Ich habe die Nase voll. Tod, Katastrophe, Anschlag. Tod, Katastrophe, Anschlag. Ist die Welt so bösartig, wie sie auf uns einprasselt? Würde man den Eilmeldungen der auflagenstärksten Zeitungen, der meist gesehenen Nachrichtensendungen und der meist geklickten Online-Portale Glauben schenken, dann ist die Welt dem Untergang geweiht. Ich habe jetzt alle Nachrichten-Apps auf meinem Smartphone deinstalliert, weil jede destruktive Nachricht alle meinen guten Vorsätze für den Tag zunichte machen kann.
Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass das Leben ein Märchen mit einem Happyend ist. Wäre die Welt so, bräuchte die Menschheit keine Märchen mehr. Aber es wäre genauso naiv zu glauben, dass die Welt weitgehend die Handschrift des Bösen trägt. Die meinungsbildende Medienlandschaft umrahmt nicht den ganzen Wald, sondern nur die kranken Bäume. Sie vereinnahmt Kummer und Leid oder Hass und Hetze für sich, als würde die negative Berichterstattung die ganze Bandbreite menschlicher Informationsbedürfnisse befriedigen.
Dabei unterliegt der Journalismus nicht ausschließlich dem Dekret der Missstände. Der sogenannte konstruktive Journalismus versucht, positive Entwicklungen hervorzuheben und vorhandene Probleme um Lösungsansätze zu erweitern. Die Reichweite solcher Berichterstattung ist aber leider sehr überschaubar. Die Nachrichtenportale, die eine große Zahl der Menschen erreichen, hantieren gerne mit Terror, Krieg und Sterben.
Woran liegt das? Jedes große journalistische Medium ist ein Unternehmen, das zuallererst Umsatz erwirtschaften soll. Eine Nachricht gewinnt die Oberhand, wenn sie die meisten Klicks generiert bzw. die meisten Exemplare verkaufen lässt. Nicht der Bildungsauftrag oder wissenschaftlich relevante Fakten entscheiden über die Nachrichtenauswahl, sondern die Verkaufszahlen. Der wirtschaftliche Erfolg wiederum lässt sich journalistisch potenzieren, indem bestimmte Emotionen geschürt werden, die maximale Aufmerksamkeit erregen.
Die Herkunft des Bösen
Ein Beispiel: Als ein Mann in Reutlingen mit einer Machete um sich schlug, stürzten sich viele Medien auf diese Nachricht. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese Tat ein grausames Verbrechen ist. Aber wie kommt es dazu, dass diese Meldung eine so große mediale Resonanz erfährt, obwohl sich täglich viele Beziehungsdramen abspielen, die möglicherweise grausamer enden?
Es ist die Kombination verschiedener Aspekte, die die Brisanz einer Meldung ausmacht. Erstens geht es um ein Beziehungsdrama, zweitens um dessen grausamen Ausgang und schließlich und vor allem um die Herkunft des Täters. Würde es sich dabei um den konstruktiven Journalismus handeln, müsste man feststellen, dass diese Meldung gar nicht meldungswert ist. Ein Beziehungsdrama hat keine einschneidenden Konsequenzen für das gesellschaftliche Zusammenleben. Es ist eine private Auseinandersetzung und wenn sie gewalttätig endet, dann obliegt es dem Rechtsstaat, der Sachlage juristisch gerecht zu werden.
Die Herkunft des Täters spielt dabei keine Rolle. Warum weisen die Medien darauf hin, dass der Mann aus Syrien kommt? Weil dadurch Assoziationen hervorgerufen werden, die seine Tat als einen terroristischen Akt einstufen. Wenn ein Moslem gewalttätig wird, dann muss stets der Terror in Betracht gezogen werden. Höchst rassistisch, höchst unprofessionell und höchst unseriös. Die Journalisten fällen ein Urteil, bevor die Motive des Täters überhaupt bekannt sind. Dasselbe Phänomen zeigte sich beim Amoklauf in München. Bevor man wusste, welche Motive der Täter hatte, lud man Terrorexperten in das ARD-Studio ein, um zu diskutieren, welche Lehren man aus dem Terrorakt in Nizza gezogen habe.
Manipulation und Widerstand
Ich werfe den seriösen Medien nicht vor, sie würden fernab von Fakten berichten. Sie benutzen aber Fakten, um Emotionen zu erzeugen, anstatt einer sachlichen Grundlage, auf deren Basis konstruktive Lösungsansätze kommuniziert werden können. Sie bedienen sich der Methodik des Boulevard-Journalismus. Ihr Input ist spekulativ und parteiisch. Ihre Berichterstattung heizt eine Stimmung an, die sie selbst mitgestaltet. Was hat die von mir angeführte Meldung aus Reutlingen für eine informative Relevanz, außer dass beim Nachrichtenempfänger Gefühle wie Schock, Schrecken, Angst und schließlich Wut entstehen? Eine Wut, die in Hass umschlagen kann, wenn man Plattitüden ständig wiederkäut. Die meisten Journalisten gehen mit der AfD und ihren Anhängern hart ins Gericht, ohne sich einzugestehen, dass sie selbst die Stigmatisierung gewisser Minderheiten vorantreiben.
Es ist nicht schwer Sündenböcke zu finden. Wir können den Nachrichtenagenturen gerne die Schuld in die Schuhe schieben. Aber geht es auch nicht ein Stück weit um uns Konsumenten? Sind wir nicht diejenigen, die mitbestimmen, was uns mehr interessiert? Wir klicken Nachrichten an, die uns Terror und Blut versprechen. Wir sitzen stundenlang wie gebannt vor dem Fernseher und lassen uns von allen Details berieseln, die einen Amokläufer dazu bewegt haben könnten, das zu tun, was er getan hat. Und dann haben wir Angst, obwohl wir jeden Abend mit einem vollen Bauch ins Bett gehen, keine Bomben unser Nachbarhaus niederreißen. Wir blenden die abertausenden Flüchtlinge aus, die hier leben, ohne dass sie zu einer Machete greifen.
Es sind jetzt 24 Stunden vergangen, seit ich meine Nachrichten-Apps deinstalliert habe. Ich bin motivierter und produktiver als sonst. Ich muss zugeben, dass ich irgendwie stolz darauf bin, weil mir klargeworden ist, dass ich Widerstand leisten kann, auch wenn er minimal und passiv ausfällt. Und glaubt mir. Die Welt ist nicht so übel, wie sie dargestellt wird. Die Welt beginnt in meiner unmittelbaren Umgebung. Ich habe heute ein Paar gesehen, das einem Obdachlosen belegte Brötchen gekauft hat. Meine dreizehn Schüler, die alle Flüchtlinge sind, haben die Gewalttaten der letzten Tage einstimmig verurteilt. Die Sonne scheint und wir werden heute wieder mehr als genug essen. Die Welt ist nicht durch und durch bösartig. Wer in grellen Farben ein Untergangsszenario ausmalt, lebt nicht in einem. Sonst würde er flüchten.
Foto von Jay Wennington