links rechts geradeaus – Hauptsache gegen Israel

Ein grünes, gehörntes Wesen mit roten Warzen, spitzen, abstehenden Ohren, Stoßzähnen und unterschiedlich großen Augen sitzt aufrecht im Bett – ein Monster. Wartend, eine Gabel in der linken und ein großes Messer in der rechten Hand, beäugt das Monster ein Zimmermädchen, das im Vordergrund, aber nur von hinten zu sehen ist. In ihren Händen trägt die Dame ein gefülltes Frühstückstablett, das sie dem Monster servieren wird.

Israel als gefräßiger Moloch

Die Bildunterschrift verrät, wer dargestellt wird: „Deutschland serviert. Seit Jahrzehnten wird Israel, teils umsonst, mit Waffen versorgt. Israels Feinde halten das Land für einen gefräßigen Moloch.“ Wir haben also Germania als Zimmermädchen und den Judenstaat als gefräßigen Dämon.

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Feinstaub im Gewerkschaftsgetriebe

Die Debatte über schwarze Staubpartikel ist mir besonders in Erinnerung geblieben. In meiner Ausbildung war ich Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung  meines Betriebes, einem deutschen Bankhaus in Frankfurt am Main, und durfte deshalb an den Betriebsratssitzungen teilnehmen. Glücklicherweise ist in Frankfurt der Hauptsitz des Unternehmens, der deshalb Standort des Hauptbetriebsrates ist, was die Sitzungen normalerweise ziemlich spannend macht.

An diesem Tag bereute ich es jedoch sehr. Hatte ich mich als Kind noch gefragt, ob es auf der Welt etwas Langweiligeres als eine zweistündige Ostermesse gäbe, hatte ich es jetzt gefunden: Es war die Debatte über Druckerfeinstaubemission. Die frei gewordene Zeit nutzte ich abwechselnd dafür, mir einerseits Strategien für die unauffällige Beschaffung der Konferenzkekse zurechtzulegen und mich andererseits zu fragen, was in der heutigen Zeit noch der Sinn von organisierter Arbeitervertretung ist. Schutz vor Druckerfeinstaub ist es jedenfalls nicht, da war ich mir sehr sicher.

Vielleicht lag es an der 2008 einsetzenden Finanzkrise, aber der Umgangston wurde zunehmend rauer und einige waren in der Zeit froh, auf den Betriebsrat zählen zu können – um die Wogen etwas zu glätten oder unserem aufbrausenden Vertriebsleiter die Stirn zu bieten. Spätestens, als ich mitbekam, wie sich eine ältere Mitarbeiterin vor dem Jähzorn eben jenes Vorgesetzten unter ihrem Schreibtisch versteckte, war ich froh, dass es den Betriebsrat gab, von dem sie sich hätte vertreten lassen können. Nicht, dass sie es getan hätte. Arbeitnehmervertreter sind in der Bankbranche nicht sehr beliebt.

Herr Sommer macht mir ein Geschenk (anderen aber nicht)

Die Gewerkschaften waren mir bis dahin nur in Form eines Herrn Sommer begegnet, der abends in der Tagesschau mit hochrotem Kopf mehr Lohn forderte. Irgendwann bekam ich dann einen Brief, der mir mitteilte, dass Herr Sommer wohl auch für mich mehr Lohn gefordert hatte, denn ich bekam eine saftige Einmalzahlung (reichte für eine mittelklasse Konzertgitarre) und etwas mehr monatlich drauf (reichte für ein Eis im Monat). Da habe ich mich schon gefreut.

Auf einem Betriebsratsseminar lernte ich einen Auszubildenden kennen, der nicht in den Genuss der tariflichen Erhöhungen gekommen war. Seine Bank hatte ihn kurz nach Abschluss einfach umdeklariert, so dass er jetzt als Leiharbeiter nicht mehr in den Tarif fiel und sein Anstellungsverhältnis auf ein Jahr befristet werden konnte. Anders als ich konnte er es sich durchaus vorstellen, bei seinem Arbeitgeber zu bleiben und hatte nicht vor, den Ort zu wechseln. Regulär arbeitend, sollte er so viel wie ich im letzten Ausbildungsjahr verdienen, ohne irgendeine Sicherheit. Das fand ich nicht fair.

Dabei besitzen Gewerkschaften gar nicht mal so wenig Macht. Bei der Hauptversammlung der Bank saß auf einmal ein bekanntes Gesicht aus dem Betriebsrat direkt in der Reihe der Vorstände. Durch die paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat und (ausschlaggebend) der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft hatte sie es zur stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden der Großbank gebracht. Das freute mich, denn sie war immer sehr energisch bei der Sache und ich fand sie sympathisch. Als ich ihr in der Pause zuwinkte, lächelte sie zurück.

Die fetten Jahre sind vorbei

Später ging es dann raus aus dem Filialgeschäft zu den alten Haudegen des Mittelstandsgeschäftes. Zwei der etwas älteren Bankiers nahmen mich unter ihre Fittiche, um mich als Grünschnabel aufzuklären, wie der Hase hier läuft. Von den beiden habe ich viel gelernt – unter anderem, dass sie noch aus alten Tagen Gehälter bezogen, die heute so einfach nicht mehr gezahlt werden. Dementsprechend hoch sind ihre Pensionsansprüche.

An sich störte mich das kein bisschen. Die beiden ignorierten mit stoischer Gemütlichkeit jeden neuen monetären Anreizmechanismus, nahmen sich viel Zeit für mich und fuhren nebenbei noch Rekordergebnisse ein. Leider geht das jedoch auf unsere Kosten. Die Selbstverständlichkeit, nach der Ausbildung einen unbefristeten Job im gleichen Unternehmen anzutreten, gibt es nicht mehr. Wer nach einer guten Ausbildung mit Auslandssemester und Praktika eine Garantie auf einen anspruchsvollen Job vermutet, wird enttäuscht. Der Deal ist geplatzt. Die Vorherrschaft der Alten gilt immer noch.

Genau aus diesem Grund stimmt auch die Standardantwort der Personalabteilung auf allzu forsche Karrierewünsche: „Frau/Herr [dein Nachname hier], derzeit können wir eine solche Zusage leider nicht tätigen, Sie wissen ja, die wirtschaftliche Lage.“ Klar: Wenn ich etwa 90% meines gesamten Unternehmenswertes meinen Pensionären versprochen hätte (wie bei Thyssen Krupp), wäre ich auch ganz vorsichtig, zu fairen Löhnen Neue einzustellen. Ganz zu schweigen von etwaigen Rentenversprechen. Je nachdem was genau früher versprochen wurde, müssen die Firmen jetzt noch was nachschießen, weil die Rechnung durch die Finanzkrise nicht mehr aufgeht, oder einfach zu viel versprochen wurde. Das verhagelt das Betriebsergebnis und führt zu eben jenem Satz.

Damit haben Gewerkschaften herzlich wenig zu tun. Ach ja, außer natürlich, dass sie mit nach Alter diskriminierenden Tarifverträgen noch tiefer in die Kerbe schlagen. Danke dafür.

Arbeitsschutz Reloaded 

Ein anderes Thema betrifft Arbeitsschutzrechte – das Urgestein der Gewerkschaftsthemen also. Tatsächlich sind deutsche Gewerkschaften ganz vorne mit dabei, wenn es heißt, organisierte Arbeit zum Beispiel in Bangladesch zu garantieren. Dort geht es richtig zur Sache mit zerschlagenen Kniescheiben und toten Funktionären – gut, dass sie vor Ort sind.

Kurz nachdem ich dem Banksektor endlich den Rücken gekehrt hatte, bekam ich einen Anruf von einem Bekannten. Er ist in etwa gleich alt und in einer dieser Fast-Track-Programme einer Bank. Er rief aus einer Rehaklinik an, weil der Druck ihn zermürbt hatte. Ich wunderte mich sehr, denn an Intelligenz oder Hartnäckigkeit kann es nicht gelegen haben.

‘If you can’t stand the heat, get out of the kitchen’

Das sagen die Amerikaner, wenn sie ausdrücken wollen, dass sie kein Mitleid für jemanden haben, der sich einer Situation nicht gewachsen fühlt, die er sich selber ausgesucht hat. Jung, gut ausgebildet, intelligent und zielstrebig – da hat man die Wahl. Oder etwa nicht?

Nein, haben wir nicht. Ob diese Optionslosigkeit nun real ist oder sich aus einer geschickt genährten Illusion ergibt: Selbst weniger sozialromantisch angehauchte Menschen aus meinem Umfeld teilen dieses Gefühl. Das geht von Unternehmensberatern über Investmentbanker bis hin zu einfachen Filialmitarbeitern, Sozialarbeitern, angehenden Architekten … Das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit ist ständiger Begleiter. Das treibt höchst seltsame Blüten: 16-Stunden-Tage im Investmentbanking bei heruntergebrochen kümmerlichen acht Euro die Stunde. Unbezahlte Praktika in Städten mit 800 Euro durchschnittlicher Kaltmiete für 20m2 Wohnraum. Erneutes Einschreiben nach dem Masterstudium, nur um an gering bezahlte Praktika als Einstiegsvoraussetzung zu kommen. Anstellung auf Jahresvertragsbasis in den ersten Berufsjahren. Anspruch der absoluten räumlichen und zeitlichen Flexibilität selbst bei stetigen, gut planbaren Tätigkeiten.

Wir setzen uns einer völlig atypischen, künstlich induzierten Belastung aus. Ich weiß, ein Arzt muss halt mal 12 Stunden durchoperieren, ein Psychologe hat bei suizidgefährdeten Patienten erreichbar zu sein, ein Seemann arbeitet vier Monate am Stück ohne Heimat außer seiner Koje. Bei wissenschaftlichen Artikeln, Bilanzen und Werbekampagnen ist dem nicht so.

Dieser Druck führt dazu, dass frappierend häufig immer die Besten in meinem Bekanntenkreis einfach wegbrechen. Angststörung mit Mitte zwanzig, graue Haare, Lidzucken, Depressionen mit Anfang dreißig, happy Birthday.

Spiel mal mit den Schmuddelkindern

Das funktioniert nur, weil alle mitspielen. Und es bleibt dabei, weil Einzelne es nicht ändern können. Und es ändert sich nichts, weil wir uns nicht organisieren, weil wir nicht organisiert werden. Wer das ändern könnte, sind die Gewerkschaften. Deren Kernklientel aber treibt bereits weit im Wohlfühlbereich der bürgerlichen Mitte, dem Establishment der Wohlstandsplautzen und des Vorruhestandes. Dabei gibt es sie doch, die Schmuddelkinder.

Vielleicht haben wir es auch einfach nicht besser verdient. Wir akzeptieren, dass man uns die herrlichen Mußejahre des Studiums zum Wohle der Volkswirtschaft streicht. Wir zahlen in ein öffentliches Rentensystem ein, von dem niemand ernsthaft erwartet, etwas zurück zu bekommen. Für unser Berufsleben sind wir mobil, ständig erreichbar und bereit Kompromisse einzugehen, für unser Privatleben sind wir es leider nicht. Wir sind schon ein trauriger Haufen. Wie Pawlowsche Hunde sitzen wir zuckend im Käfig und warten, dass uns da mal jemand rausholt.

Dabei müssten wir uns nur mal bewegen, um zu sehen, dass es auch anders geht. Wir benötigen dringend die grundlegenden Instrumente, die eine Gewerkschaft nunmal bietet: die Ressourcen, um Präzendenzfälle auch mal durchzubringen – die Schadensersatzklage eines depressiven Junior Consultant zum Beispiel. Eine Presseabteilung, um unsere Stimme geltend zu machen. Und vor allem – das Gemeinschaftsgefühl einer selbstbewussten Generation.

Beantwortung der Frage: Was ist Linksliberalismus?

Wer am Anfang steht, sollte sich erst einmal ein paar Fragen beantworten, die niemand gestellt hat: Was tue ich hier eigentlich? Warum tue ich es? Und von welchem Standpunkt aus? Außerdem sollte er, das steht in jedem guten Gruppenblog-Ratgeber, nach Möglichkeit gleich im ersten Post dem gemeinsam verfassten Eingangsstatement widersprechen, um sich bei seinen Mitbloggern beliebt zu machen. Drittens sollte er schon im zweiten Satz das generische Maskulinum benutzen, damit die Hälfte seiner Leserschaft – das „ganze schöne Geschlecht“, wie Kant sagt – sofort aussteigt. Last not least sollte er auch in der sechsten Zeile noch keineswegs zum eigentlichen Thema gekommen sein. Das nämlich hat den großen Vorteil, dass er in der siebten Zeile endlich allein mit sich ist und ungestört Blödsinn schreiben kann.

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Zurück oder Zukunft?

Der jüngste EU-Gipfel eignete sich wiedermal nicht, um große Schlagzeilen zu generieren. Neben dem Streit um die Haushaltsmittel und einem Programm gegen die Jugendarbeitslosigkeit, das von vielen Seiten als unzureichend kritisiert wird, ist kaum etwas vorzuweisen. Stattdessen werden nationale Interessen verstärkt in den Vordergrund gestellt und eine aufgeklärte politische Diskussion über Sinn und Struktur einer stärkeren Union bleibt aus. Dabei sind die Probleme drängend und der Nationalstaat alleine scheint ihnen kaum gewachsen. Der EU droht eine ganze Generation verloren zu gehen, die durch Perspektivlosigkeit in die Opposition getrieben wird. Es wird Zeit, dass man ihre Proteste ernst nimmt.

Der fehlende Wille zur Integration

Dabei wäre es nur zu wichtig, dass die immer wieder angestoßene Diskussion über den weiteren Integrationsprozess am Leben gehalten wird: Andere Teilbereiche der Gesellschaft haben die nationalstaatlichen Grenzen längst hinter sich gelassen. Die wirtschaftliche Krise der letzten Jahre hat sich auch deswegen zu einer politischen Krise entwickelt, weil es keinen politischen Rahmen gibt, um die Entwicklungen der globalen und europäischen Wirtschaft zu bearbeiten.

Der Nationalstaat scheint vor diesem Hintergrund immer häufiger als ein zu enges Korsett für eine effiziente Politik. Längst wird ein großer Teil der deutschen Gesetze in Brüssel verabschiedet. Auch die Interventionen des Europäischen Gerichtshofes verdeutlichen, dass der Integrationsprozess die Souveränität der einzelnen Staaten längst beschnitten hat. Am deutlichsten erfahren das sicher die Menschen in den Ländern, die aktuell von der Troika überwachte Strukturreformen durchführen müssen – ob sie wollen oder nicht. Gleichzeitig drängen andere Player auf die Bühne der internationalen Politik, die das Selbstverständnis der europäischen Nationen langsam aber sicher in seine Schranken weisen. Mit dem wachsenden Selbstbewusstsein Chinas und Russlands erscheinen selbst Länder wie Deutschland immer kleiner – wer kann schon sagen, wie eine europäische Krisenpolitik in Zukunft aussehen könnte, wenn China und Indien den IWF dominieren?

Doch anstatt die Krise als einen Motor für weitere Schritte anzusehen, wird der Nationalstaat wieder vermehrt in den Vordergrund gestellt: Eurokritische Parteien gibt es in jedem Staat. Aber auch die aktuelle deutsche Regierung genießt ihre komfortable Position durch ihr politisches und wirtschaftliches Gewicht und sieht keine Notwendigkeit zur Veränderung der Entscheidungsprozesse innerhalb der EU. Gerade das Minimum an notwendiger Abstimmung zwischen den Staaten wird realisiert. Doch am Ende versucht jede Regierung, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen.

Probleme einer rückwärtsgewandten Politik

Ein entscheidender Punkt scheint in diesem Zusammenhang in den inneren Problemen der europäischen Staaten zu bestehen. Das in der Nachkriegszeit etablierte Modell der Parteiendemokratie hat mit sinkender Zustimmung zu kämpfen. Dafür ist nicht zuletzt das Modell der Wählermobilisierung über den Wohlfahrtsstaat verantwortlich. Über Jahrzehnte hinweg wurden den WählerInnen immer neue Leistungen versprochen, um sie für die eigene Partei an die Wahlurne zu rufen. Doch die steigenden Staatsschulden lassen vor dem Hintergrund der weltweiten wirtschaftlichen Verflechtungen und des demografischen Wandels immer mehr Zweifel am Fortbestand dieses Systems – zumindest in seiner jetzigen Form. Andererseits trauen sich ParteipolitikerInnen nicht, Leistungen zurückzunehmen oder eine ernsthafte Reform der Sicherungssysteme zur Diskussion zu stellen. Allein die Familienförderung in Deutschland umfasst 150 verschiedene Leistungen und der Dschungel an Steuergesetzen scheint weitestgehend unbekanntes Gebiet. Die Pflegereform wird immer wieder verschoben und die Lebensleistungsrente stellt für viele junge Menschen keine ausreichende Motivation für einen Urnengang dar.

Die Politik hat sich in eine vertrackte Situation manövriert. Um WählerInnen und Sozialstaat erhalten zu können, ist eine gute Wirtschaftspolitik nötig. Zur gleichen Zeit offenbaren sich genau hier die oben angerissenen Grenzen des nationalstaatlichen Horizonts: Wirtschaft – vor allem die Finanzmärkte – denkt und agiert längst global und selbst bei authentischem Kampfeswillen wird sie sich wohl nicht im nationalen Alleingang „an die Kette legen lassen”. Ein Ausweg wäre die Flucht nach vorn. Auch hier lauern viele Probleme und Risiken, doch es winkt auch ein neues Verständnis von Staatlichkeit mit neuen Freiheiten und Gestaltungsmöglichkeiten. Die andere Option ist der Weg zurück. Ein Großteil der WählerInnen und PolitikerInnen sind anscheinend nicht bereit, die aktuellen Denkmuster zumindest infrage zu stellen. Und so bietet sich auch der Rekurs auf die Nation an, um die Legitimität der eigenen Politiken sicherzustellen. In den Nachrichten begegnen einem daher auch immer häufiger diese Muster, die teilweise schon abgeschrieben wurden. So wird die europäische Integration von vielen Seiten in immer weitere Ferne gerückt, um auf Probleme zu reagieren, die innerhalb der Union womöglich sogar einfacher zu lösen wären.

Die Zukunft steht auf dem Spiel

Diese beiden Möglichkeiten prägen auch die politischen Landschaften Europas und treten dort am klarsten zutage, wo eine Entscheidung unausweichlich wird: In den krisengebeutelten Staaten Südeuropas und den kleineren Staaten, die längst realisiert haben, dass nur die EU ihnen auch zukünftig die Möglichkeit der Mitbestimmung bietet. Doch hier macht sich die mangelnde Identifikation mit der Union bemerkbar. Es ist kaum möglich Programme zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit auf die Beine zu stellen, da PolitikerInnen und SteuerzahlerInnen nicht gewillt sind, Geld abzugeben.

Dabei steht viel auf dem Spiel. Gerade die Jugendarbeitslosigkeit zeigt, dass ein Umdenken erforderlich ist. Und nicht nur in Europa werden die Forderungen nach mehr Gestaltungsmöglichkeiten für die Zukunft und Rücksicht auf die Belange junger Menschen immer häufiger auf die Straßen getragen. Denn hier werden die Weichen für die Zukunft schon gestellt – die jungen Menschen, die keine Perspektiven sehen und die EU immer häufiger als Bösewicht oder Papiertiger erleben, sollen dieses Projekt einmal fortführen und tragen. Ihnen ist das Globale näher als den vorhergegangenen Generationen und sie haben (noch) keine Rentenversicherungen und Eigenheime und somit auch weniger zu verlieren.

Sicherlich ist jetzt keine blinde Reformwut gewünscht und in diesem Sinne muss von beiden Seiten Dialogbereitschaft bestehen. Aber ein entschiedener Schritt nach vorne muss getan werden. Und in diesem Sinne ist auch die Wahl zwischen zurück oder Zukunft keine wirkliche. Denn durch Politik lässt sich die Globalisierung längst nicht mehr aufhalten. So werden die Reformen früher oder später doch notwendig – es stellt sich dann nur die Frage, ob die Politik und ihre Projekte dann noch auf Menschen treffen, die ihnen ihr Vertrauen leihen. Es wäre für PolitikerInnen an der Zeit, dieses Neuland zu betreten – noch haben sie die Möglichkeit, seine Bewohner dabei mitzunehmen.

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Neuland

Willkommen auf dem Blog Unsere Zeit! Wir, vier Studenten in Berlin, Friedrichshafen und Bielefeld, beobachten Zustände und Entwicklungen der Gegenwart und kommentieren diese über Blogeinträge. In einer Zeit, deren zunehmende Komplexität das Einnehmen klarer Standpunkte immer schwieriger macht, wollen wir Positionen und Argumente entwickeln, die uns und euch anregen, euer Denken im Idealfall weiterbringen und euch gerne auch aufregen sollen. Der Blog ist als eine Art Netzwerk gedacht, an dem sich prinzipiell jeder durch Kommentare oder auch eigene Artikel beteiligen kann.

Entstanden ist das Projekt im Mai 2013. Um neben dem wissenschaftlichen Arbeiten im Studium mit Fußnoten, Bibliographien und ständigem Bezug auf schon Gedachtes auch breitere, aktuellere, zugänglichere Gedanken und Texte zu produzieren, verpflichten sich die zunächst vier Autoren, je einen Beitrag pro Monat zu veröffentlichen. Die Themenwahl steht jedem weitgehend frei, obligatorisch ist nur ein Bezug zu unserer Zeit, zur Gegenwart. Der vorläufige Name des Blogs Unsere Zeit geht auf ein gleichnamiges Lied des Lyrikers PeterLicht zurück, soll darüber hinaus aber auch eine bestimmte Perspektive verdeutlichen: Wir schreiben als Angehörige einer jungen Generation. Damit wenden wir uns gegen eingestaubte Denkmodelle vieler älterer Themen- und Tonangeber in öffentlichen Diskursen, die ihre Lösungen für Probleme der Gegenwart am liebsten in der Vergangenheit suchen, gerne auch in ihrer eigenen, angeblich goldenen Jugend. Wir gehen lieber vom Offensichtlichen aus: Die Welt hat sich rasant verändert, und für die Fragen von heute sind Antworten von gestern nicht mehr ausreichend. Wir wollen nach vorne denken statt zurück, und an diesem Anspruch wollen wir auch gemessen werden.

Wir sind nicht die ersten, die den Namen Unsere Zeit verwenden. Der Name ist, warum auch immer, besonders unter langweiligen und/oder totalitaristischen Gruppen beliebt. Er wurde schon verwendet von Kommunisten, schlechten Rockbands, Nazis, Christen und Teenagern – und natürlich von unserem Peter. Ein Gegenmodell unter gleichem Namen ist daher eine ansprechende Perspektive. Eine eigene politische Verortung fällt uns gar nicht so leicht, ohne dass wir uns dabei in Traditionen stellen, mit denen wir im Zweifelsfall doch nicht in Verbindung gebracht werden wollen. Wollte man uns festnageln, so würden wir uns am ehesten der Freiheit in staatlicher Selbstverwaltung verschreiben, in dem Sinne sind wir – für alle, die doch ein Label wollen – linksliberal. Warum das überhaupt voranschicken? Weil es redlich ist, die eigene Position offen zu legen, anstatt den Leser sie mühsam zwischen den Zeilen herausklamüsern zu lassen; weil es wichtig ist zu wissen, von welchen normativen Grundvorstellungen wir ausgehen, um unsere Probleme und Lösungsvorschläge – und sicher auch deren Grenzen – besser zu verstehen.

Andererseits heißt das nicht, dass hier nur linksliberale Positionen zu Wort kommen dürfen. Über die Kommentarfunktion sind Einwände direkt möglich; nach Absprache könnt ihr euren Widerspruch ggf. auch als Artikel veröffentlichen. Dieser Blog soll eine Plattform des Meinungsaustauschs und der Meinungsverschiedenheit sein; ein Ort, um Argumente zu entwickeln und auszuprobieren, Positionen zu beziehen und sie auch wieder zu räumen; Konsens wird nicht angestrebt. Es sollte auch nicht der falsche Eindruck entstehen, dass es hier nur um Politik gehen soll. Wir interessieren uns genauso für ökonomische, intellektuelle, ästhetische und überhaupt alle Entwicklungen, aus denen man etwas über die Gegenwart lernen kann.

Das Bloggen ist für uns alle Neuland. Als journalistische Dilettanten betrachten wir dieses Projekt als Experiment. Worauf der Blog hinaus läuft, welche Themen er behandelt und welche Positionen wir vertreten, das wird sich alles erst zeigen. Kritik, Anregungen und Fragen sind natürlich immer willkommen!

So weit erst mal: Viel Spaß also beim Lesen, Reflektieren und Kommentieren,
Erik, Sören, Adrian und Julian