Wie in unserem Eingangspost angedroht, wollen wir in diesem Blog nicht nur Themen anschneiden und unsere Meinungen in die Welt posaunen, sondern auch gerne ausführlich darüber diskutieren – insbesondere mit Leuten, die alles ganz anders sehen. Zu diesem Zweck werden wir in unregelmäßigen Abständen Ein- und Widersprüche von Gastautoren als eigenständige Artikel veröffentlichen. Diese Woche ist unser Gastautor Simon Basler, FDP-Mitglied aus Weil am Rhein, der derzeit in Berlin seine Master-Arbeit in Corporate Management and Economics schreibt.
Der Luxus des Entscheidens
Aber ist das nicht eine zu sehr akademisch geprägte Sichtweise, welche die Realität, der sich eine nicht unbedingt kleine Gruppe von Personen in diesem Land Tag für Tag stellen muss, nicht ausreichend differenziert? Sicherlich, der Druck auf die Generation Y nimmt mehr und mehr zu. Getreu dem Motto „everything goes“ hangelt sich die Multioptionsgesellschaft von einer Möglichkeit zur nächsten – gerne mit Geldzurückgarantie, Exit-Strategie oder Plan B im Hinterkopf. Da müssen schwierige Entscheidungen getroffen werden: Staatlich studieren oder doch lieber privat? Reicht mir ein Studiengang oder brauche ich nicht doch noch ein Zweitstudium, das mich dann so richtig auslastet? Für die einen sind solche Arten von Entscheidungen herausfordernd, belastend; andere können über solche Probleme bei der Entscheidungsfindung nur müde lächeln. Denn was ist eigentlich mit den Menschen in bestimmten Milieus, die solche problematischen Entscheidungsfindungsprozesse bestenfalls aus dem Fernsehen kennen? Das Arbeiterkind aus Marzahn zum Beispiel, das aus einem finanziell schwachen Elternhaus kommt und gerne zwischen staatlich und privat entscheiden würde, dem diese Entscheidungen aber schon von vornherein durch seine begrenzten Möglichkeiten abgenommen werden. Robert Frosts Aufforderung „Junge (oder Mädchen), hier geht es um dein Leben, also nimm das gefälligst selbst in die Hand“ wäre der junge Mensch sicherlich gerne gefolgt und hätte die Belastung der daraus folgenden Optionen wahrscheinlich gerne in Kauf genommen. Was ihm aber fehlt, ist die Wahlfreiheit. Was fehlt, sind die Optionen.
Einspruch!
Wenn nun nach mehr Haltung unserer Entscheidungsträger in Politik und in der Wirtschaft gerufen wird, wenn kritisiert wird, dass Entscheidungen zu spät und zu unentschieden getroffen werden, wenn deren Entscheidungsverhalten sogar als feige gebrandmarkt wird, dann hat das Widerspruch verdient!
In Zeiten schwieriger Entscheidungen wird einem Konzernchef schnell einmal maximale Entscheidungsgewalt nachgesagt, um ihm im gleichen Atemzug Entscheidungsfrigidität vorzuwerfen. Dabei wird gerne übersehen, dass auch ein Vorsitzender mit einem begrenzten Handlungsspielraum zu hantieren hat und alles andere als absolutistisch agieren kann. Optionen sind eingeschränkt; der Druck von außen immens. Haltung zeigt der Konzernchef nicht, indem er auf klare Kante setzt, Haltung zeigt er, wenn es ihm gelingt, die unterschiedlichen Interessen auszubalancieren.
Ähnlich verhält es sich auch mit unserem Regierungspersonal. Julian stellt einerseits die Komplexitätsexplosion unserer Umwelt fest und bezeichnet andererseits die Strategie des Bloß-nichts-falsch-Machens als denkbar schlechte Wahl. So weit, so richtig. Dass klare Kante und maximale Haltung in der Politik so nicht funktionieren, konnte man aber dennoch in den vergangenen zehn Jahren eindrucksvoll am Niedergang der SPD als Volkspartei beobachten. Warum? Die Agendapolitik entsprach ganz dem Motto „Haltung zeigen!“ Der Kurs zum Umbau, andere nannten es Abbau des Sozialstaats war klar und unmissverständlich gesetzt. Klare Haltung eben. Weich und kuschelig war da nichts. Knallharte Kante. Die Folge waren Massenproteste. Und schon war es um ein bis dato wertgeschätztes Prinzip mancher Stammwähler geschehen. Die Partei leidet bis heute. Und selbst in dieser Situation mag sich Gerhard Schröder wie ein Getriebener gefühlt haben. Getrieben von immensem Druck der internationalen Arbeitsmärkte und der Wähler, Gewerkschaften und Sozialverbände.
Die Politik hat anders zu entscheiden
Da muss differenziert werden…
Die Gestaltungsmöglichkeiten der nationalen Politiker sind zudem zunehmend beschränkt, bei gleichzeitig steigenden Erwartungen der Bürger, die nicht zuletzt durch die Medien befeuert werden. Wer sich dem Glauben an eine Super-Mutti hingegeben hat, der kann nur enttäuscht werden. Gerade die Banken- und Eurokrise hat deutlich gemacht, dass selbst ein Marathon europäischer Regierungsgipfel nur schwer mit den überkomplexen Herausforderungen und dem Eigenleben der Märkte zurechtkommt. Wenn in solch einer Situation jeder noch so kleine Fehler fatale Auswirkungen auf unseren Wohlstand haben kann, dann mag situatives Entscheiden angesichts der Risiken eben doch gerechtfertigt sein, dann mögen kleine Schritte durchaus die Kraft zur besseren Lösung haben.
Last but not least…
Warum auf Mutti verzichten?
Erwachsen werden sollen wir. Haltung zeigen sollen wir. Wen wir uns hier als Beispiel einer schillernden Haltung verkörpernden Person nehmen sollen, das sagt uns Julian nicht. Mutti soll es jedenfalls nicht sein, wenn es um unsere Entscheidungen geht. Was wäre eigentlich, wenn wir alle über direkte Demokratie aufgerufen wären Entscheidungen zu treffen? Am laufenden Band. Mit weitreichenden Konsequenzen. Würden wir uns dann leichter tun mit der Entscheidungsfindung? Oder sind wir insgeheim nicht doch froh darüber, dass uns die Damen und Herren Politiker diese Entscheidungen ein gutes Stück abnehmen?
Jeder weiß, dass Mutti Meisterin des Abwägens und Verwaltens ist – und das ist bei Kriegsfragen für uns Deutsche mal eine gute Abwechslung. Aber wie sie zu richtigen Reformen, deren Notwendigkeit auch du, Simon, eingestehst, beitragen kann, bleibt offen.
Mir scheint der Fehler liegt im Wahl- und Parteiensystem. Wie wärs denn mit der direkten Demokratie, wenn Mutti Volkes Wille durchsetzen und nicht nur erspüren müsste? Du hast recht, wenn du auf die Doppelmoral der jungen Unentscheider verweist, die von oben den Mut zu Reformen fordern. Aber genau wie unsereins langsam lernt, mit der Optionsvielfalt zurechtzukommen, wird vielleicht auch der Wähler zunehmend mündig und kompetent.