Generation Y: Eine Abrechnung

Trauriger Hase als Sinnbild der Generation Y
Es ist anscheinend zum Verzweifeln mit der Generation Y. Wir sind die „erste Generation, die mit der Work-Life-Balance-Welle groß geworden ist. Behütet, in Wohlstand gebettet“. Der Economist publizierte erst zuletzt eine Umfrage, die bestätigte, dass wir als die schwierigsten Mitarbeiter mit der geringsten Arbeitsmoral, Teamfähigkeit und Problemlösungskompetenz seit dem Zweiten Weltkrieg angesehen werden.  In vorauseilendem Gehorsam zweifelt ein Journalist der NZZ in seiner frühen Midlife-Crisis daran, „dass meine Generation, diese lethargische, verunsicherte, von einer postideologischen Welt im Stich Gelassene, es vermag, aufzustehen und fundamentale Konflikte zu lösen“. Selbst Sokrates bemerkte bereits über die Generation Y: „Die Jugend liebt heute den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt mehr vor älteren Leuten und diskutiert, wo sie arbeiten sollte“.

Der Abgesang auf die nächstfolgende Generation ist also nichts Neues. Neu dagegen ist, dass diese Generation tatsächlich einen Grund hätte, sich zu beschweren. Obwohl die heute über 47-Jährigen fast doppelt so viel Vermögen besitzen wie ihre Vorgängergeneration im Jahr 1980, hat sich bei den unter 30-Jährigen zumindest in den USA nichts getan. Vom Wachstum des Wohlstands haben sie nichts abbekommen. Die Jugendarbeitslosigkeit grassiert in Europa und zieht auch an Deutschland nicht ganz spurlos vorbei. Unsere Generation ist als direkte Folge generell misstrauischerverkriecht sich wieder bei ihren Eltern und sieht sich mit einer Arbeitslosenrate konfrontiert, die ungleich größer ist als die anderer Generationen seit dem Zweiten Weltkrieg, wie The Atlantic zweideutig festhält.

 

Generation Krise

 
Ob der Atlantic mit seiner schnoddrigen Einschätzung da mal nicht baden geht. Schließlich sollen wir noch die Renten bezahlen, die sich die auflagenstarken und nun rentenreifen 68er in den Generationenvertrag geschrieben haben. Wir aber kennen Ludwig Erhard nur aus dem Geschichtsunterricht. Unser politisches Bewusstsein beginnt mit der Demontage von Institutionen. Während wir aufwuchsen, stürzten die Zwillingstürme, der neue Markt, die Immobilienpreise, Staatsfinanzierungen und der Glaube an das freie Internet in sich zusammen. Der Glaube an Institutionen ist uns genauso abhanden gekommen wie Fukuyamas Glaube an das Ende der Geschichte.
 
Diese sowohl ökonomische als auch soziale Unsicherheit steht im direkten Widerspruch zu den Versprechen unserer individualistischen Erziehung. Der Unterschied zwischen „du kannst alles werden, was du sein möchtest“ und der Realität sieht ziemlich erbärmlich aus, wie der geniale Tim Urban in seinem neuen Blog Wait-but-why treffend beschreibt. Generation Krise könnte man uns nennen, denn wir sind mit ihr aufgewachsen und leben immer noch in ihr. Und wie ein pavlov’scher Hund verhalten wir uns vermeintlich entsprechend im politischen Biedermeier. Die Option ist unser natürlicher Verbündeter.
 

Generation Why

Auch wenn es nicht danach aussieht – wir sind schwer beschäftigt. Wir sind für unsere eigene Sinngebung in einer widersprüchlichen, interdependenten und globalen Welt selber verantwortlich. Die sinngebenden Institutionen stiften längst nicht mehr die klare, unumstößliche Identität wie noch vor zwanzig Jahren. Wir können uns nicht an euch reiben, um unsere Kontur zu schärfen, denn im Zweifelsfall habt ihr in eurem Leben mehr Joints geraucht als wir und in lila Latzhose gegen den Nato-Doppelbeschluss demonstriert.
 
Wir bewegen uns in unseren Ambitionen im internationalen Maßstab. „Es ist mir nicht möglich“ ist in Zeiten des Internets keine Ausrede mehr –  „Das wusste ich nicht“ ebenso wenig. Probleme in der Welt werden uns konsequent vor Augen geführt. Wie der Fernseher den Vietnamkrieg direkt in die US-amerikanischen Wohnzimmer getragen hat, werden mir eindrückliche Hilfeaufrufe eines syrischen Jugendlichen direkt unter die Urlaubsbilder meiner Freunde gepostet. 
 
Ihr habt uns die Technologie gegeben und wir versuchen gerade den richtigen Umgang damit zu finden. Wie vielen Posts, Tweets und Statusupdates kann ich mich täglich aussetzen, ohne dass mich Facebook unglücklich macht? Ist ein Moment schöner, wenn ich ihn konservieren kann? Vergisst das Internet auch mal? Wie sicher müssen meine Daten sein? Wann darf ich endlich mal abschalten? Zudem können wir uns das Auf-den-Tisch-Hauen nicht leisten. Die mehrheitsorientierte Repräsentation der Alten bedeutet für unsere Generation eine beschränkte Einflussmöglichkeit.
 

Die Abrechnung

Eines sind wir dann auch noch, nämlich sehr pragmatisch. Zwischen vermeintlich alternativlosen Werdegängen gefangen, tun wir das einzig Richtige: Wir entziehen uns dieser Logik. Kerstin Bund von der ZEIT hat das bereits zusammengefasstWarum sollten wir auch in unseren Zwanzigern temporär ausbrechen, nur um dann wie unsere Väter doch wieder bis zur Rente unseren Frondienst zu leisten? Mit unserer Marschverweigerung tragen wir das in die Institutionen, was im ersten Anlauf nicht geschafft wurde.
Ist das denn ein Zeichen einer desillusionierten Generation? Und entsteht Desillusionierung nicht erst aus der vorherigen Illusion und der darauffolgenden Enttäuschung, aus dem Hype und der Krise, aus Boom und Bust? Meine hehren Erziehungsideale aus der Flower-Power-Zeit sind nicht an den harten Klippen der Realität zerschellt. Ich habe mein Erbe nicht in der Dotcom-Krise verloren.
Wir sind nicht desillusioniert. In dieser komplexen neuen Welt, in der alles erreichbar ist und miteinander zusammenhängt, versuchen wir Lösungen zu finden. Wir sind schwer beschäftigt, diese Welt zu verstehen. Unsere Herausforderungen sind völlig andere und unsere Lösungen ebenfalls. Aber wir haben noch keine Lösungen, wir denkennoch.
 
Das hier ist keine Abrechnung, denn die würde uns nicht weiter bringen. Es ist vielmehr die freundliche Bitte, uns in Ruhe zu lassen. Wir werden schon unsere Lösungen finden. Und in der Zwischenzeit machen wir das, was junge Generationen immer schon gemacht haben: Einfach leben.
Titelbild von Ryan McGuire.

9 Gedanken zu „Generation Y: Eine Abrechnung“

  1. „Es ist vielmehr die freundliche Bitte, uns in Ruhe zu lassen.“ Ist das Dein Ernst? Machst in einem ausdrücklich zur Diskussion einladenden Blog die Alten an und willst dann aber in Ruhe gelassen werden? Schade! Wolfgang Brandes, 71

  2. Ich bin ja nicht der größte Freund von Generationsmanifesten, aber noch weniger bin ich ein Freund von Kulturpessimismus, und deshalb gefällt mir der Artikel trotzdem. Vielleicht aber dennoch ein paar Nachfragen bzw. Einsprüche.

    Du schreibst: „Warum sollten wir auch in unseren Zwanzigern temporär ausbrechen, nur um dann wie unsere Väter doch wieder bis zur Rente unseren Frondienst zu leisten? Mit unserer Marschverweigerung tragen wir das in die Institutionen, was im ersten Anlauf nicht geschafft wurde.“ Erst einmal: Marschverweigerung? Glaubst Du wirklich, dass wir nicht am Ende genauso im „Frondienst“, d. h. in geregelten Arbeitsverhältnissen, enden werden wie unsere Eltern? (Womit ich übrigens an sich das Problem noch nicht sehe. Ich fand es schon immer kindisch, den 68ern vorzuwerfen, dass sie am Ende doch ordentliche Jobs angenommen haben, anstatt weiter marxistischen Bullshit zu reden und Steine zu werfen.) Ist die Totalverweigerung wirklich wahrscheinlich? Und wenn es denn so wäre – warum beschwerst Du Dich dann über schlechtere Bezahlung und schlechtere Jobperspektiven? Geld wird man auch in unserer Generation nicht für gar nichts bekommen werden. (Es sei denn, es wird doch noch ein BGE eingeführt, aber das ist ein anderes Thema.)

    Sodann: Eigentlich sollte man mal generell eine Bresche für „unsere Elterngeneration“ (wenn man sich denn auf diese Denkweise überhaupt einlassen will) schlagen. (Postkolonialer Disclaimer: Das hier betrifft „den Westen“ und reicht vermutlich nicht sehr weit darüber hinaus, eher im Gegenteil – es betrifft wohl hauptsächlich bürgerliche Familien in Westdeutschland. Das gilt allerdings auch für Deinen Artikel, und man sollte es sich vielleicht doch ab und an bewusst machen.) Unsere Väter (und hier sind tatsächlich die Väter gemeint) sind die ersten, die es geschafft haben, ihre Kinder nicht mit Schlägen und autoritärem Geschreie und Gehabe zu erziehen. Das ist schon deshalb eine wirkliche Leistung, weil der autoritäre Charakter (siehe Fromm, Adorno & co., hier hat ja die Kritische Theorie tatsächlich mal plausible Arbeit geleistet) die Neigung hat, sich durch innerfamiliäre Gewalt auch in die nächste Generation fortzupflanzen („uns haben die paar Schläge damals ja auch nicht geschadet“). Diese Generation ist aber, wie es scheint, tatsächlich in bemerkenswerter Weise aus diesem Teufelskreis ausgebrochen, was uns einiges an psychischer Verkrüppelung erspart hat. Das geht aber ja noch weiter: Unsere Eltern haben uns in erstaunlichem Ausmaß machen lassen, was wir wollten – sie meinten es ernst mit dem Ermöglichen von Selbstverwirklichung und Individualität. Ich kann selbst entscheiden, was ich machen und werden will, ohne dass mir meine Eltern dabei Steine in den Weg legen – im Gegenteil: Sie unterstützen uns ja (finanziell, emotional, teilweise, soweit ihnen möglich auch intellektuell) in einem Ausmaß, von dem sie selbst oft nur träumen konnten. Müssen wir uns also jetzt ernsthaft darüber beschweren, dass unsere Eltern nicht scheiße genug waren, dass wir uns mal so ordentlich von ihnen abgrenzen können? Ich kann mir schlimmere Probleme vorstellen.

    Womit du allerdings sehr recht hast: Wir haben sicherlich neue, ganz eigene Probleme zu lösen – und wir werden das schon hinkriegen.

  3. Lieber Julian,

    ich verstehe generell nicht das Bedürfnis sich mit einer Generation zu identifizieren. Ich denke, dass dieses Bedürfnis nicht besonders charakteristisch für unsere Zeit ist, im Vergleich zum Beispiel zur vorherigen Generation. Schon bei diesem Kommentar fällt es mir generell schwer zu sagen, welche genau meine Generation ist und welche die Ältere. Diese Grenzen verschwimmen, so scheint mir zumindest, auch ein bisschen in deinem Artikel.

    Dein Artikel macht sich einerseits über die Tradition lustig, über die Jungen zu meckern, lässt sich aber andererseits einem weiteren Topos des Gespächs zwischen Generationen zurechnen: Er vollzieht performativ den bekannten Diskurs der Abgrenzung der Jungen von den Alten. Du hast vollkommen Recht, dass schon die antiken Philosophen das Unbehagen der Älteren den Jüngeren gegenüber zum Gemeinplatz machten. Allerdings muss man auch dazu sagen, dass Sokrates gar nichts „gesagt“ hat. „Seine“ Gedanken wurden von Platon aufgeschrieben und popularisiert – Platon, der selber dieser verwöhnten jüngeren Generation angehörte und Sokrates' Schüler war. An welche Generation dieser Spruch aus Sokrates' Mund und Platons Dialogen gerichtet ist, ist hier sehr fragwürdig. Gerade Platon ist, glaube ich, ein sehr gutes Beispiel für das widersprüchliche Verhältnis zwischen Alt und Neu. Indem er Sokrates Unzufriedenheit mit der Jugend aufschreibt, verewigt er diese, wiederholt sie und richtet sie an eine noch jüngeren Generation. Indem er dies macht widerspricht er jedoch der Unzufriedenheit Sokrates und zeigt, dass er weder die Alten noch den Respekt zu ihnen vergessen hat.

    Genauso gehört es zum Generationsdiskurs, dass sich die jüngere Generation von der Älteren abgrenzt und ihnen Fehler und Unrecht nachweisen möchte. Sie nimmt sich als einzigartig, „neu“ und unverstanden wahr. Die junge, neue Generation (Y, Facebook, Null-Bock oder früher Golf und X) erlebe etwas, was noch nie davor passiert sei – Krisen, existentielle Zweifel, materielle Not, sie leidet unter den Fehlern der Eltern und hat es generell total schwer. Wenn wir jedoch ehrlich sind, gab es schon immer Krisen und Ausnahmezustände. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg hat es an politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisen in West-, Ostdeutschland und generell im Westen nicht gemangelt, vom Osten ganz zu schweigen. (Ich weiss nicht genau, welches geographische und politische Gebiet du ansprichst. Denn davon hängt vieles in einem solchen generalisierenden Argument ab bzw. macht es unmöglich.)
    Dariya Manova, 24

  4. Ich habe die Stelle, in der Julian sagt, wir könnten uns nicht gut von unseren Eltern abgrenzen, gar nicht so wirklich als Beschwerde gelesen. Mir fällt nämlich auf, dass manche der jungen Generation vorwerfen, sie wäre zu konformistisch, während die 68er ja alle noch so krass anti gewesen seien (wobei ich nicht die Leistungen, der 68er schmälern will – man darf nur nicht vergessen, dass auch diese einem Massenphänomen gefolgt sind)

    Deswegen finde ich die Stelle „mit unserer Marschverweigerung tragen wir das in die Institutionen“ allerdings auch etwas seltsam. Ich glaube nicht, dass wir den Marsch verweigern. Wir gehen vielleicht nur etwas pragmatischer an die Probleme der Welt heran.

  5. Sie haben Recht, das ist ganz und gar nicht mein Ernst. Eigentlich bin ich ziemlich erbost darüber, dass wir ökonomisch und politisch unterrepräsentiert sind. Nicht zuletzt die erfolglosen Proteste in Spanien (50% Jugendarbeitslosigkeit) und die Nicht-Berücksichtigung der für Berufseinsteiger massiv deregulierten Arbeitsbedingungen (Zeit, Ort, Sicherheit, Bezahlung) in den aktuellen Nachbesserungen der Bundesregierung zeigen, dass wir überhaupt keine Lobby haben. Ich habe es an anderer Stelle bereits gesagt, wir haben keinen Rudi Dutschke und wenn, dann hätte dieser keine Anhänger. Mehr noch, der Springer Verlag wäre ein Spatz gegen den Kanon der Wutbürger.

    Die Bitte um Ruhe ist ein Lossagen: Wenn wir nicht repräsentiert sind, brauchen wir auch die negativen Folgen des Dialogs nicht. Eigentlich aber wäre es dringend an der Zeit für einen echten Dialog.

  6. Wenn auch nur als Feind deines Feindes, aber es freut mich, dass dir der Artikel gefällt. Und es wird noch besser, denn ich glaube nicht, dass wir Meinungsverschiedenheiten haben.
    Ich hoffe ja sehr auf geregelte Arbeitsverhältnisse für unsere Generation, denn das ist Teil eines angenehmen Jobs. Hierarchische, nicht-Meritokratische Organisationformen und die strikte Output-orientierte Ausrichtung sind es dagegen nicht. Wer da stark von seiner Vergangenheit geprägt zu sein scheint und es auch gewagt hat umzusetzen ist Thomas Sattelberger. Wir können jetzt entscheiden, ob wir uns dem Drill beugen, oder uns selber aufmachen. Gar nichts zu tun schlage ich nicht vor. Wer so eine stärkere Ausrichtung am Arbeitnehmer vorlebt sind Technologieunternehmen wie Google, die mit ihrem Modell recht profitabel sind. Damit nicht nur hart umworbene Programmierer in den Genuss einer solchen Organisation kommen, könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen natürlich helfen.
    Ich verstehe diesen Komplex nicht. Hier muss niemand für irgendwen in die Bresche springen. Die Lebensleistung der Vorgeneration bezweifelt ja keiner. Dieses „Hör-auf-dich-zu-beschweren“ Phänomen findet sich erstaunlich häufig bei tatsächlich benachteiligten – scheint mir eine Art Stockholm Syndrom zu sein. Wie wäre es wenn wir beides tun? Also uns zu Recht beschweren, es aber nicht dabei zu belassen, sondern selber besser zu machen?

  7. Hallo Dariya,

    ob es überhaupt so eine homogene Generation gibt und ob es sich lohnt diese zu betrachten, habe ich mich auch schon gefragt. Um das vorweg zu nehmen, ich spreche von den Jahrgängen 1980 bis 1995 in Westeuropa und Nordamerika. Ich glaube schon, dass es sich lohnt, aber nicht, dass es eine Generation gibt, mit der man sich identifizieren kann.
    Im Gegensatz zu der Generation „die gegen die Nazis kämpfte“ oder „die in der DDR aufwuchs“ haben wir irgendwie wenig Identifikationsmöglichkeit. Vielleicht sind wir „die mit dem Jamba Sparabo“ oder „die wissen wo sie waren, als die Zwillingstürme einstürzten“. Genauso wenig identifiziere ich mich speziell mit dem Jungschützenkönig aus Mönchengladbach oder dem Priesteranwärter aus Koblenz. Generell lässt sich aber sagen, dass es Unterschiede zwischen den Generationen gibt, was die Einstellung angeht – beispielsweise den Job lediglich als Vehikel für einen möglichst guten Lebensstil zu sehen.
    Es gibt objektive Anzeichen, dass wir politisch weniger vertreten sind, als die vorherigen Generationen und der vermehrte Wohlstand nicht bei uns angekommen ist. Und wenn die Generation vor uns das Feuer erfunden und die Demokratie eingeführt hat, können wir trotzdem unseren Teil einfordern und die gesellschaftlichen Zustände kritisieren und verbessern.

  8. Ein kleiner Nachtrag, nachdem hier viele kluge Dinge über einen vielleicht berechtigten oder nicht berechtigten Generationenstreit gesagt worden sind. Ein Nachtrag von einem, der, wie es aussieht, gegenwärtig der einzige Diskutant auf der Gegenseite der hier schreibenden und diskutierenden Altersgruppe steht, ein 71jähriger, Rentner seit seinem 65. Geburtstag, einem Zeitpunkt, zu dem man ungefragt und unabhängig von eigenen Wünschen aufgrund gesetzlicher Vorschriften aus dem Dienst entfernt wird, altershalber, ohne daß man sich irgend eines Versäumnisses schuldig gemacht hätte – außer 65 geworden zu sein. Einspruch bringt nichts: Sozialgesetzgebung, Rentenrecht.
    Warum meckern die Alten über die Jungen, schon immer, nicht erst heute? Wir haben a) keine korrekte Erinnerung, und wir sind b) neidisch. Eine biopsychische Tatsache ist, daß unangenehme Erinnerungen verdrängt bzw. in ihrer Bedeutung herabgesetzt werden, die angenehmen aber leuchten, ja, herausleuchten. Deshalb idealisieren wir die eigene Jugendzeit. Was waren wir für tolle Kerle! Wir müssen aber mit dem ständigen Rückgang, ja Zerfall der körperlichen und geistigen Kräfte leben, und erst recht mit einer sich von Tag zu Tag ernsthaft verkürzenden Zukunft und deren Ende … eine Zukunft, von der wir uns vor allem wenig Schmerzen und Leiden wünschen. Aber die jungen Leute stehen in voller Kraft, haben endlos Zeit vor sich, tausende Möglichkeiten sind noch offen, Liebe, Sex, Freundschaft können täglich gelebt statt nur erinnert werden. Wer von uns dann diesem Neidgefühl nachgibt, setzt die Beneideten herab (ein probates, häufig verwendetes, nie überzeugendes Mittel).
    Die Jungen meckern über die Alten ebenfalls aus Neid: Die haben die Kohle und tun nichts dafür, außer uns zu kritisieren und ihre Möglichkeiten auszunutzen, noch mehr für sich herauszuholen. Habe ich dich damit ganz mißverstanden, Julian? Ich führe das nicht weiter aus, das wißt ihr besser als ich: Die Alten haben die Positionen besetzt und schließen den Zugang dazu aus reinem Egoismus oder gar aus Mißgunst; die haben sich der Kindererziehung aus Hedonismus entzogen und lassen uns jetzt dafür leiden …
    Es hilft, sich über die Neidgefühle klar zu werden und daraus sachliche Konsequenzen zu ziehen, das kann ich für mich sagen. Als ich noch im Beruf sein durfte, hatte ich das Glück, einen 25 Jahre jüngeren Kollegen zu haben. Er hat mir oft und gerne geholfen, die neuen Techniken und Kenntnisse und Gewohnheiten seiner jungen Generationskollegen verständlich zu machen, und ich konnte ihm bei Bedarf auf Fragen antworten wie: „Ich muß jetzt das und das entscheiden, Sie mußten das doch auch mal? Wie haben Sie entschieden, und war das erfolgreich?“
    Dieser Nachtrag will nicht Probleme zwischen Jung und Alt zudecken, sondern letztlich dafür werben, daß beide Seiten lernen können und wertvolle Bereicherung erfahren, wenn sie das wollen.

  9. Im tatsächlichen Zusammenleben wird diese Bereicherung tatsächlich immer wieder deutlich und ich würde mich von Neid nicht freisprechen. Eine wertvolle Bereicherung für unsere Generation ist ja das Einsetzen für die eigenen Vorstellungen und das Durchsetzen neuer gesellschaftlicher Normen – ironischer Weise also der Protest, den wir lernen können.

    Ich glaube bei allem Verständnis und tatsächlich gut begründeten Unterschieden, ist es doch unsere Pflicht etwas anderes zu fordern: Um Grenzen neu zu setzen oder zumindest du definieren. Und wenn schon nicht die Änderung des Status Quo gefordert wird, dann doch zumindest, dass Ertrag und Lasten proportional aufgeteilt werden.

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