kaufen. Flieder: dreimal höfliches Bedauern, Maiglöckchen: zweimal dasselbe, einmal annähernd erfolgreich, aber unter einem Namen, der mit dieser geruchsintensiven Frühlingspflanze gar nichts zu tun hat. Über den Hinweis auf die „Replica Reproduction of Familiar Scents and Moments of Varying Locations and Periods“ – Düfte als Erinnerungsträger – bin ich dankbar.

    Schließlich kann ich das abschließende Plädoyer für die massenhafte Verbreitung von Nischenkonzepten und für „die Bibliothek, den Strand, die Pride Parade, den Bernstein, die Hoffnung, das Licht, den Friseurladen, den Waschsalon, das verbrannte Holz oder neuen Lederhandschuhe“ als Erzählungen für Düfte und ihre Werbung nur gutheißen und unterstützen. Ob sich das aber „kapitalisieren“ läßt? Die etablierten Firmen wählen bisher die alte Strategie. Vielleicht eine gute „Start-up“-Idee?

  2. Ja, das finde ich eine der spannendsten Fragen, die der Beitrag aufwirft, und über die ich bisher nur in Bezug auf Medien im engeren Sinne – nicht in Bezug auf Werbung – nachgedacht hatte: Inwieweit kann sich Werbung darauf zurückziehen, nur die (angebliche? tatsächliche?) Vorstellungswelt, also die Nachfrage der potentiellen Käufer zu befriedigen, und inwiefern schafft sie diese Vorstellungswelt erst? Mich würde dazu Antworten von unterschiedlichen Seiten interessieren: a) Medientheorie. Luhmann hilft nur bedingt weiter, weil für ihn zentral ist, dass Medien etwas in die Welt setzen, ohne wirklich zu wissen, wie es ankommt. Das gilt im Zeitalter sofort sichtbarer Klickzahlen nicht mehr unbedingt. Wo kann man mehr dazu lesen? b) Ökonomik. Gibt es hier nur Say vs. Keynes oder genauere Überlegungen zu solchen Fragen? c) Praxis. Hier kann Julian weiterhelfen.

  3. Die Frage, ob die aufgezählten Nischenkonzepte massenhaft erfolgreich sein können, habe ich mir beim Schreiben auch gestellt. Ich verfüge leider über keine Statistiken oder Verkaufszahlen, kann mir aber vorstellen, dass die von den großen Parfümmarken seit Jahrzehnten verfolgte Strategie sehr erfolgreich ist und sich deswegen auch hält. Und zwar bei vielen verschiedenen Altersgruppen. Die Adressaten dieser Werbungen sind wir alle, da sie sich, so scheint es mir zumindest, auf ein kollektives Imaginäres zu stützen versuchen: Alle Männer wollen sportliche Playboys sein; alle Frauen wollen schlank, schön und begehrt sein. Die Bilder, die dies zeigen sollen, sollen in diesem Sinne als universell gelten. Man würde denken, dass es Düfte gibt, wie z. B. Chanel 5, Poison von Dior oder Opium von YSL, die eher für reife Frauen mittleren Alters konzipiert sind. Aber auch ihre Werbungen orientieren sich an einem jungen Publikum. Die speziellen Nischenkonzepte, die auch mit abwechslungsreichen Bildern arbeiten, sollen nicht @Sören einfach die konkrete Nachfrage stillen, sondern dieses kollektive Imaginäre erweitern. Ich glaube, sie werden nie die anderen Kampagnen ersetzen können, da die Vorstellung von Vitalität, körperlicher Anziehung und Schönheit essentiell ist. Klar @Sören die konkreten Ausführungen dieses Schönseins und Begehrtwerdens werden durch Bilder und Werbungen mitkonstruiert. Ich erhoffe mir weiterhin, dass diese zum Teil auch sehr radikalen Ideen, Kosmetik zu produzieren und zu vermarkten, zu einer größeren Auswahl von Typen führt. Auch wenn diese sich weiterhin an bestimmten Konstanten orientieren würden.

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