Kauft um euer Leben: Warum deutsche Konzerne und Startups einander dringend brauchen

Two business men and one business women walking away, one man holding a bag

Konzerne und Startups: Was sich anhört wie David gegen Goliath, also ein natürlicher Kampf des sympathischen Rebellen gegen den dominanten Platzhirsch, ist eine viel komplexere Beziehung. Aktiengesellschaften und private Großunternehmen wuppen gesellschaftliche Großprojekte, wie flächendeckend Strommasten aufzustellen oder so ziemlich jeden mit einer Karosse zu versorgen. Für solche Herkulesaufgaben braucht es sehr viel Geld, viele Menschen und Zuverlässigkeit, denn auch Rüthen (wunderschön im nordrhein-westfälischen Hinterland gelegen) möchte Strom, Funkmasten und Internet.Bei durchschnittlich 300.000 Euro Unternehmensfinanzierung könnte Rüthen pro Startup mit 200 Meter Stromtrasse versorgt werden und dann wäre das Geld alle. Startups müssen also kreativer sein – Asset-Light nennen es die einen, parasitär die anderen. Denn wer keine Infrastruktur hat, muss auf die Infrastruktur anderer zurückgreifen. Das kann sogar große Vorteile haben, denn manchmal braucht man diese Infrastruktur gar nicht.

Es gab eine Zeit, da hat der Gelbe-Seiten-Verlag den Markt für Suchwerbung dominiert. Die schweren gelben Bücher mussten erstellt, gedruckt und verteilt werden, da gab es hohe Hürden für die Konkurrenz. Ich glaube, an dieser Stelle sind wir uns alle einig, dass wir keine gelben Bücher mehr brauchen, um etwas schnell finden zu können. In der ersten Welle waren es vor allem Informationen, die digitalisiert wurden und damit Branchen verändert haben. Jetzt geht die Digitalisierung weiter, denn Maschinen werden immer intelligenter.

Frau die in einer leeren Halle auf einem Stuhl vor einer Tischgruppe sitzt
Aus der Not eine Tugend machen: Gründer müssen lernen mit wenig Ressourcen umzugehen und bestehende Infrastruktur für ihr Geschäft zu nutzen. Foto von Jadon Barnes auf Unsplash. (CC BY-SA 4.0)

Das haben auch Konzerne gemerkt. Die Globalisierung verstärkt die Konkurrenz. Sofern Prozesse digitalisiert sind, setzen sie sich dieser unglaublichen Innovationsfrequenz aus, die als Moores Gesetz bekannt ist. Gordon Moore hat die bisher zutreffende Behauptung aufgestellt, dass sich die Leistungsfähigkeit von Computern exponentiell verbessert. Eine Verdoppelung der Rechenleistung alle zwei Jahre ist ein unglaubliches Wachstum, das bisher tatsächlich eingetreten ist.

Das Dilemma ist: Digitalisierungsverweigerung ist keine Alternative. Unter diesem Druck müssen Konzerne jetzt sehr innovativ sein, denn ihre Geschäftsmodelle ändern sich schnell und in einer globalisierten Winner-takes-all-Welt sind die Einsätze hoch. Viel Geld, viele Menschen und eine Kultur der Zuverlässigkeit klingen da plötzlich nicht mehr so gut.

Wie also reagieren deutsche Konzerne? Sie machen das einzig wirklich Falsche: Sie versuchen Innovation hauptsächlich selbst. Grob kategorisiert gibt es drei Frevel: Falsch verstandene Open Innovation, Corporate-Startup-Programme und die Schockdigitalisierung des Konzerns. Alles unter dem Leitmotiv ‚die besten Mitarbeiter beschäftigen immer noch wir’.

Turm mit Mensch der telefoniert
Wo arbeiten die besten Mitarbeiter? Zumindest in der Generation bis 40 liegen die Präferenzen klar außerhalb von starren Strukturen und hohem Gehalt im Konzern. Foto von Chris Davis auf Unsplash. (CC BY-SA 4.0)

Aus Startup-Sicht am unterhaltsamsten ist das Geschäft um die Digitalisierungsberatung und Startup-Events. Wie zum Streichelzoo dürfen dann Konzernlenker und andere Old-Economy-Dickbäuche in kontrollierter Umgebung wilde Startups bestaunen. Die Factory in Berlin zum Beispiel hat sich auf solche rentablen Kaffeefahrten für Digitaltouristen spezialisiert. Die stille Abmachung: Die einen sagen nicht, dass die Konzerne hoffnungslos keine Ahnung haben und die anderen tun dafür so, als hätten sie was gelernt.

Anders machen es die Innovationsmanager von Konzernen. Unter dem Mantel der offenen Innovation kommt dann ein Team von fünf Unternehmensmitarbeitern ins Büro eines Startups, um alles sorgfältig festzuhalten und minutiös nachzubohren, damit kein Quäntchen Wissen auf dem Weg in den Leitungsstab verloren geht. An einem echten Austausch ist hier keiner interessiert. Vielmehr daran, günstig an Geschäftsmodellinnovationen zu kommen. Die Netze werden in trübes Gewässer ausgelassen mit dem Kalkül, dass irgendwas hängenbleibt.

Beide Strategien gehen aus demselben Grund nicht auf, der auch die verbleibenden zwei scheitern lässt:

Startups sind deswegen gut, weil ihre Gründer eine eigene Einstellung haben. Sie sind im ständigen Suchmodus; sie müssen trotz knapper Ressourcen irgendwie erfolgreich sein. Das macht kreativ. Sie müssen mit dem Alten brechen, damit sie erfolgreich sein können. Sie müssen stur, frech und resistent sein. Gründer sind einfach nur anders – wie sich eben Soldaten von Künstlern unterscheiden müssen, so unterscheiden sich auch Startup-Gründer (und ihre Mitarbeiter) von Konzernen. Gründer sind risikoafin, weil es Teil ihrer Aufgabe ist, und deswegen muss ihr Scheitern auch als Normalität gelten. Das ist einfach ihr Job.

 

Leerere Tische mit unscharfem Küchen hintergrund und Lampe.
Ein kreatives Umfeld macht noch lange keinen Gründer. Diese benötigen hohe Risikoaffinität, Fehlertoleranz und Hartnäckigkeit, um erfolgreich zu sein und entwickeln die Fähigkeiten dazu außerhalb von etablierten Strukturen. Foto von Thomas Litangen auf Unsplash. (CC BY-SA 4.0)

Scheitern ist dagegen nicht der Job von Konzernen. Sie sind richtig schlecht darin: Sie haben ungeeignete Mitarbeiter (Stichwort viel Geld, viele Menschen, viel Zuverlässigkeit), zu viele Ressourcen, die falschen Anreize und zu viel Verantwortung. Außerdem, und das ist das wichtigste Argument, sie sind viel zu langsam, um selbst marktreife Innovationen zu produzieren. Siemens’ 500-Millionen-Inkubator-Programm ist vielleicht die einzige Ausnahme, weil manche kapitalintensiven Unternehmensbereiche sowieso nur von Siemens entwickelt werden können und Ingenieure technologische Innovationen und keine Geschäftsmodellinnovationen produzieren.

Momentan passiert ein seltenes Experiment in der Geschäftswelt: RWE, der stolze Energieriese aus besseren Tagen, baut seinen Konzern radikal um. Innogy soll die neue grüne digitale Tochter heißen und gleich 40.000 der ingesamt 60.000 Mitarbeiter aufnehmen. In der alten Hülle soll das alte Kraftwerksgeschäft verbleiben. Die wohl spektakulärste Wandlung eines Großkonzerns in letzter Zeit soll mit einem Börsengang finanziert werden. Der Schritt von RWE ist so riskant wie mutig, aber es könnte funktionieren. Klar ist aber auch: Wer mit seinem ganzen Unternehmen auf Geschäftsmodellsuche geht, der hat sehr spät reagiert.

Diese Strategie kostet deutsche Konzerne ihre Macht in der neuen Welt und macht Deutschland um eine starke Gründerszene ärmer. Als Yahoo 2002 die Möglichkeit hatte, Google für 3 Mrd. USD zu kaufen, hat es einen legendären Fehler gemacht und ihn gebüßt: Denn seit Juli dieses Jahres gibt es das Unternehmen Yahoo nicht mehr. Eines der ersten Erfolgsstories des Webs wurde für 4.8 Milliarden US-Dollar selbst gekauft.

Was haben sich deutsche Journalisten die Finger wund gemahnt, weil Mark Zuckerberg eine Bude mit 16 Mitarbeitern für eine Milliarde Euro gekauft hat. Jetzt ist Instagram ein integraler Bestandteil von Facebook und Zuckerberg steht wiedermal gut dar. Facebook hat aus den Fehlern Yahoos gelernt.

Das Ökosystem aus Konzernen und Startups funktioniert in den USA. Der Szene werden Anreize gesetzt Risiken einzugehen, indem üppige Renditen an die risikoaffinen Investoren zurückfließen. Die Konzerne bekommen nicht nur Unternehmenszukäufe, die ihnen im internationalen Wettbewerb wieder einen Vorteil bieten, sondern eine frische Injektion von Andersartigkeit in Form einer diversen Unternehmenskultur.

Mann im Anzug der Kaffe trinkt.
Können gut miteinander: Im Silicon Valley hat sich ein Ökosystem von Startups und etablierten Unternehmen entwickelt. Das liegt vielleicht auch daran, dass ein Konzern wie Google für junge Unternehmen keinen Kulturschock bedeutet. Foto von Andreew Neel auf Unsplash. (CC BY-SA 4.0)

Warum geht ein Unternehmen wie 6Wunderkinder an Microsoft? Warum wurde mit Metaio ein Virtual-Reality-Pionier nach Kalifornien verkauft? Die besten Unternehmen der deutschen Startupszene finden Käufer im Ausland, fünf Jahre bevor hier klar wird, dass sie ein Puzzlestück einer Schlüsseltechnologie waren. Weil es Konzerne lieber selbst versuchen, dabei meistens scheitern, aber vor allem im internationalen Wetttbeweb viel zu langsam sind.

Diese Strategie gefährdet die Konzerne selbst und den Wirtschaftsstandort gleich mit. Gibt es zu wenige gute Startups, liegt das nämlich auch daran, dass Investoren vorsichtig investieren, weil sie wissen, dass Akquisitionen als lukrative Renditequelle ausfallen – so sind deutsche Startups nicht kompatibel. Zumal sich erfolgreiche und kapitalschwere Unternehmer als die besten Investoren erwiesen haben.

Verpasst sind die Chancen der Verjüngungskur bei RWE – jetzt ist der ganze Konzern auf der Suche nach einem Geschäftsmodell. Anstatt immer wieder Zukäufe zu wagen und sich damit gezielt Risiken auszusetzen, geht es jetzt ums Ganze. Zugleich zeigt der Konzern die Risiken einer vermeintlich vor Digitalisierung und schnellen Innovationszyklen geschützten Branche, denn die Veränderung auf dem bisher so trägen Strommarkt hat den Platzhirsch überrascht. Der Ausgang des Experiments betrifft jetzt aber den ganzen Konzern. Das hätte nicht sein müssen.

Im Folgeartikel geht es um die Frage, warum Unternehmenszukäufe das fehlende Puzzlestück in der Gründerzsene sind und welche Auswirkungen das auf Startups und ihr Umfeld hat.

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