Europa nach der Wahl – ein Spiel mit klaren Einsätzen?

Europa hat gewählt und in vielen Staaten – allen voran Frankreich, dessen Situation ich in meinem letzten Artikel zu schildern versucht habe – haben die Wähler eine klare Unzufriedenheit mit nationalen Politiken geäußert. Doch neben all der berechtigten Aufregung über den Aufstieg europakritischer Parteien darf man eins nicht vergessen: Das, was diese Parteien eint, ist vor allem ihre Uneinigkeit in der Kritik der EU – wie Günther Nonnenmacher richtigerweise anmerkt. Es sind eben Kritiker von links und von rechts ins Europaparlament gewählt worden, die teilweise aufgrund sich diametral entgegenstehender Motivationen skeptisch gegenüber der EU sind und deren Wahl zu großen Teilen durch  nationale Probleme motiviert scheint. Es bietet sich daher auch eine weniger dramatische Lesart an:
Vielleicht hat diese Wahl vor allem gezeigt, dass die Nationalstaaten europapolitisch nachziehen müssen – und dass Brüssel die Rahmenbedingungen schaffen muss, damit dies möglich wird. Nach Jahren eines krisengetriebenen Regierens „von oben“ (häufig durch nationale Regierungsinitiativen) muss nun eine Europapolitik her, die klarer zwischen europäischer und nationaler Ebene differenziert und so eine transparenter organisierte Subsidiarität verfolgt. Ein europäischer Rahmen, der Problembewältigung auf nationaler Ebene ermöglicht und es erlaubt, die großen Schritte der letzten Jahre zu verdauen und sich auf die neue Situation einzustellen. Aber auch ein Rahmen, dessen Struktur nationale Initiativen auf europäischer Ebene klarer als solche ausweist. Damit könnte sowohl der deutschen Dominanz in Europa als auch einfachen Schuldzuweisungen durch nationale Populisten entgegengewirkt werden.
Das Wahlergebnis lässt sich also auch so lesen: Als eine klare Bestätigung des Kerns der Europapolitik auf der einen Seite – denn eine große Mehrheit in Brüssel wird nach wie vor von europaphilen Parteien gestellt – und einem durch euroskeptische Stimmen ebenso klar ausgedrückten Willen zur Veränderung der Ausgestaltung dieses Willens, der jedoch noch keine klare Linie gefunden hat. Die Richtung ist zwar nach wie vor abstrakt, aber m. E. könnte diese politische Konstellation auch sehr produktiv sein – denn der Preis eines möglichen Scheiterns ist jetzt wesentlich klarer.

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