„Morgenstund hat Gold im Mund.“„Der frühe Vogel fängt den Wurm.“„Am Abend wird der Faule fleißig.“
Jede_r hat mindestens einen dieser Sätze schon mal hören müssen. Den Wenigsten wird allerdings bewusst, dass dabei ein Ordnungssystem unserer Gesellschaft sichtbar und gleichzeitig reproduziert wird: die Matinalnormativität. Denn Frühaufstehen gilt als Tugend und Matinalisten als leistungsfähig, lang oder zeitversetzt Schlafende dagegen als faul und nutzlos. Diese Norm strukturiert die gesamte Gesellschaft, ohne dass dies hinterfragt oder überhaupt als Missstand wahrgenommen wird.
Die Matinalnormativität der Gesellschaft
Es fängt bereits bei den Kleinsten an. Der Unterricht an den Schulen beginnt in der Regel um acht Uhr. „Zeitig“ nennen das manche ganz unverfroren euphemistisch, obwohl doch zehn Uhr ebenso eine Zeit wäre. Studien zeigen, dass Kinder um acht Uhr morgens in etwa so konzentriert sind wie um 12 Uhr abends. Den Matinalisten ist egal, dass dadurch viel Potenzial auf der Strecke bleiben muss, solange nur weiterhin dem Wecker gehuldigt wird. Das bedeutet im Endeffekt, dass die Kinder aufstehen müssen, wenn die Sonne noch nicht einmal an’s Aufgehen denkt. So wird ihnen schon im jungen Alter eingebläut, dass die Nacht nur dann etwas wert ist, wenn sie zum Morgen umgedeutet wird.