Der lange Weg nach Rechts: Die AfD im deutschen Parteiensystem (Teil 1)

Die AfD hat sich zurück in die öffentliche Diskussion gekämpft. Mit der Wahl der Landesvorsitzenden Sachsens Frauke Petry zur neuen Parteichefin und dem darauf folgenden Austritt zahlreicher Parteimitglieder, darunter Parteigründer und bisheriger Vorsitzender Bernd Lucke, ist die Partei wieder in die Schlagzeilen geraten. Der Parteitag der AfD am vergangenen Wochenende war mit Spannung erwartet worden und ist dadurch umso mehr zum Richtungsentscheid geworden. Der lange schwelende Streit zwischen Wirtschaftsliberalen und Wertkonservativen über die Ausrichtung der Partei scheint nun zugunsten Letzterer entschieden zu sein. Was bedeutet das aber für die politische Positionierung der AfD? Inwiefern ändert es die AfD? In diesem Artikel möchte ich einen kurzen Überblick über die Entwicklung der AfD im deutschen Parteiensystem geben, um in einem kommenden Artikel ihre bisherige Erfolgsgeschichte erklären und ihren künftigen Untergang prophezeien zu können.

Das deutsche Parteiensystem

Aber zunächst zum deutschen Parteiensystem. Politische Einstellungen lassen sich am einfachsten über die Positionierung zu spezifischen Fragen bestimmen. Mit solchen Fragen erzeugt man zweiseitige Unterscheidungen bzw. Konflikte, deren endgültige Entscheidung bei der Abstimmung im Parlament, vorgeordnet aber auf Parteitagen und an der Wahlurne getroffen wird. Ist man für die Rente mit 63 oder dagegen? Ist man für oder gegen die Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare? Ist man für oder gegen die Legalisierung von Cannabis?

Da sich ein solcher Fragenkatalog aber endlos fortführen ließe und daher nicht für die vergleichende Einordnung einer Partei taugt, bieten sich abstraktere und zusammenfassende Entweder/Oder-Unterscheidungen an. Insbesondere hat sich dafür der Rückgriff auf ein zweidimensionales Konfliktmodell bewährt: mit einer sozioökonomischen Konfliktlinie zwischen liberalen und etatistischen/wohlfahrtsstaatlichen Wirtschaftsmodellen sowie einer soziokulturellen Konfliktlinie zwischen liberal-permissiven und autoritär-konservativen Einstellungen (bspw. im Bezug auf die Frage zur „Ehe für alle“).

Das politische Koordinatensystem Deutschlands

Nimmt man diese beiden Konfliktlinien zur Beschreibung des deutschen Parteiensystems zur Hand, fällt auf, dass für die etablierten Parteien insbesondere die sozioökonomische Konfliktlinie relevant ist. SPD, die Linke, FDP und CDU/CSU definieren sich insbesondere über ihre Zuordnung auf dieser Achse, wobei die Sozialdemokraten und die Linken die wohlfahrtstaatliche Seite vertreten und Sozialkompetenz beanspruchen, die Liberalen und die Unionsparteien hingegen den wirtschaftsliberalen Standpunkt einnehmen und Wirtschaftskompetenz für sich verbuchen. Nur die Grünen definieren sich (sieht man von ihrem auf einen starken Wohlfahrtsstaat ausgerichteten Wahlkampf bei der Bundestagswahl 2013 ab) stärker über die soziokulturelle Konfliktlinie, auf der sie den linken, d.h. liberal-permissiven Pol besetzen. Zu diesem Pol orientieren ferner FDP, Linke und SPD, während CDU/CSU die rechte, d.h. autoritär-konservative Seite vertreten.

Die AfD zwischen Konservatismus…

Als die AfD in den Jahren 2013 und 2014 ihre steile Karriere begann, orientierte sich ihre politische Zuordnung grundsätzlich an der von CDU und CSU. Die AfD kombinierte wirtschaftsliberale Einstellungen mit konservativ-autoritären Wertemustern und legte wie die Unionsparteien ihren Fokus insbesondere auf sozioökonomische Fragen, was sich unter anderem daran zeigte, dass die AfD den Euro mit ökonomischen und nicht mit kulturellen Argumenten kritisierte. Das unterschied die AfD von rechtspopulistischen Parteien wie den Front National, der Freiheitlichen Partei Österreichs oder auch den deutschen Republikanern, die ihre politischen Einstellungen insbesondere kulturell begründen. Beliebt ist bei Rechtspopulisten das Argument der „Andersartigkeit“.

Die Mitglieder- und Wählerstruktur der AfD war eher heterogen. Ihre Anhängerschaft war zwar insbesondere durch Männer geprägt und der Arbeiteranteil unter den Wählern groß – diese Eigenheiten lassen sich auch bei rechtspopulistichen Parteien wie der FPÖ finden. Der hohe Akademikeranteil in der AfD und der überdurchschnittliche sozioökonomische Status ihrer Wählerschaft entsprachen aber nicht den Erwartungen, die man an eine rechte Partei hat. Ihre neu gewonnen Wähler zog die AfD insbesondere von der wirtschaftsliberalen FDP und der konservativen Union, aber auch von der Linken sowie der großen Gruppe der vormaligen Nichtwähler ab. Ihre Anhängerschaft war damit zu heterogen, als dass sie der einer klassisch rechtspopulistischen Partei entsprach. Das Wählerprofil ähnelte zu Beginn eher dem einer bürgerlich-konservativen Partei.

….und Rechtspopulismus

Was die AfD allerdings schon früh von den Unionsparteien unterschied, sie andererseits aber an die Rechtspopulisten heranrückte, war ihr Populismus. Der Populismus, in der Politikwissenschaft häufig definiert als Weltanschauung, in der das „einfache, integre und ehrliche Volk“ und die „korrupte, verschworene Elite“ einander als antagonistische Gruppen unversöhnlich gegenüber gestellt werden, zieht sich bei der AfD durch Wahlplakate, Parteiprogramme und Kampagnensprüche. Er ist zentraler Bestandteil der Inszenierung der Partei als „Alternative“ und wirkt insbesondere auf Protestwähler attraktiv. Für die Union bietet sich ein solcher Populismus hingegen nicht an, weil sie selber zum Establishment gehört, dieses durch ihre langjährige Regierungsbeteiligung gar verkörpert.

Zum Populismus (den die Rechten nicht für sich gepachtet haben, wie auf Seiten der Linken insbesondere Lafontaine und Wagenknecht unter Beweis stellen) ist im Laufe der Zeit ein weiterer Faktor hinzugetreten, der die AfD von den Unionsparteien trennt, andererseits aber mit rechtspopulistischen Parteien verbindet: die Schwerpunktverschiebung auf soziokulturelle Fragen. Themen wie der „Schutz der klassischen Familie“, Einwanderung und zuletzt der Islam traten bei der AfD mehr und mehr in den Vordergrund.

Lag noch bei den Bundestags- und den Europawahlen der Fokus auf Themen wie der Bankenrettung, dem verschuldeten Haushalt und dem Euro, änderte sich das im Laufe des Jahres 2014. Die konservativen Stimmen wurden lauter und konnten mit Erfolgen in den Bundesländern Sachsen, Brandenburg und Thüringen mehr und mehr Legitimität beanspruchen. Über die Frage, welche Themen in den Mittelpunkt gerückt werden sollen, entbrannte in der AfD ein offener Richtungsstreit. Auf der Seite der Verfechter wirtschaftsliberaler Politik standen insbesondere die Europaparlamentarier Bernd Lucke, Hans-Olaf Henkel und Ulrike Trebesius. Auf der Seite derjenigen, die das wertkonservative Profil der AfD schärfen wollten, standen in erster Linie die ostdeutschen Landesverbände mit Figuren wie Alexander Gauland, Frauke Petry und Björn Höcke, aber auch Beatrix von Storch.

Die Spaltung der AfD vertiefte sich im Laufe des Jahres 2015 weiter. Anlass dazu gab insbesondere Pegida als medienbeherrschendes Thema, das von den Parteien eine Stellungname verlangte. Und die AfD reagierte – allerdings alles andere als einheitlich. Gauland sah in den Pegida-Demonstranten „natürliche Verbündete“, Lucke hingegen schloss jegliche Zusammenarbeit zwischen AfD und Pegida aus. Auch der Ukrainekonflikt spaltete die Partei, wobei einige die Westbindung Deutschlands infrage stellten und Putins Politik rechtfertigten, andere aber die Sanktionspolitik gegen Russland unterstützten. Lange Zeit verteidigte Lucke die Spannungen in seiner Partei als ‚Meinungsvielfalt‘. Als die Verwerfungen aber zu groß wurden, rief der Parteivorsitzende im Mai den „Weckruf 2015“ ins Leben, der die Partei auf den wirtschaftsliberalen Kurs zurückführen sollte. Lucke versuchte von seiner Partei zu retten, was zu retten war – doch es war zu spät, die stramm Rechten hatten bereits überhand genommen. Die Wahl Frauke Petrys zur Parteivorsitzenden am letzten Samstag schloss den langen Weg der AfD nach rechts schließlich ab.

Am Ziel angekommen

Die AfD trat zunächst als Konkurrentin der „bürgerlichen“ Parteien auf. Sie kombinierte wirtschaftsliberale mit konservativen Ansichten und formulierte ihre Kritik an aktuellen Entwicklungen und Zuständen wie Verschuldung und Bankenrettung insbesondere von ökonomischen Standpunkten aus, während sie kulturelle Argumente wie das der „Andersartigkeit“ in den Hintergrund rückte. Damit zog sie insbesondere Wähler von der FDP, der CDU und – durch vergleichbare populistische Argumentationsmuster – von der Linken an, wie auch viele Nichtwähler. Diese Einordnung erwies sich für die AfD als Erfolgsformel.

Die populistische Selbstinszenierung als einzige Alternative sowie ihre grundsätzliche soziokulturelle Ausrichtung nach rechts machte die AfD allerdings von Beginn an ebenfalls attraktiv für rechtsaffine Protestwähler und überzeugte Nationalkonservative. Mit der Zeit wurde der rechtsgerichtete Flügel der Partei in der internen Kommunikation immer lauter und forderte eine schärfere Profilierung über klassische Themen rechter Parteien: Familienpolitik, Migrationspolitik, Bildungspolitik – am liebsten in der repressivsten Form. Dass sich dieser Flügel letztlich durchsetzen konnte, bedeutet das Ende ihres bisherigen Verständnisses als liberal-konservative Alternative.

Mit ihrer Positionierung auf der konservativ-autoritären Seite der soziokulturellen Konfliktachse, ihrem populistischen Gestus und ihrer Schwerpunktverschiebung auf kulturelle Fragen sieht die AfD rechtspopulistischen Parteien heute zum Verwechseln ähnlich. Und wie sagte schon der Dichter James Whitcomb Riley: „When I see a bird that walks like a duck and swims like a duck and quacks like a duck, I call that bird a duck.” Es ist an der Zeit, so auch mit der AfD vorzugehen: Die Alternative für Deutschland ist eine rechtspopulistische Partei.

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