Wahlen sind für alle da

Wenn heute der neue Bundestag gewählt wird, dürfen über 20 Millionen Menschen in Deutschland nicht mitentscheiden, weil sie kein Wahlrecht haben – ein Skandal, der viel zu selten thematisiert wird.

Parlamentswahlen sollten die Sternstunde der Demokratie sein, Fixpunkt öffentlicher Deliberation und Vollzug politischer Selbstregierung. Bei der (heutigen) Bundestagswahl sind allerdings Zweifel angebracht. Nicht nur, dass den Wählerinnen und Wählern eine falsche Dichotomie zwischen konservativer Alternativlosigkeit und reaktionärer Zeitreise aufgedrängt wird. Nicht nur, dass die rein nationale Mitbestimmung unzureichend ist, um die globalisierten Probleme des 21. Jahrhunderts zu lösen. Nein, der Defekt der deutschen Demokratie (und nicht nur dieser) ist noch fundamentaler: Obwohl über 82 Millionen Menschen in Deutschland leben, verfügen nur 61,5 Millionen über das Wahlrecht. Mehr als 20 Millionen Menschen sind bei dieser weitreichenden Entscheidung über unsere politische Zukunft ausgeschlossen. Das ist ein Skandal, über den endlich gesprochen werden muss.

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Smells Like German Spirit. Again.

Volksgemeinschaft – diesen Gestank kann die AfD nicht verbergen. Er strömt ihr aus allen Poren. Sie kann sich drehen und winden, sie bekommt ihn nicht los. Warum? Weil der Gestank ihr Markenkern, ihre Identität und ihr Fetisch ist.

Republikanische Automaten. George Grosz. 1920.

Die AfD zu skandalisieren ist heute keine Kunst mehr, sondern gehört als Teil der Kulturindustrie zum alltäglichen Geschäft. Die AfD produziert so viel Hetze, dass es zwar Mühe macht, eine gute Story über ihre Menschenfeindlichkeit zu schreiben – sie im Detail zu finden, ist dagegen nicht schwer, weil die AfD die plurale, freiheitliche und rechtsstaatliche Demokratie jeden Tag beleidigt. Und da bad news kulturindustriell gewendet zu good news werden, ist die AfD ein Themengebiet indem Journalistinnen sich die Finger wund schreiben. Das Problem: die AfD ist mittlerweile so aktiv geworden, man kommt einfach nicht mehr hinterher. Internet, Fernsehen, auf Straßen und in Parlamenten. Überall werden abenteuerlichste menschenfeindliche Phrasen und Praktiken propagiert. Überall menschenverachtender weltanschaulicher Mief, der, schaut man in die Geschichte der Weltgesellschaft, schon immer irgendwie bestialisch gestunken hat, weil er bestialisch ist. Durch die serienmäßige Produktion dieses Gestanks, wird der Geruch zum Alltag und oft genug geht die stinkende Aura der AfD-Propaganda im Alltäglichen unter. Und das ist das größere Problem. Die Normalität.

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Die Alternative für Europa

Das Zeitalter der Alternativlosigkeit ist an sein Ende gekommen. Mit Trump, Brexit und der „Alternative für Deutschland“ hat sich ein Gegenmodell zur Globalisierung formiert: Nationalismus, Abschottung, Repression. Wenn die offene Gesellschaft gegen diesen Ansturm eine Chance haben will, muss sie eine eigene, progressive Alternative entwickeln, anstatt den Status Quo zu verteidigen.

„There Is No Alternative.“ Margaret Thatcher begutachtet Truppen in Bermuda,  1990, gemeinfrei via Wikimedia Commons

„There Is No Alternative.“ Mit dem berühmten TINA-Prinzip leitete Margaret Thatcher Ende der 70er Jahre programmatisch das Zeitalter ein, das jetzt an sein Ende kommt: das Zeitalter der Alternativlosigkeit. Die rechten Bewegungen, die derzeit in Mitteleuropa Morgenluft wittern, während sie in den USA, Großbritannien, Ungarn, Polen und Bayern bereits an der Macht sind, präsentieren sich – ganz wie die Faschisten der 20er Jahre – vor allem als Alternative: zur Globalisierung, zu Europa, Technokratie und Freihandel, zur liberalen Demokratie mit Freiheitsrechten, Minderheitenschutz und Rechtsstaat. Der Status Quo ist für sie unerträglich – er muss radikal umgestürzt werden, koste es, was es wolle.

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Wider die Eskalation

Charlotte Theile zeigt, dass es in der Auseinandersetzung mit Rechtspopulisten weder ideologischer Aufrüstung noch Apokalyptik bedarf – sondern zuvorderst der Grundtugenden des Qualitätsjournalismus.

Die kritische Auseinandersetzung mit Populisten verführt dazu, es ihnen gleichzutun und auf Eskalation zu setzen. Gezielt gestreuten Provokationen folgt zuverlässig die Empörung, auf verbale Entgleisungen der moralische Aufschrei. Wenn Ethnopluralisten Kleinstaaterei und Kulturchauvinismus frönen, wird von ihren Gegnern unweigerlich das Pathos der universellen Menschenrechte bemüht. Zitieren sich Rechtskonservative schneidig durch die Œuvres von Ernst Jünger oder Oswald Spengler, parieren Linksprogressive umso leidenschaftlicher mit Michel Foucault oder Chantal Mouffe. Angesichts irritierender Vermischungen im rechten wie im linken Lager – neoliberale oder dieselfahrende Grüne, sozialdemokratische Putinversteher, Hipster-Identitäre, rhetorisch versierte Neonazis, etc. –, wirken die überkommenen, komfortablen Kampfbegriffe immer öfter hilflos. „Nazi!“ schleudern die einen dem Nationalkonservativen ins Gesicht; „Linksfaschistin!“ brüllen die anderen der Linksliberalen hinterher.

Wenn es Populisten gelingt, ihre Kritiker in eine Arena mit aufgepeitschter Stimmung zu locken, haben sie schon gewonnen. Was dann gesagt, wie dann argumentiert wird, spielt eine untergeordnete Rolle. Das Medium ist die Botschaft und der Ton macht die Musik, in diesem Fall: den Marsch.

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