Dieser Artikel ist der zweite in einer Reihe über den Einfluss der ‚Sharing Economy‘ und ‚On-Demand Economy‘ auf Wirtschaft und Gesellschaft. Der erste Artikel Die Grenzen des Wachstums: Warum nach der Expansion jetzt die Erschließung kommt erschien bereits im November.
Der Einfluss der Sharing Economy ist unbestritten, ihre Wirkung steht jedoch in der Kritik. Sie verdamme uns zu ‚ewigen Händlern‘, warnt die Frankfurter Allgemeine Zeitung. ‚Erstaunlich talentierte Märchenerzähler‘ seien am Werk, die das Versprechen einer billigeren und umweltfreundlicheren Ökonomie nicht einlösten. Eine Alternative zum Kapitalismus sei die Sharing-Ökonomie gewesen, bevor die Investoren auftraten, sagt die Zeit. Das Resultat sei die Aushöhlung des Arbeitsschutzes, der zu einem Prekariat aus Tagelöhnern führe – alles bereits da gewesen, bloß jetzt kostenpflichtig und kommerziell. Und da kommt sie nun, die Sharing Economy als Wolf im Schafspelz: Außen fluffig und philantrophisch, innen profitgetrieben und gesellschaftszersetzend.
Die Berichterstattung tut ihr Übriges, um das vermeintliche Märchen zu entlarven. Denn wo zuvor von einer Utopie berichtet wurde, hat nun der böse Wolf seinen Auftritt. Die Fabel von Gut und Böse, von fortschrittlichen Technologiefreunden und Hütern des traditionellen Humanismus kann beginnen. Wird aber an dieser Stelle gleich wieder zugeklappt.
Es ist das Narrativ eines Provokateurs, der willige Abnehmer findet. Mit seinen Aussagen hat sich Travis Kalanick nicht nur als Bezugsperson der Sharing-Ökonomie in den Medien positioniert, sondern sein Unternehmen erfolgreich bekannt gemacht. Streng genommen handelt es sich beim ‚Fahrtenvermittlungsservice‘ Uber jedoch gar nicht um ein Modell der Sharing-Ökonomie. Kalanicks Fahrer teilen keine Ressourcen mit ihren Mitfahrern, die sonst brach lägen. Sie fahren professionell, jedoch ohne die Regulierung der Taxibranche. Offensichtlich ist die Regulierung überholt, wenn so viele Menschen bereit sind, auf sie zu verzichten. Offensichtlich ist jedoch auch Ubers Geschäftsmodell in Deutschland unrechtmäßig.
Ebenso verhält es sich mit gewerblichen Anbietern von Wohnungen über AirBnB. Das Anbieten von Wohnungen als Quasi-Hotel kann für Nachbarn eine Zumutung sein, die Vermeidung von Gewerbe- und Hotelsteuern schlicht asozial. Das sind jedoch Probleme eines Unternehmens, aber nicht einer Art der Geschäftsorganisation.
Ein Riesenproblem ist jedoch der Einfluss des Geldes auf unsere Wahrnehmung und unser Handeln. Wenn schon die Dollarzeichen des Bildschirmschoners mich weniger emphatisch machen, wie ist es dann, wenn ich im Zimmer eines Freundes übernachte, das er normalerweise bei Airbnb vermietet. Was vorher viel Freude auf beiden Seiten auslöste, endet jetzt in einem schlechten Gewissen (weil nichts bezahlt wurde) und Bedauern (weil nichts verdient wurde).
Not my job
Antworten auf diese Fragen zu finden, ist aber zu unserem Glück nicht die Aufgabe von Travis Kalanick oder anderen, vielleicht sogar etwas sympathischeren Unternehmern. Es ist ihre Aufgabe Angebote zu schaffen, die andere Menschen gut finden und für die sie bereit sind, Geld zu bezahlen oder anzunehmen. Finden sie viele Menschen, die ohne Zwang bereit sind, Geld auszugeben und mitzumachen, sind sie nicht nur reich, sondern auch bereichernd. Was könnte also dazu führen, dass ein ‚Prekariat aus Tagelöhnern‘ Arbeiten wie die bei Taskrabbit oder Cleanagents annimmt?
Solche On-Demand-Dienstleister bieten Menschen eine Tätigkeit, die sonst keine bekämen. Zum Beispiel Menschen, die in Deutschland leben und (noch) kein Deutsch sprechen, oder Langzeitarbeitslose, die abgeschrieben wurden, oder eine junge Generation, die, anders als ihre Eltern, als Dank für mehr Flexibilität und Unsicherheit auf weniger Lohn und weniger Rente hoffen darf. Diese Anbieter offerieren Möglichkeiten für eine Gruppe von Menschen, die nicht von Gewerkschaften und der immer älter werdenden wahlentscheidenden Gruppe vertreten wird. Es sind die Jobs, die eine privilegierte Mittel- und Oberschicht nicht machen will und nicht machen muss – und am liebsten auch nicht sehen möchte. Die Sharing-Ökonomie behebt dieses Problem nicht, sie macht es nur sehr deutlich, was die Kritik an ihr noch zielloser aussehen lässt. Es ist der Job der Politik, auf die Probleme einzugehen – in der Zwischenzeit gibt es Menschen, die Angebote der On-Demand-Dienstleister vorziehen.
Ein alter Schuh
Die Sharing-Ökonomie ist aber viel mehr als das. Sie ist eine zaghafte Antwort auf gesellschaftliche Veränderung. Sie experimentiert mit dem Gedanken, dass vielleicht nicht die Lebensverhältnisse an den Job angepasst werden müssen, sondern durchaus auch andersherum. Die Sharing Economy bietet die Möglichkeit der Verteilung vorhandener Ressourcen. „Warum ein Auto besitzen, wenn es eh 95 Prozent der Zeit rumsteht“ – klingt einfach, ist es aber nicht. Es sind Kosten zu vermeiden, die beispielsweise durch das Absprechen entstehen oder das Ärgernis, wenn in wichtigen Momenten kein Auto verfügbar ist. Diese Transaktionskosten halten die Anbieter gering und schaffen damit ein echtes alternatives Angebot.
Die zum Teil sehr kontroverse Auseinandersetzung mit diesen neuen Angeboten ist dabei sehr wichtig. Sie zeigt auf, dass unsere aktuellen Gesetze und Regulierungen für ein industrielles 20. Jahrhundert geschustert wurden und uns sie jetzt unbedingt passen müssen. Aber wie selbst der Lieblingsschuh irgendwann zwickt, sind auch die bewährtesten Arbeits- und Eigentumsrechte bald zu eng. Und dann ist da noch dieser entscheidende Vorteil einer liberalen Gesellschaft: Nicht jeden Schuh muss man sich anziehen. Denn wer in alten Schuhen besser läuft, kann das auch tun – für alle anderen gibt es ab jetzt auch Uber.
Ein Gedanke zu „Der Wolf im Sharingpelz – warum die gesellschaftliche Wirkung der Sharing-Ökonomie besser ist als ihr Ruf“