Zeitungen und Pokerkarten haben eines gemeinsam – manche Kombination sollte man besser weglegen. Bernd Lucke und die durch Gewitterwolken verdunkelte Akropolis in einer Wirtschaftszeitung ist so eine Kombination. Ich las ihn dann doch, diesen Artikel in der Wirtschaftswoche, aus dem gleichen Leichtsinn, aus dem ich regelmäßig Ausflüge in das finstere Tal der Spiegel Online-Kommentare unternehme. Oder um es mit einem Filmzitat zu sagen:
Es folgte dieselbe Prozedur wie jedes Jahr: Eine fadenscheinige „Neuigkeit” dient als Grund, ausgiebig und unausgeglichen europakritisch zu berichten, ohne dabei Aussagen zu belegen. Garniert wird der „Politische Jahresausblick“ mit einem deterministischen „so wird das Jahr 2014 für Deutschland und die EU“. Ich raufte mir die Haare.
Die richtige Diskussion …
Gerade möchte ich den Laptop zuklappen, da fällt mir die aktuelle Debatte um Glenn Greenwald ein: Der ehemalige Kolumnist beim Guardian veröffentlichte die Dokumente des Whistleblowers Edward Snowden und deckte damit den NSA-Skandal auf. Seine Rede auf dem 30. Chaos Communication Congress veranlasste die ZEITzur Frage, ob Greenwald nicht eher Aktivist als Journalist sei. Daraufhin entbrannte eine Diskussion auf Twitter.
Zuerst ist zu klären, ob Greenwald überhaupt parteiisch ist oder voreingenommen. Denn selbst die Tagesschau berichtet mit einer gewissen Befangenheit. Was Greenwald jedoch unterscheidet, ist, dass er seine Überzeugungen klar als solche kennzeichnet. Zudem präsentiert er keine Spekulation, sondern greift auf einen Datensatz von 58.000 Dokumenten zurück. Sollte Greenwald trotzdem parteiisch sein, zumindest Jack Shafer würde ihn weiterhin einen Journalisten nennen. Der Spiegelfasst das zusammen.
… mit den falschen Leuten.
Es sollte in der Debatte um andere gehen. Solche Autoren, die unter dem Deckmantel der Objektivität unausgeglichene Artikel schreiben und ihre Thesen notdürftig mit Fakten bedecken. Es könnte auch um Medien gehen, die ihre Artikel so positionieren, dass man von impliziter Manipulation sprechen kann.
Es beginnt mit der Präsentation des Artikels als „Politischer Jahresausblick“. Ganze zwei Absätze widmet der Autor dem nationalen Geschehen, um den restlichen Artikel für die Europapolitik zu verwenden. Eine Mogelpackung.
Eine Blattkritik
Es folgt ein Einschub einer Bildserie über die „Horrorszenarien für 2014“. In Szene gesetzt sind zehn Prognosen der Saxobank, zum Beispiel die „Rückkehr zu einer Wirtschaft im Sowjetstil“ der EU oder das Erstarken der anti-europäischen Allianz als stärkste Fraktion im Europäischen Parlament. Unter dem Deckmantel der Fremdmeinung einer libertärendänischen Bank wird hier der Ton des Artikels gesetzt. Der Autor verpasst zu erwähnen, dass es sich hier keinesfalls um die offizielle Meinung der Bank handelt, sondern eher um einen alljährlichen PR-Gag ihres Chefökonomen Steen Jakobsen mit dem Titel „Outrageous Predictions 2014“. Dieser überrascht jedoch in der eigentlichen Veröffentlichung mit einer interessanten Aussage:
This isn’t meant to be a pessimistic outlook: looking back through history, changes have always come as a result of the thorough failure of the old way of doing things.
Um zu verdeutlichen wie verschroben die Vorhersagen sind: Die Koalition der eurokritischen Parteien ist im EU-Parlament mit 4,2 Prozent der Stimmen vertreten. Eine Mehrheit in der nächsten Wahl zu erreichen ist unwahrscheinlicher als die absolute Mehrheit für die AfD in der nächsten Bundestagswahl. Andere Medien schaffen da übrigens eine weitaus ausgewogenere Berichterstattung. Zum Beispiel die Welt, wenn sie von Kritikern berichtet, die Jakobsen als „kaputte Uhr, die zweimal am Tag die richtige Stunde anzeigt“ beschreibt.
Der Artikel fängt dann mit Allgemeinplätzen an, hebt notgedrungen die positive wirtschaftliche Entwicklung hervor, nur um sie als Strohmann wieder anzuzünden. Es werden ausführlich unangenehme Randgestalten wie Marine Le Pen und Geert Wilders zitiert und den Hürdenpatzern AfD und FDP jeweils ein voller Absatz eingeräumt. Zwischendrin kommt noch ein Hinweis auf ein Interview mit Jens Weidmann zum Thema „Die Eurokrise ist noch nicht vorbei“. Der Artikel endet mit der Beschreibung der bald als Ratspräsidenten amtierenden griechischen und italienischen Ministerpräsidenten. Ersterer wird laut Artikel griechische Interessen in Brüssel vertreten, während Letzterer konträr zur Politik von Angela Merkel stehe.
Wir beeinflussen Entscheider
Welche dieser Entscheider, die Leser der Wirtschaftwoche sind, verlassen sich auf vage Andeutungen und dünne Fakten, während der Markt eine ganz andere Prognose abgibt? Die Entwicklung des Nominalpreises einer griechischen Unternehmensanleihe gibt ein anderes Bild. In der Preisentwicklung sind zukünftige Annahmen und Entwicklungen bereits eingepreist. Die Anleihe wird in zehn Jahren fällig und lautet auf Euro.
Ein fundierter, kritischer Artikel zur Finanzierbarkeit der Europäischen Union würde wirklichen Mehrwert schaffen. Dieser Artikel informiert nicht, sondern versucht lediglich, plump zu beeinflussen.
And when I thought I was out, they sucked me back in
Ich habe leider noch den Fehler gemacht, die Kommentare unter dem Artikel in der Wirtschaftswoche zu lesen. Seitdem befürchte ich, dass die Befürworter des Artikels und ich aus demselben Grund den Text gelesen haben: Um sich einfach mal wieder kräftig aufzuregen.
Endlich Zeit gefunden, den inkriminierten Artikel zu lesen. Das hat aber meine ursprüngliche Ansicht bestätigt: Lohnt nicht, verschwendete Zeit. So ist es Dir ja wohl auch gegangen, nur daß Du noch den Lustgewinn der Aufregung über diesen Mist hattest. Wenn ich nicht irre, war es Karl Kraus (oder doch Tucholsky?), der über journalistischen Abfall gesagt hat: „Nicht mal ignorieren!“ Das hier ist ein solcher Fall, wie übrigens auch vieles, das aus dem völlig überbewerteten Bayern und besonders der CSU kommt. Auch hier fehlgeleitete Medienaufmerksamkeit, die uns allen die Zeit stiehlt.