Wider die Eskalation

Charlotte Theile zeigt, dass es in der Auseinandersetzung mit Rechtspopulisten weder ideologischer Aufrüstung noch Apokalyptik bedarf – sondern zuvorderst der Grundtugenden des Qualitätsjournalismus.

Die kritische Auseinandersetzung mit Populisten verführt dazu, es ihnen gleichzutun und auf Eskalation zu setzen. Gezielt gestreuten Provokationen folgt zuverlässig die Empörung, auf verbale Entgleisungen der moralische Aufschrei. Wenn Ethnopluralisten Kleinstaaterei und Kulturchauvinismus frönen, wird von ihren Gegnern unweigerlich das Pathos der universellen Menschenrechte bemüht. Zitieren sich Rechtskonservative schneidig durch die Œuvres von Ernst Jünger oder Oswald Spengler, parieren Linksprogressive umso leidenschaftlicher mit Michel Foucault oder Chantal Mouffe. Angesichts irritierender Vermischungen im rechten wie im linken Lager – neoliberale oder dieselfahrende Grüne, sozialdemokratische Putinversteher, Hipster-Identitäre, rhetorisch versierte Neonazis, etc. –, wirken die überkommenen, komfortablen Kampfbegriffe immer öfter hilflos. „Nazi!“ schleudern die einen dem Nationalkonservativen ins Gesicht; „Linksfaschistin!“ brüllen die anderen der Linksliberalen hinterher.

Wenn es Populisten gelingt, ihre Kritiker in eine Arena mit aufgepeitschter Stimmung zu locken, haben sie schon gewonnen. Was dann gesagt, wie dann argumentiert wird, spielt eine untergeordnete Rolle. Das Medium ist die Botschaft und der Ton macht die Musik, in diesem Fall: den Marsch.

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Ich sehe was, was du nicht siehst

Bei den Protesten rund um den G-20 Gipfel war Gewalt omnipräsent. Vermummt, schwarz gekleidet und teilweise hoch aggressiv zeigte sich die Staatsgewalt in Hochform. Wer jetzt vom „Linken Terror“ redet, übertreibt maßlos und legitimiert unverhältnismäßige Polizeigewalt.

Aleppo, Donezk, Mossul – Hamburg!?

Wer als Zuschauerin am politisch und massenmedial aufgebauschten Thema Linksextremismus teilnimmt, dem graust mittlerweile schon dann, wenn das Wort „Schwarzer Block“ nur fällt. Das ist verständlich. Eine gut organisierte paramilitärische Einheit soll die Hölle über Hamburg gebracht haben. Für den Stern war die Lage „apokalyptisch“, er berichtet über die „Schlacht“ in der „Kampfzone“ Hafenstraße, von einer „Armee in schwarzer Uniform“, von „schwarzen Kämpfern“. Diese angsteinflößende Armee muss auch Stefan Dammann vom Weserkurier erschüttert haben, denn ihm zufolge herrschten in Hamburg „kriegsähnliche Zustände“. Klar denkt die Leserin dann gleich an Afghanistan, ein Land im „kriegsähnlichen Zustand“ (Theodor zu Guttenberg). Eine Sandra P. wird derweil in der Zeit zitiert: „Es war wie im Krieg.“ Als André Trepoll, Fraktionsvorsitzender der Hamburger CDU, im Senat schilderte, was seine „Kollegin“ von einer „älteren Hamburgerin“ erfahren haben will, ergibt sich ein eindeutiges Bild Hamburgs in den Zeiten von G20. Die Hamburgerin fühlte sich an „ihre Jugendzeit im Krieg erinnert“, so Trepoll.

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Die künstliche Intelligenz gefährdet die Demokratie – wem wir deshalb bei Facebook folgen sollten

Immer häufiger ist die Rede von künstlicher Intelligenz (KI). Aber nicht allen fällt es leicht, sich etwas darunter vorzustellen. Woran denkst Du bei dem Begriff? Denkst Du an selbstfahrende Autos, an einen menschenähnlichen Computerassistenten, oder denkst Du eher an eine bedrohliche Roboterarmee? Die öffentliche Wahrnehmung von KI wurde in den letzten Jahren vor allem geprägt von Kinofilmen wie Matrix, Ex Machina, A.I. oder I Robot. All diese Filme sind Dystopien, in denen ein Computerprogramm selbstständig wird und Menschen dominiert. Die Gefahr, die von KI ausgeht, wird deshalb meistens in einer fernen Zukunft verortet.

Die Gefahr ist jedoch schon jetzt gegenwärtig und alltäglich. Sie begegnet uns nicht als Roboterarmee, sondern im Internet, in Form selbstlernender Algorithmen. Diese Algorithmen bestimmen, was wir auf unseren Laptops, Tablets und Smartphones zu sehen bekommen: welche Treffer uns Google angezeigt, welche Werbung uns eingeblendet wird, welche Beiträge wir bei Facebook sehen. Die Algorithmen entscheiden ebenso darüber, was wir nicht sehen: welche Nachrichten und welche Posts uns verborgen bleiben, welche Freunde, Webseiten und YouTube-Videos uns nicht vorgeschlagen werden. „Die künstliche Intelligenz gefährdet die Demokratie – wem wir deshalb bei Facebook folgen sollten“ weiterlesen

Schreibt nicht den Teufel an die Wand!

Ich habe die Nase voll. Tod, Katastrophe, Anschlag. Tod, Katastrophe, Anschlag. Ist die Welt so bösartig, wie sie auf uns einprasselt? Würde man den Eilmeldungen der auflagenstärksten Zeitungen, der meist gesehenen Nachrichtensendungen und der meist geklickten Online-Portale Glauben schenken, dann ist die Welt dem Untergang geweiht. Ich habe jetzt alle Nachrichten-Apps auf meinem Smartphone deinstalliert, weil jede destruktive Nachricht alle meinen guten Vorsätze für den Tag zunichte machen kann. „Schreibt nicht den Teufel an die Wand!“ weiterlesen

Erlogene Wahrheiten und wahre Lügen. Verschwörungstheoristen und die Realität der Massenmedien

Warum Realität fluider wird, Verschwörungsphantasien ein regressiver Reflex auf moderne Massenmedien sein könnten und kritische Vernunft erkenntnisfördernd wirkt.

Wenn die Welt von Marx für ihn aussah wie eine unglaubliche Ansammlung von Waren – diesen Dingern „voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken“ – wie würde sich Marx dann heute in der Welt zurechtfinden? Das „Informationszeitalter“ hat gelernt, eine ganz eigene Produktionsweise von Waren in Form von Meinungsofferten zu entwickeln, die sich augenscheinlich sehr differenziert hat. Diese Waren werden nicht mehr primär auf ökonomischen Märkten gehandelt, sondern auf hoch frequentierten und hoch frequenten Märkten für Öffentlichkeiten. Meinungen, Neuigkeiten, Nachrichten kursieren als Produkte dieser Märkte und werden bewertet und konsumiert. Auch hier, ganz wie auf den ökonomischen Märkten, herrscht Überfülle: ein riesiges Spektrum an Meinungsbedürfnissen kann/könnte befriedigt werden. Die Medienlandschaft will und muss sich, um das leisten zu können, organisieren – gesellschaftlich und eben nicht persönlich organisieren wie manche „Lügenpresse!“-Schreihälse es sich scheinbar nur vorstellen können. Es gibt keine Leitinstanz, kein Kartell, keine Oberhoheit, das die Medien steuern oder auch nur überblicken könnte. Massenmedien steuern sich selbstreferenziell. Und dies ist eine unglaublich unwahrscheinliche und bewahrenswerte Kostbarkeit.

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Die Leitkultur-Lüge

Die Stimmung, so meinen manche Beobachter, ist gekippt. Eine Umfrage behauptet, dass mittlerweile die Mehrheit der deutschen Bevölkerung im Umgang mit der Flüchtlingskrise ängstlicher geworden sei und die ihr aus der Zuwanderung vermeintlich entstehenden Nachteile stärker gewichtet als Mitleid und Zuversicht. Medien wie die ARD, die die Umfrage in Auftrag gegeben hat, schaffen sich so eine Legitimation dafür, Sichtweisen zu vertreten, die sie selbst hervorgerufen und verbreitet haben. Denn in der Mediengesellschaft gibt es eine enge Korrelation zwischen den in den Massenmedien kolportierten Meinungen und dem, was als Ergebnis bei derlei Umfragen herauskommt: Wenn die Massenmedien die Chancen der Zuwanderung und berechtigtes Mitleid mit den Flüchtlingen in den Vordergrund stellen, geben Umfragen anschließend diese Narrativierungen wieder; wenn sie stattdessen Schwierigkeiten, Probleme und „Herausforderungen“ betonen, kommt auch das in den Meinungsumfragen an. „Was wir über die Welt wissen“, meinte Niklas Luhmann sehr richtig in Die Realität der Massenmedien, „wissen wir durch die Massenmedien“. Wie sollte unter diesen Umständen eine Meinungsumfrage das wiedergeben, was „die Leute“ „wirklich“ denken, also ohne Beeinflussung durch die Massenmedien? Anders gesagt: Die Stimmung kippt nicht, sie wird gekippt – von Medienmachern und Politikern. Wenn man also verstehen will, ob oder warum „die Stimmung kippt“, muss man nach sich ändernden Erzählungen suchen, die bestimmte Stimmungen begünstigen und andere in den Hintergrund drängen.

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Tsipras gegen Merkel? Wie man über Europa schreiben sollte – und wie nicht

Nur selten ringe ich mich dazu durch, mir einen Spiegel zu kaufen. Mein Problem: Da ich mich für fast alles interessiere, komme ich kaum umhin, fast das gesamte Heft zu lesen (das einzige, was mich wirklich gar nicht interessiert: welcher Fuzzi nun welches Unternehmen leitet), und das kostet mich üblicherweise mindestens einen ganzen Tag. Ab und an tue ich es aber doch, nehme mir einen Tag Zeit und fühle mich am Ende gut über die meisten aktuellen Themen informiert – besser jedenfalls, als wenn ich, womöglich stündlich, die Sensationsmeldungen im Internet verfolge, die meistens ohne jede Einordnung und Analyse nur ein paar Informationsfetzen präsentieren.

Am Sonntag habe ich mir also wieder einmal einen Spiegel gekauft, aus dem einfachen Grund, dass ich wissen wollte, was nun schon wieder mit den Griechen los ist, und was das für Europa bedeuten kann. Der Titelbericht mit dem dümmlichen Titel Der Wutgrieche (hier eine frei zugängliche englische Version, die teilweise noch schlimmer ist) ist aber in eigentlich jeder Hinsicht eine Enttäuschung: Nicht nur enthält er quasi keine selbst recherchierten Hintergründe aus Griechenland, etwa: Welche Parteien standen überhaupt zur Wahl? Wie funktioniert das griechische Parteiensystem? Woher kommt Syriza? Wer sind die Minister im neuen Kabinett? Er weigert sich auch, darüber nachzudenken, ob die derzeitige europäische Krisenpolitik, die komplett daran gescheitert ist, Griechenland vor einer ausgewachsenen Great Depression zu bewahren, wirklich Sinn macht, oder ob es nicht doch Alternativen gibt (und wenn ja: welche? wie kann man sich ihre praktische Umsetzung vorstellen?). „Tsipras gegen Merkel? Wie man über Europa schreiben sollte – und wie nicht“ weiterlesen

Your Monthly Good News, November 2014

There’s a problem with your everyday media: It is fed and nurtured by bad news, by misery, wars, crises, catastrophes. To make matters worse, journalists seem to think that their only task is to be critical about pretty much everything, leading to a depiction of politics and everyday life as disgraceful and appalling. Therefore most people believe that everything goes down the drain.
But hidden in the latter parts of magazines and newspapers, tucked away in nameless afternoon TV shows, you sometimes find news noone prepares you for: There’s more democracies now than there have ever been, you learn. Extreme poverty fell by 500 million people in the last 30 years. These are the rare occasions when good news gets so big that not even your everyday media can keep quiet about it. In our column Your Monthly Good News, we provide you with good news from the corner of the media machine, news that might give you a reason to be as optimistic as we are about the state and future of the world.

This is only the news we have noticed. If you come across something, a report, a short note, whatever, please just send us the link via mail@unserezeit.eu and we’ll include it in our next collection.

November’s Best News

The best news I have seen this month comes from the small German town of Goslar. Towns like Goslar have generally not really been the seedbed of good news in the past decades: people all over Germany – or indeed, all over the world – are moving to bigger cities, leaving Goslar and places like it depopulated and empty. Flats stand vacant, houses are torn down, economies shrink.

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Your Monthly Good News, October 2014

There’s a problem with your everyday media: It is fed and nurtured by bad news, by misery, wars, crises, catastrophes. To make matters worse, journalists seem to think that their only task is to be critical about pretty much everything, leading to a depiction of politics and everyday life as disgraceful and appalling. Therefore most people believe that everything goes down the drain.
But hidden in the latter parts of magazines and newspapers, tucked away in nameless afternoon TV shows, you sometimes find news noone prepares you for: There’s more democracies now than there have ever been, you learn. Extreme poverty fell by 500 million people in the last 30 years. These are the rare occasions when good news gets so big that not even your everyday media can keep quiet about it. In our new column Your Monthly Good News, we provide you with good news from the corner of the media machine, news that might give you a reason to be as optimistic as we are about the state and future of the world.
This is only the news we have noticed. If you come across something, a report, a short note, whatever, please just send us the link via mail@unserezeit.eu and we’ll include it in our next collection.

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Journalist oder Aktivist? Hauptsache Bernd Lucke.

Zeitungen und Pokerkarten haben eines gemeinsam – manche Kombination sollte man besser weglegen. Bernd Lucke und die durch Gewitterwolken verdunkelte Akropolis in einer Wirtschaftszeitung ist so eine Kombination. Ich las ihn dann doch, diesen Artikel in der Wirtschaftswoche, aus dem gleichen Leichtsinn, aus dem ich regelmäßig Ausflüge in das finstere Tal der Spiegel Online-Kommentare unternehme. Oder um es mit einem Filmzitat zu sagen: