Geschichten junger Digitalunternehmer sind Hollywood-Stoff: Der kauzige Sohn eines Einwanderers, der es nach Jahrzehnten der Perfektion und Entbehrung allen zeigt und das größte Unternehmen der Welt aufbaut. Oder der junge Nerd, der so erfolgreich ist, dass sich selbst Staatschefs um einen Termin bemühen. Die Filme über den Apple-Gründer Steve Jobs und Facebooks Mark Zuckerberg schaffen es zumindest für die Dauer des Films den Pioniergeist in uns zum Schwingen zu bringen. Nicht nur die Gründerszene begeistert sich für die Geschichten vom mittellosen, aber gerissenen Neuling, der es den verschlafenen Konzernen mal richtig zeigt. Auch die Politik begeistert sich für Startups und will je nach Tageszeit und Parteizugehörigkeit ein deutsches Facebook oder ein europäisches Google ermöglichen.
Die Zuschauer scheinen das Risiko und die Ungewissheit zu würdigen, schließlich sind große Herausforderungen und ungewisse Ausgänge unterhaltsamer als der sichere Erfolg. Tatsächlich ist es aber weit mehr als das. Der berühmte Gründer und heutige Startup-Investor Ben Horowitz beschreibt in seinem Buch The Hard Thing About Hard Things unprätentiös das Handwerk von Gründern aus viel harter Arbeit, Sorgen, Überforderung und manchmal Verzweiflung: „As a startup CEO, I slept like a baby. I woke up every 2 hours and cried“, scherzt Horowitz, um später klar zu stellen, dass es ihm tatsächlich schon so erging.
Fragt man vertraulich in der Gründerszene herum, geben viele zu, dass es ihnen ähnlich ging. Der WeWork-Gründer Adam Neumann sagt, seine schwierige Kindheit in einem isrealischen Kibbuz sei mit für seinen jetzigen Erfolg mitverantwortlich. Sie hätte ihn gelehrt, mit großen Widerständen umzugehen. Diese Resilienz macht neben harter Arbeit und etwas Glück den Unterschied. Klar, dass sich Neumann jetzt ganz lässig in den Sitz lümmelt und dabei von der versammelten Forbes-30-unter-30-Konferenz gefeiert wird. Er hat nicht vergessen, dass das nicht immer so war.
Schon individuell zeigt sich, dass manches Unternehmen das Lebenswerk einer Person ist, die nur aufgrund ihrer langjährigen Erfahrungen und Entbehrungen in der Lage war, diese Gründung erfolgreich durchzuführen. Hier zeigt sich, wie abwegig das Narrativ des glücklichen Gründers mit der Millionenidee ist. Das europäische Google ist kein Lottogewinn, sondern eine komplexe Mischung aus persönlicher Hochleistung, hervorragenden Rahmenbedingungen und erst dann ein wenig Glück.
Sind europäische Gründer also zu unerfahren oder nicht resilient genug? Sicher gibt es einige kulturelle Aspekte, wie die wenig positiv besetzte Kultur des Scheiterns und die höhere Skepsis gegenüber erfolgreichen Unternehmern. Das verringert die Anzahl der Gründungen und das Risikoprofil der Gründer. Aber Europa hat erfolgreiche Startups und Unternehmer. Offensichtlich liegt es nicht nur am Gründer, sondern an seinem Umfeld.
Wir haben schon den Vergleich zwischen der amerikanischen und europäischen Gründerszene gezogen und Unterschiede aufgezeigt. Klar ist, dass in Europa in der Wachstumsphase viel zu wenig Wagniskapital zur Verfügung steht. Außerdem sind die Unternehmensbewertungen zu niedrig, um für spätere Runden noch genügend Unternehmensanteile für die Gründer zur Verfügung zu haben. Als Beispiel: Als Zalando an die Börse ging, hielten seine Gründer weit unter 10 Prozent. Bei Mark Zuckerberg sind es noch Jahre nach dem Börsengang über 28 Prozent. Das ist ein folgenreiches Problem.
Die deutsche Startupszene profitiert von einer Reihe staatlicher Fördermöglichkeiten, um die uns Amerikaner beneiden: Wagniskapitalgeber bekommen bei Bedarf ihr Kapital günstig aus Mitteln europäischer Fördertöpfe gedoppelt. Ohne diese Mittel dürfte es einige deutsche VCs nicht geben. Der Bund fördert Gründer mit einem Startergehalt für ein Jahr und ist selbst als Investor aktiv. Das Kapital alleine löst aber ein Grundproblem nicht: Europäische Konzerne kaufen viel zu wenige Startups, um hohe Bewertungen zu rechtfertigen.
Ohne lohnenswerte ‚Exit’-Möglichkeit, also den Verkauf von Geschäftsanteilen an einen strategischen Käufer oder über die Börse, werden Investitionsrunden und Bewertungen sehr viel geringer ausfallen. Das Geld wird dann eher breit investiert, also auf viele Unternehmen verteilt. Das ist problematisch, denn eine unnatürliche Anzahl an Gründungsfinanzierungen bedeutet, dass umso mehr Unternehmen später scheitern, wenn in der Wachstumsphase die Mittel austrocknen. Das kann selbst für gesunde Startups gefährlich werden. Zudem brauchen die sehr erfolgreichen Unternehmen sehr viel Kapital, um sich global durchzusetzen.
Die Dominokette beginnt also mit geringeren Verkaufserlösen durch fehlende Unternehmenskäufe durch deutsche und europäische Unternehmen. Private-Equity-Fonds und große Venture-Capital-Fonds können deshalb weniger und zu einer niedrigeren Bewertung investieren, weil ihr erwarteter Verkaufserlös geringer ist. Investoren in der Wachstumsphase antizipieren dieses Verhalten und investieren ihrerseits bereits weniger Kapital. Diese Lücke in der Wachstumsphase ist ein klar identifiziertes Problem in Europa. Schuld sind letztendlich die fehlenden Verkaufsmöglichkeiten.
Als im Juni 2015 das Startup 6Wunderkinder seinen ‚Exit’ verkündete, war klar – das Unternehmen geht für einen hohen Betrag an ein US-amerikanisches Unternehmen. Diese von vielen Millionen Menschen genutzte App gibt es bald in der Windows-Umgebung und die Gründer bereichern die Unternehmenskultur des Konzerns. Es gibt arg wenige Unternehmen in Deutschland, die erfolgreiche Startups aufkaufen, so wie Axel Springer das beispielsweise tut. Aber auch der Verlag kauft gerne außerhalb, wie dessen Akquise des Startups Business Insider zeigt.
Das Startup-Ökosystem aber braucht das Signal der guten Exits, die nicht nur Investoren, sondern auch vermögende Tech-Gründer hervorbringen. Wie die Geschichte des Silicon Valleys zeigt, bringt Tech-Geld den Durchbruch, nicht das Geld der Old Economy. Einer der wenigen europäischen Investoren mit solcher Gravitas ist zum Beispiel der ehemalige Skype-Gründer und sein Fonds Atomico.
Global erfolgreiche Startups brauchen sehr viel Geld in der Gründungsphase. Der globale digitale Winner-Takes-It-All-Markt ist wie Russisch Roulette rückwärts: Bis auf einen Spieler sterben alle, aber der Gewinner ist unglaublich reich.
Aber nicht so schnell – was heißt „globaler digitaler Winner-Takes-It-All-Markt“ überhaupt? Digital bedeutet, dass es keine Transaktionskosten gibt und alles sehr schnell funktioniert, weil keine physischen Produkte oder Läden eröffnet werden müssen. Wenn der Service oder das Produkt einmal steht, ist es quasi kostenlos zu vervielfältigen. Wer nicht weiß, was ‚global’ hier bedeutet, fragt bitte bei StudiVZ nach (ja, die gibt es noch). ‚Winner-Takes-It-All’ bedeutet, dass sich Vorteile weiter verstärken und es keinen Grund für einen Zweiten gibt. Ein gutes Beispiel ist das Telefon. Je mehr Menschen eins besitzen, desto größer ist der Nutzen für jeden Telefonbesitzer, er kann nämlich mehr Menschen anrufen. Ähnlich ist es bei Facebook.
In einer solchen Ökonomie geht es vor allem darum, diese wenigen Gewinner zu finden und unbedingt sicher zu gehen, dass sie sich durchsetzen. Deswegen ist sehr viel Kapital nötig, um ein wirklich zukunftsträchtiges globales Unternehmen erfolgreich zu machen. Deswegen sind risikoaffine Investoren nötig, die unternehmerische Entscheidungen treffen und die Technik verstehen.
Hohe Unternehmensbewertungen und -finanzierungsrunden sind notwendig und paradoxerweise die risikoärmere Strategie in einer globalen und digitalen Welt.
Deswegen sind hohe Unternehmensexits nötig, die wohlhabende Unternehmer hervorbringen. Diese werden selbst zu smarten Investoren und ihr Erfolg motiviert Investoren dazu beim nächsten Mal mehr zu investieren. Deswegen sind endlich deutsche und europäische Konzerne nötig, die häufig Startups kaufen. Deswegen muss Wagniskapital für die Gelder europäischer Rentenfonds geöffnet werden und endlich ein europäisches Börsensegment her.
In Europa gibt es vieles schon: Die kulturellen und internationalen Hubs mit einer aktiven Startupszene – wie London und Berlin. Es gab schon große Exits und erste unternehmerisch geführte Fonds, die nach ihrer Emanzipation von Rocket Internet durch Zalando an Geld gekommen sind. Die Skype-Gründer investieren mit ihrem Millardenfonds Atomico in europäische Gründungen.
Neben vielen jungen Europäern versuchen sich hier isrealische Tech-Gründer, russische App-Startups oder amerikanische Blockchain-Unternehmer. Auch wenn die Mehrheit von ihnen scheitern wird, ist ihre Erfahrung doch die Voraussetzung für eine wirklich erfolgreiche Gründung. Gleichzeitig verstärkt sich das Volumen von smartem Kapital, also solches von erfolgreichen Gründern.
Was Europa noch fehlt sind die Unternehmer, die Erfolg nicht daran messen, für wie viel sie letztendlich ihr Unternehmen verkaufen, sondern daran, wen sie mit ihrem Unternehmen kaufen.