Schritte in Richtung einer Utopie: Ein pragmatischer Blick auf das Grundeinkommen

Ist ein flächendeckendes bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) realisierbar? Diese Frage stellt sich zwingend, sobald man Sörens gute Argumente für die Einführung eines Grundeinkommens akzeptiert. Selbst wenn Eva eher pessimistisch ist, dass die momentane deutsche Sozialgesetzgebung mit der Idee eines BGE vereinbar ist, glaube ich, dass es durchaus möglich ist, dieses Projekt anzugehen. Bisherige Ansätze streiten sich in der Regel darum, was in der momentan noch utopischen BGE-Gesellschaft für wirtschaftliche und fiskalische Regeln gelten und verlieren dadurch das jetzt schon Machbare aus dem Blick – dabei ist der deutsche Sozialstaat schon wesentlich näher an einem Grundeinkommen dran, als man zunächst glauben mag. „Schritte in Richtung einer Utopie: Ein pragmatischer Blick auf das Grundeinkommen“ weiterlesen

Vom richtigen Leben im Falschen

In der deutschen Medienlandschaft stößt man in letzter Zeit immer wieder auf WissenschaftlerInnen und Intellektuelle, die unter dem Label „Kulturkritik“ Analysen vorlegen, nach denen man erstmal eine Folge South Park braucht, um wieder entspannt lachen zu können. Die bekanntesten Namen unter diesen Pessimisten sind wohl Hartmut Rosa und Byung-Chul Han, die in verschiedensten Formaten ihre Thesen von einer schlechten Gesellschaft zum Besten geben, die uns Individuen den Weg zum Lebensglück versperrt. Die individuelle Überzeugung und Unzufriedenheit Rosas, Hans und vieler anderer Menschen kann ich kaum kritisieren, ich will hier aber darlegen, warum ich glaube, dass man auch anders an das Problem individueller Unzufriedenheit herangehen kann. Und ich bin der Meinung, dass man damit näher an die Ursache und zumindest mein individuelles Erleben herankommt.

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Ist Freiheit nur ein Euphemismus für eine neoliberale Schreckensherrschaft?

In the name of Europe: A new style of politics in the refugee crisis?

This week started with two political events that concerned the EU: On the one hand, Greek voters approved of Alexis Tsipras’ way of dealing with the Greek economic and political crisis. On the other hand, the European Ministers of the Interior agreed on a quota to relocate 120.000 refugees among the EU member states.
These events may appear to be distinct, but if one focuses on their structural causes a lot of similarities between both phenomenons can be detected. They both happened in an insufficient pre-crisis set-up during which warnings were ignored, and national rather than European interests were pursued. Once the problems became manifest and could no longer be ignored both cases led to a situation in which the persistence of the European Union, or part of its political achievements, were put into question. This was the case because national politicians did not seem to be willing, and European politicians did not seem to be entitled, to reach an agreement on a structural reform of the EU. Finally, both crises called for an exceptional role of German politics to absorb the foreseeable and avoidable negative consequences, caused by a regulatory framework which itself is strongly influenced by German politics.

Moderne Insulaner – Warum die Flüchtlingskatastrophe ein Umdenken erfordert

Wenn man in der letzten Zeit Zeitung liest oder sich anderweitig informiert, dann fällt einem die bedeutungsschwangere historische Rhetorik auf, mit der die Probleme beschrieben werden. Diese Rhetorik findet sich sowohl in Form der „größten Flüchtlingskatastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg“ als auch bei der „größten Finanz- und Wirtschaftskrise seit gut 80 Jahren“ und der Tatsache, dass viele Beobachter und Politiker sich das neue imperialistische Vorgehen Russlands im 21. Jahrhundert nicht mehr vorstellen konnten.

Europa nach der Wahl – ein Spiel mit klaren Einsätzen?

Europa hat gewählt und in vielen Staaten – allen voran Frankreich, dessen Situation ich in meinem letzten Artikel zu schildern versucht habe – haben die Wähler eine klare Unzufriedenheit mit nationalen Politiken geäußert. Doch neben all der berechtigten Aufregung über den Aufstieg europakritischer Parteien darf man eins nicht vergessen: Das, was diese Parteien eint, ist vor allem ihre Uneinigkeit in der Kritik der EU – wie Günther Nonnenmacher richtigerweise anmerkt. Es sind eben Kritiker von links und von rechts ins Europaparlament gewählt worden, die teilweise aufgrund sich diametral entgegenstehender Motivationen skeptisch gegenüber der EU sind und deren Wahl zu großen Teilen durch  nationale Probleme motiviert scheint. Es bietet sich daher auch eine weniger dramatische Lesart an:
Vielleicht hat diese Wahl vor allem gezeigt, dass die Nationalstaaten europapolitisch nachziehen müssen – und dass Brüssel die Rahmenbedingungen schaffen muss, damit dies möglich wird. Nach Jahren eines krisengetriebenen Regierens „von oben“ (häufig durch nationale Regierungsinitiativen) muss nun eine Europapolitik her, die klarer zwischen europäischer und nationaler Ebene differenziert und so eine transparenter organisierte Subsidiarität verfolgt. Ein europäischer Rahmen, der Problembewältigung auf nationaler Ebene ermöglicht und es erlaubt, die großen Schritte der letzten Jahre zu verdauen und sich auf die neue Situation einzustellen. Aber auch ein Rahmen, dessen Struktur nationale Initiativen auf europäischer Ebene klarer als solche ausweist. Damit könnte sowohl der deutschen Dominanz in Europa als auch einfachen Schuldzuweisungen durch nationale Populisten entgegengewirkt werden.
Das Wahlergebnis lässt sich also auch so lesen: Als eine klare Bestätigung des Kerns der Europapolitik auf der einen Seite – denn eine große Mehrheit in Brüssel wird nach wie vor von europaphilen Parteien gestellt – und einem durch euroskeptische Stimmen ebenso klar ausgedrückten Willen zur Veränderung der Ausgestaltung dieses Willens, der jedoch noch keine klare Linie gefunden hat. Die Richtung ist zwar nach wie vor abstrakt, aber m. E. könnte diese politische Konstellation auch sehr produktiv sein – denn der Preis eines möglichen Scheiterns ist jetzt wesentlich klarer.

Ein Land in der Klemme: Frankreich zwischen Nation und Europa

Sehr geehrter Herr X,
ich habe Ihr Ablehnungsschreiben erhalten und es sorgfältig gelesen. Leider kann ich Ihrem Wunsch nicht folgen. Ich erhalte in diesen Tagen unzählige Ablehnungen und Sie werden verstehen, dass ich nicht alle akzeptieren kann.
Ich werde daher wie angekündigt nächsten Montag um 8:00 Uhr bei Ihnen erscheinen, um meine Stelle anzutreten.
Vielen Dank für Ihr Interesse und viel Erfolg bei weiteren Ablehnungsschreiben.
Freundliche Grüße,
X
Diesen Post habe ich vor wenigen Tagen bei Facebook entdeckt, er war jedoch auf Französisch. Ich verbringe im Moment ein Auslandssemester in Rouen in der Haute-Normandie und möchte diesen Umstand zum Anlass nehmen, etwas über die Wahrnehmung Europas in Frankreich zu schreiben – so weit mir das auf Grundlage meiner persönlichen Erfahrungen, Zeitungslektüren und einigen wissenschaftlichen Texten möglich ist.

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Why is it so easy to fuck Europe?

Im Moment gibt es eine ganze Reihe von Debatten, die die Beziehungen der EU nach außen und nach innen betreffen. Zu nennen sind der Volksentscheid gegen die Freizügigkeit („Masseneinwanderung“) in der Schweiz, das nahende Europareferendum in Großbritannien, die deutsche Debatte um eine Maut für „EU-Ausländer“, das mittlerweile deutsch-französische Engagement in Zentralafrika und Mali und, im Moment alles überstrahlend, die Krise in der Ukraine: Ausgehend von einem geplatzten Freihandelsabkommen mit der EU ist es hier zu einer politischen Revolution gekommen, deren Konsequenzen noch nicht absehbar sind. Dieser Essay soll ein Versuch sein, diese Ereignisse, trotz ihrer Unterschiedlichkeit, in einer Perspektive zusammenzuziehen, um, am Ende, von diesem Standpunkt aus einen Blick auf die kommende Europawahl zu werfen.
Die Gemeinsamkeit all dieser Debatten ist, dass sie die Beziehungen der EU zu Nationalstaaten betreffen und damit die Spannung zwischen nationalen und europäischen Interessen. Für alle diese Fälle lässt sich dabei sagen, dass es die Unentschiedenheit und Unklarheit der EU ist, die den Kern des Problems bildet.

Unentschlossenheit und Uneinheitlichkeit nach außen

Die Krise in der Ukraine fand in dem geplatzten Abkommen mit der EU zwar nicht ihren Ursprung, wurde durch dieses Ereignis jedoch wesentlich befeuert. Als Wiktor Janukowytsch das Freihandelsabkommen mit der EU, auf das Drängen und Locken Russlands hin, kurzerhand platzen ließ, führte dies zu einer öffentlichen Polarisierung des Landes in europhile und russophile Stimmen, die in Grundzügen schon vorher vorhanden war. Das Verhalten Janukowytschs lässt sich jedoch leicht erklären, wenn man bedenkt, dass die EU der Ukraine das, was sie am dringendsten benötigte, vorenthielt: finanzielle Hilfen zur Vermeidung des drohenden Staatsbankrotts. Es war also nicht nur aus einem vordergründigen ukrainischen Interesse an einem fortbestehenden Balanceakt zwischen Russland und der EU zu erklären, sondern auch durch sein europäisches Gegenüber: eine möglichst ressourcenschonende Außenpolitik der EU. Diese bot den Hintergrund, vor welchem die russischen Angebote ihren besonderen Reiz entfalten konnten. Und in diesem Kontext ist auch die Debatte um Victoria Nulands „Fuck the EU“ zu verstehen. Wobei die Empörung darüber wohl hauptsächlich versucht, die von Nuland benannte Wahrheit zu verdrängen: Das europäische Engagement reichte weder aus Sicht der Ukraine noch aus Sicht der USA aus, um sich als entscheidender Player in diesem Spiel zu profilieren. So blieb es denn auch bis zur Eskalation der Situation bei einem hauptsächlich rhetorischen und moralischen Support seitens der euro-nationalen und europäischen Außenpolitikerinnen.
Diese Rolle hat sich zum Ende hin gewandelt. Auch wenn man noch nicht abschließend beurteilen kann, inwieweit das intensive deutsch-französisch-polnische Engagement eine weitere Eskalation der Situation in der Ukraine verhindert hat, ist doch deutlich zu Tage getreten, dass diese Kooperation, flankiert durch europäische Sanktionen, den europäischen Interessen in diesem Konflikt ein entscheidendes Gewicht verliehen hat. Nichtsdestotrotz ist es jetzt an der EU, auch den zweiten Schritt zu gehen und der Ukraine eine attraktive langfristige Perspektive zu bieten, die die Geldnot und die Interessen der Ukraine mit europäischen Vorstellungen verknüpft.
Ein weiteres Beispiel für ein zögerliches außenpolitisches Engagement im Namen der europäischen Werte und Ideen ist bei der Bewältigung der Krisen in Mali und der Zentralafrikanischen Republik zu beobachten. Während Frankreich sich in beiden Fällen für eine unmittelbare Unterstützung einsetzte, gab es auf gesamteuropäischer Ebene nur wenig Resonanz für ein europäisches Engagement: Obwohl es um nicht mehr und nicht weniger als die Vermeidung einer humanitären Katastrophe ging, deren Auswirkungen in Form von Flüchtlingsströmen die EU früher oder später sicherlich tangiert hätten, haben bisher nur Polen, Estland, Lettland, Portugal und Rumänien (neben Frankreich) eine Beteiligung an einer europäischen Mission in der Zentalafrikanischen Republik in Aussicht gestellt, über die am 27. Februar entschieden werden soll. Die Vorstellungen der deutschen Politik finden ihre Grenzen – trotz neuer außenpolitischer Ausrichtung – in einer logistischen Unterstützung und einer Entlastung Frankreichs in Mali durch die Beteiligung an einer deutsch-französischen Ausbildungsmission. Gleichzeitig zeichnet sich ab, dass Frankreich die durch die Rolle des bereitwilligen Helfers entstandenen Kosten nicht mehr ohne Weiteres tragen kann oder möchte und auf eine stärkere Europäisierung der Sicherheitspolitik drängt. Dieser wurde beim deutsch-französischen Ministergipfel jedoch nur symbolisch Rechnung getragen.

In beiden Fällen haben wir es mit einem unentschiedenen außenpolitischen Auftreten der EU zu tun. Stets bereit, moralisch und rhetorisch zu intervenieren, fehlt ihr die Möglichkeit, die benötigten Ressourcen zum entscheidenden Zeitpunkt zu mobilisieren und nach außen hin geschlossen aufzutreten. Auf der anderen Seite zeigt das Beispiel der Ukraine, dass die europäische Idee auch während der Krise noch hohe Attraktivität besitzt, während die explizite Bitte Malis und Zentralafrikas die Nachfrage nach einer entschiedenen Politik im Namen europäischer Werte auch über die direkte Nachbarschaft hinaus verdeutlicht. Dabei erhöht die „neue Bescheidenheit“ der US-amerikanischen Außenpolitik gleichzeitig den Bedarf für eine europäische Entschiedenheit. Doch das Problem der Unentschlossenheit ist auch ein Innereuropäisches, wenn es in den innereuropäischen Strukturen nicht gar seinen Ursprung findet.

Nationale Rosinenpickerei und unklare Kommunikation im Innern

Am Fall der zurückliegenden und anstehenden Volksabstimmungen in der Schweiz und  in Großbritannien, aber auch an der Debatte um die PKW-Maut für nicht-deutsche Autofahrer lässt sich dieses andere Problem der europäischen Uneindeutigkeit verdeutlichen: Es sind die Ängste der Bürgerinnen und Bürger, die die EU in den vergangenen Jahren und vor dem Hintergrund der Eurokrise als bürokratisches Schreckgespenst erlebt haben und sich – je nach Land – mehr oder weniger schnell europakritischen, populistischen Ideen anschließen. Voraussetzung dafür ist eine uneindeutige Kommunikation der europäischen Ebene, die ihrerseits auf die aktuelle Schwäche ihrer Institutionen gegenüber nationalen Interessen zurückzuführen ist.
Dabei zeigt das Beispiel der Schweiz, dass diese Ideen besonders dann erfolgreich sind, wenn sie eine möglichst große Projektionsfläche bieten: In der Schweiz wurde schon drei Mal über die Freizügigkeit abgestimmt, jedoch in den anderen Fällen immer in Verbindung mit Maßnahmen gegen Lohndumping und damit einer Antwort auf die Ängste vor einem sinkenden Lebensstandard, die sich in dieser Abstimmung nun unkontrolliert Bahn brachen. Es war also nationaler Populismus, der eine Mehrheit der Stimmen hinter sich versammeln konnte und die Schweiz nun selbst in eine missliche Lage bringt, wenn sie das Referendum in die Tat umsetzen muss und die Streichung von Fördergeldern und anderen Vorteilen intakter Beziehungen mit der EU fürchten muss.
In Deutschland treibt die CSU das gleiche Spiel, wenn sie die „Zahlmeister“-Karikatur deutscher Boulevardblätter auf die 50-€-Autobahnmaut während eines Frankreichurlaubs ausweitet und damit ebenfalls nationalen Populismus auf eine Bühne hebt, auf welcher er sich in mehr oder weniger offensichtlichem Konflikt mit EU-Normen befindet.
Die Unzulänglichkeit der Perspektive nationaler Parteien und Politikerinnen auf die europäische Ebene ist der Grund dafür, dass diese zum leichten Opfer für Populisten werden. Das Machtstreben, das sie auf nationaler Ebene an das demokratische System bindet, lässt sich europäisch im Moment nur schwer demokratisch kanalisieren. Die Befugnisse nationaler Regierungen bleiben auf europäischer Ebene idealerweise begrenzt: Da der Europäische Rat (der Regierungschefs) nur über die Europäische Kommission vermittelt Einfluss auf Gesetze nehmen kann, bietet nur der Ministerrat eine direkte, wenn auch demokratisch nicht ganz lupenreine, Entscheidungsmöglichkeit in Bezug auf Gesetze, indem er diese direkt beschließen kann. Auf dieser Ebene sieht er sich jedoch mit einem weiter Spieler konfrontiert: dem Europäischen Parlament. Diese genuin europäische Legislative befindet sich jedoch in einer misslichen Lage: der Druck von Rechtspopulisten zwingt einen Großteil des ohnehin nur schwach legitimierten Europäischen Parlaments zu einem einheitlichen Auftreten gegenüber diesen Populisten, die meist ohnehin nur am Parlament als medialer Plattform und nicht an dessen Entscheidungsprozessen interessiert sind. Dazu kommt der Pluralismus der europäischen Parteien. Das Resultat ist eine Entpolarisierung europäischer Debatten durch die gemeinsame Opposition gegen Rechtspopulisten und die notwendige Bildung großer Koalitionen sowie eine Verstärkung der informellen politischen Entscheidungen in der Trias von Parlamentsvertretern, Ministerrat und Europäischer Kommission, die meist hinter (halb-)verschlossenen Türen stattfinden.
Es sind also nationale Interessen, die auf der europäischen Ebene eine große Rolle spielen und die sich durch die Schwäche des Parlaments nicht genügend einhegen lassen: Die Minister – eigentlich ein Teil der nationalen Exekutive – bilden einen Teil der europäischen Legislative und können dieses Forum so zur Realisierung von Politiken nutzen, die im eigenen Parlament abgelehnt würden. Rechtspopulisten spielen dabei eine doppelt wichtige Rolle: sie setzen sowohl nationale Politiker als auch das Europäische Parlament unter Druck und treiben damit die eigentliche europäische Legislative in die Richtung der nationalen Regierungen. Seine eigentliche Funktion, der nationalen Ebene eine demokratisch legitimierte europäische Ebene entgegenzusetzen, kann es so nur unzureichend erfüllen – mangels genau dieser demokratischen Legitimation. Das Ergebnis ist ein kindliches Verhalten der Nationalstaaten, die austesten, wie weit sie es mit der Rosinenpickerei treiben können, bevor sie die europäische Ebene in ihre Grenzen verweist. Dass das „europäische Ganze“ unter dieser Strategie leidet, ist nur zu offensichtlich.

Wählen gehen!

Was lässt sich nach dieser Analyse im Hinblick auf die Europawahl sagen? Das Schlechte zuerst: Es ist nicht zu erwarten, dass diese Verhältnisse nach dem 25. Mai überwunden sind und eine grundsätzlich neue Situation entsteht. Des Weiteren lässt das Aufkommen von Rechtspopulisten mit vorwiegend nationaler Ausrichtung einen Wahlkampf erwarten, der hauptsächlich entlang der Linie für/gegen Europa polarisiert wird und im Hinblick auf konkrete Themen wenig bietet.

Nun das Gute: Die Europawahl bietet die Möglichkeit, dem Europäischen Parlament eine stärkere Legitimität zu verleihen. Auch wenn sie kein Allheilmittel ist, bietet die Wahlbeteiligung von zuletzt 43 Prozent im europäischen Schnitt (Deutschland: 43,3 Prozent) in dieser Hinsicht ein deutliches Potenzial nach oben. In dem Maße, wie das Europäische Parlament an demokratischer Legitimation gewinnt, ist zu erwarten, dass auch nationale Regierungen der genuin europäischen Politik mehr Rechnung tragen. Nicht zuletzt würde dies einer Hegemonie einzelner starker Staaten, wie z. B. Deutschland, in der EU entgegenwirken und kleineren Staaten mehr Mitsprache ermöglichen.

Dies setzt jedoch mehr voraus, als nur einen Habermasschen Appell für eine Repolitisierung der europäischen Debatte. Vielmehr müsste bei den Bürgerinnen und Bürgern Europas ein Umdenken stattfinden, dessen Konsequenz eine stärkere Auseinandersetzung mit der europäischen Politik wäre. Und dazu müsste das Europäische Parlament sicherlich einiges an Klarheit gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern gewinnen. In diesem Zusammenhang sollte auch die Relevanz einer europäischen Öffentlichkeit für die Politisierung des Europäischen Parlaments erwähnt werden, die Erik in seinem Post herausgearbeitet hat. Jeder Schritt in Richtung einer höheren Wahlbeteiligung und einer differenzierten Auseinandersetzung mit europäischer Politik ist in dieser Hinsicht ein Schritt, mit dem man Europa entgegenkommt.

Führt man sich vor Augen, wie voraussetzungsvoll eine Stärkung des Europäischen Parlaments ist, schwindet der ohnehin schwache Optimismus zusehends. In diesem Sinne wird jedoch auch dieser Essay auf die Form eines Appells zurückgeworfen. Gerade deswegen will ich in Erinnerung rufen, dass es trotzdem nur ein stärker legitimiertes Parlament wäre, das nationale Interessen berechtigterweise in ihre nationalen Schranken verweisen könnte und damit den Boden für eine stärker inhaltliche Polarisierung der europäischen Debatten bieten würde, die eine einheitliche und klarer formulierte europäische Außenpolitik ermöglichen würde. Diejenigen, die noch nicht wissen, ob und wie sie wählen gehen sollen, fühlen sich vielleicht dadurch motiviert, dass am selben Tag (nach jetzigem Stand) auch in Kiev gewählt wird: Vielleicht schwappt so ein wenig Europabegeisterung zurück nach Europa – allen Konjunktiven zum Trotz.

Nie wieder Konsens!

Sicher bin ich nicht der einzige Mensch auf dieser Welt, der miterlebt hat, wie sich eine sachliche Diskussion zu einem handfesten Streit entwickelt hat. Und ich werde auch nicht der Einzige gewesen sein, der sich nach so einem Abend dann fragt, warum man selbst – aber auch die andere Partei – so wenig Verständnis für die Position des Gegenübers erübrigen konnte; vor allem, wenn es eigentlich um etwas ging, das weder einen selbst noch das Gegenüber persönlich tangiert hat.
Betrachtet man die jüngsten (Pseudo-)Koalitionsverhandlungen zwischen den Grünen und der Union und ruft sich dabei die Pädophilie-Debatte im Wahlkampf in Erinnerung, dann glaube ich, dass man so manches politische Phänomen mit der eben genannten Entwicklung einer ursprünglich sachlichen Diskussion vergleichen kann. Auch hier wurden sachliche Argumente an den Rand gedrängt, indem versucht wurde, die Positionen der Grünen aufgrund persönlicher Vorbehalte von vornherein zu diskreditieren. Doch wie kommt man so schnell von einer sachlichen Diskussion zu einem handfesten Streit? Was passiert also in dem Moment, wenn sachliche Argumente ihre Gültigkeit verlieren und warum passiert es?

Das verpasste Ende einer anregenden Diskussion

Jede Diskussion hat einen Zeitpunkt für ein sinnvolles Ende. Jede Erörterung hat ein Ende und jeder Zeitungsartikel und Blogeintrag hat ein Ende. Nämlich dann, wenn es nichts mehr zu sagen gibt. Wenn alle Argumente in Stellung gebracht wurden und ein Weitermachen nur zu der längst schon erlangten Erkenntnis führt, dass man dieses Thema so oder so betrachten kann und dass es keine „bessere“ Meinung gibt. Man könnte also sagen: du siehst das so, ich sehe das so – eigentlich witzig, dass man ohne Letztgültigkeit behaupten zu können trotzdem eine derart gefestigte Meinung ausbildet.
Doch so friedlich war die Welt noch nie. Es ist nicht lange her, da stand auch in Europa am Ende eines sachlichen Streits das Duell, die Inquisition oder ein Verhörraum – es musste entschieden werden, wessen Meinung stehen bleibt. Die Tatsache anzuerkennen, dass es keine letztgültige Wahrheit gibt; dass jeder und jede eigentlich die Freiheit besitzt, einfach „Nein“ zu sagen und sich anders zu verhalten, war undenkbar. Und diese Logik sitzt auch noch in unseren Hinterköpfen fest: als goldene Regel oder kategorischer Imperativ. Als Grundlage seines Handelns soll man eine Maxime suchen, die auch ein allgemeines Gesetz darstellen könnte. Die Hintergrundannahme dieser Idee ist die, dass jeder Mensch vernunftbegabt ist. Er ist damit befähigt zu erkennen, wie die Gesetze aussehen müssten, die allen Menschen gerecht werden. Es wird ihm also unterstellt, dass er – nach längerem Nachdenken – zwischen der schlechteren und der besseren Meinung unterscheiden kann. Und diese Unterstellung schmeichelt jedem Menschen, denn sie erlaubt es ihm, die Eingeschränktheit seiner Perspektive auszublenden, indem sie dem Selbst unterstellt, selbstlos handeln zu können.
Überträgt man das auf unsere noch sachliche Diskussion, dann versteht man, warum wir häufig nicht aufhören können, auf der Letztgültigkeit unserer Meinung zu beharren. Mit anderen Worten: Wir nehmen die Challenge des kategorischen Imperativs an. Wenn unser Gegenüber eine Meinung vertritt, die unserer „vernünftigen“ und selbstlosen Meinung widerspricht, dann muss es sich bei ihm um einen selbstsüchtigen Menschen handeln. Um einen Menschen also, der seine Vernunftbegabung nicht einsetzt und dessen Meinung daher nicht weiter geachtet werden muss.
Das, was in diesem Moment geschieht, kann man also Moralisierung des Konflikts bezeichnen. Man wendet sich von der sachlichen Dimension der Argumente bei der Erörterung einer Situation ab und bewertet sie als gut oder schlecht. Und da man davon ausgeht, dass jeder Mensch zum Erkennen des Guten und des Schlechten in der Lage ist, kann man seinem Gegenüber seine argumentative Unfähigkeit nicht verzeihen, ohne die Selbstsicherheit eines vernunftbegabten Menschen aufzugeben. Man besteht also darauf, dass das Gegenüber die eigene Meinung annimmt, weil man sich nicht eingestehen will, dass man selbst und der Mensch an sich nicht so vernünftig ist, wie es gemeinhin unterstellt wird. Aus der sachlichen Differenz wird so ein persönlicher Zwist. Die Freiheit der Meinungsäußerung des Gegenübers wurde zum Angriff auf die eigene Person umgedeutet und kann als solcher nicht geduldet werden. In der Logik der Moral darf es keinen Widerspruch geben.

Der zerbrochene Konsens

Wir streiten uns also, weil wir glauben, dass es Gut und Schlecht gibt und dass wir selbst beides unterscheiden können. Wir glauben daran, dass eine Art Konsens über diese beiden Kategorien besteht, der uns zugänglich ist, den wir nur zu erkennen brauchen. Und das Erkennen der Absolutheit von gut und schlecht macht uns und alle, die sich sonst noch die Mühe machen, zu dem, was wir sein wollen: bessere Menschen.
Doch anscheinend hält sich kaum jemand an diesen Konsens: Bankerinnen spekulieren auf Lebensmittel, Bischöfe bauen sich dekadente Häuser und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überschreiten auch noch die letzten ethischen Grenzen. Jede Tageszeitung erinnert uns daran, dass dieses Verhalten höchst amoralisch ist, sich also nicht am vernünftigen Konsens orientiert. Es sind also die Medien, die mit dem „wir“ ihrer Leitartikel ständig einen Konsens bei der Bewertung bestimmter Sachverhalte unterstellen, ohne zu reflektieren, dass die Perspektive gar keinen Konsens mehr abbildet. Spätestens, wenn man den Blick weitet und über den westlich-europäischen Tellerrand guckt, wird deutlich, dass es in dieser globalen Gesellschaft keinen Konsens gibt: weder zwischen verschiedenen regionalen Kulturen noch im Hinblick auf verschiedene Sachverhalte.
Die moderne Gesellschaft hat sich darauf spezialisiert, Konsens aufzubrechen, falls er überhaupt aufkommt. Konnte früher ein König seine Gesetze erlassen, ohne dass er laute Kritik ertragen musste, sieht sich heute jede Regierung mit einer Opposition konfrontiert, die Alternativen aufzeigt. Konnte die katholische Kirche Galilei noch unschädlich machen, besteht der wissenschaftliche Diskurs heute genau im ständigen Widerlegen ausgerufener Wahrheiten durch neue Wahrheiten. Noch deutlicher wird dies, wenn man sieht, dass sich sowohl die Regierungsparteien als auch die Oppositionsparteien auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen, um ihre Politik zu machen. Die Moral jedoch verläuft quer zu all diesen unterschiedlichen Sachbereichen und behauptet ihre Unterscheidung von gut und schlecht noch gegen das sachlichste Argument. Es ist jedoch zu bezweifeln, ob eine Welt, in der die moralische Unterscheidung von gut und schlecht wieder Einzug in die Teilbereiche der Gesellschaft findet, wirklich wünschenswert ist. Denn wo man die Meinung der Opposition unabhängig von ihrem politischen Gehalt als schlecht bewertet und missachtet, da ist die Demokratie am Ende. Die Errungenschaft der modernen Gesellschaft liegt – so schwer man sich damit tut – in der Amoralität ihrer Teilbereiche.

Diese Amoralität ist es, die sowohl die unglaubliche Effizienz und Anpassungsfähigkeit als auch die Unmöglichkeit einer gesamtgesellschaftlichen Steuerung begründet. Wer wollte bestreiten, dass die Leistungsfähigkeit der modernen Wissenschaft auch daraus resultiert, dass sie sich nicht darum kümmert, ob ihre Ergebnisse gut oder schlecht sind, solange sie wahr sind. Und auch im Hinblick auf das Medizinsystem ist uns im Fall des von katholischen Kliniken zurückgewiesenen Vergewaltigungsopfers klar geworden, dass die Notaufnahme eines modernen Krankenhauses jenseits dieser beiden Kategorien arbeiten sollte. Die Religion stellt in dieser Hinsicht ein besonders aufschlussreiches Phänomen dar: Denn das anachronistische Festhalten der Kirchen am moralischen Konsens stellt diese heutzutage in Abseits; nicht nur weil klar wird, dass sie sich selbst in ihrem Anspruch nicht gerecht werden können, sondern weil diese Perspektive vielen Gläubigen zunehmend als unvereinbar mit der sie umgebenden Realität erscheint. Und so schwirrt die Unterscheidung in Wirtschaft, Medien, Kirchen und Politik immer dann herum, wenn die Beteiligten vermuten, dass sich die Leserschaft steigt, wenn man BankerInnen diffamiert oder eine moralisch diffamierte Partei dem eigenen Lager Stimmen bringt und verhindert bei den so aufgeladenen Themen, dass sich irgendjemand mit der Sache selbst beschäftigt.

Kommt man also auf den Streit zurück, dann wird klar, dass es ganz normal ist, unterschiedliche Meinungen zu haben. Denn keine Perspektive ist absolut. Es kommt zum Streit, da das gesellschaftliche Bild des Menschen aus einer Zeit stammt, in der ihm eine souveräne Perspektive unterstellt wurde, während sich der moderne Mensch gleichzeitig mit der unglaublichen Pluralität der modernen Gesellschaft konfrontiert sieht. Das Moralisieren von Meinungen und die darauf basierende Beachtung oder Missachtung von Personen ist also im Kern konservativ – sie stammt aus einer Zeit vor unserer Zeit.

Freiheit jenseits von richtig und falsch

Die Konsequenz dieser Erkenntnis ist, alle Meinungen als ablehnbar zu betrachten und gleichzeitig zu verstehen, dass sie nur die kognitiven Auswüchse eines aufrecht gehenden Primaten darstellen. Man muss sich also vom Thron des vernunftbegabten Menschen herablassen und sich eingestehen, dass die Eindeutigkeit der Welt prekärer ist, als man es sich bei der letzten Diskussion noch eingestehen wollte. Wie wünschenswert eine solche intellektuelle Notbremse im Hinblick auf die eigene Meinung manchmal wäre, sieht man, wenn man sich die moralische Elite à la Grass anschaut: ihr Selbstbewusstsein auf der Tatsächlichkeit eines durch den vernünftigen Menschen erkennbaren Konsenses gründend, muss Grass gegen das Internet zu Felde ziehen. Denn wollte er die Pluralität und Globalität des Internets anerkennen, könnte er die mittelalterlich anmutende Antiquiertheit seines moralischen Zepters nicht mehr länger leugnen und es steht zu bezweifeln, dass er selbstironisch genug ist, um das zu ertragen.
Doch den Blick nach vorn. Wie schon erwähnt war es die Freiheit, die die Moral in ihrem absoluten Anspruch nicht dulden konnte. Sie konnte nicht dulden, dass jemand die Unterscheidung zwischen gut und schlecht ablehnt und sich allein auf sich selbst beruft, wenn er sein sachliches Urteil fällt. Das ist jedoch der Modus, der der modernen Gesellschaft angemessen scheint. Damit verbindet sich ein hehrer Anspruch, denn der Verlust der Vorstellung eines Absoluten bedeutet den Verlust eines Fixpunktes und damit die absolute Relativierung. Freiheit ist gewissermaßen ein Besinnen auf sich selbst und die eigene Beschränktheit – und dabei auch ein Stück weit Fatalismus: Ich bin weder verantwortlich für die Verhältnisse noch bin ich ihnen bedingungslos unterworfen. Die letzten Bezugspunkte, auf die ich mich berufen kann, bleiben ich, meine Auslegung der Welt und die Möglichkeit, nein zu sagen, wenn mir etwas nicht passt – ohne dass ich an Letzteres den Anspruch einer Revolution der Verhältnisse knüpfen kann. Keine Entscheidung kann in dieser Perspektive Absolutheit beanspruchen.
In ihrer Radikalität verängstigt die Freiheit des Individuums. Denn die eben noch mit exklusivem Anspruch vorgetragene Meinung erscheint in diesem Licht als sehr prekär. Doch mit diesem Anspruch fällt auch eine Last vom Einzelnen: Denn wenn man nicht mehr den Anspruch haben kann, alles richtig zu machen, kann man auch nichts mehr falsch machen. Entscheidungen und Meinungen können sich immer nur auf die subjektive Perspektive gründen und man kann den Anspruch getrost ablehnen, auch Entwicklungen im hintersten Winkel des Globus beurteilen zu können.
Man könnte daher überlegen, ob die moralische Aufladung eines Wahlkampfs überhaupt politisch wünschenswert ist, oder ob sie die Wahlbeteiligung noch weiter senkt, wenn moralische Argumente den Vorrang vor politischen haben. Leider beobachtet man häufig das Gegenteil: Der Gang zur Wahlurne wird zur moralischen Tugend und die Verweigerung wird zur Schmach.
Legt man die moralische Brille ab, ist es einem vielleicht möglich, beim nächsten Mal das Thema zu wechseln, bevor eine sachliche Diskussion zu einem Streit wird. Und über den Umweg der Amoralität des einzelnen Menschen ist es auch denkbar, dass auch die Politik sich vom wenig sachdienlichen Anspruch der moralischen Überlegenheit freimacht. Denn wo niemand an einen moralischen Konsens glaubt, lohnt es sich für Politikerinnen auch nicht, diesen zu bemühen. Alle könnten sich in dieser Hinsicht etwas von der Gelassenheit eines Danger Dans abgucken.

Darf man die AfD als rechtspopulistisch bezeichnen?

Ein paar Gedanken in aller Spontaneität

In einer Frühkritik der „Hart aber fair“-Ausgabe vom Montag wird die Konfrontation Bernd Luckes mit dem Vorwurf des Rechtspopulismus (ab min 8:00, leider ohne Rechte an den Bildern) als unfundiert und plump dargestellt – nur weil jemand mehrfach von „entarteter Politik“ spricht, ist er noch kein Rechtspopulist. Sicher mangelt es dem Vorwurf in der Sendung an einem soliden Fundament. Hier will ich dem ersten Spatenstich einen Zweiten hinzufügen:

Roger Griffin – ein weltbekannter Faschismusforscher – hat in seinem Artikel Fascism’s new faces (and new facelessness) in the ‚post-fascist‘ epoch das Propagieren einer „Degeneration“ des Nationalstaats, einen chauvinistischen und populistischen Ultra-Nationalismus und die mythisch verklärte Sehnsucht nach einer Wiedergeburt der Nation als drei Kernkomponenten seines Idealtypus faschistischer Ideologie ausgemacht. Spätestens wenn man mit dieser Brille Luckes Rede zur – die bis vor Kurzem auf der Startseite der AfD abrufbar war – anschaut, dann stellt sich die Frage, warum Fragen der Einwanderungspolitik ausgerechnet am Beispiel der Sinti und Roma durchexerziert werden, in einer Partei, die sich in der Tradition von Bismarcks Preußen sieht und die den Nationalstaat einem integrierten Europa vorzieht.

 

Sicher kann man die AfD nicht als faschistische Partei bezeichnen – ein solcher Vorwurf wäre platt und unangemessen, aber fischen wollen sie in diesen Gewässern anscheinend gern: Sinti und Roma als Beispiel für Fragen der Einwanderungspolitik, das Poklamieren einer degenerierten(/„entarteten“) Politik und Europaskepsis – da kann man die Konturen von Griffins Idealtyp mit ein wenig Mühe erahnen und es wird fragwürdig, ob man diese Rhetorik allein mit der Spontaneität der Reden Luckes erklären kann.
Man sollte die AfD also aufmerksam beobachten. Das sieht auch Tillmann Neuscheler von der FAZ so:
Andererseits: Wer weiß schon ganz genau, was all die anderen, unbekannten Parteimitglieder sagen. Die Zukunft der AfD wird auch davon abhängen, ob der Vorwurf, die AfD sei „rechtspopulistisch“, eine Verunglimpfung ihrer politischen Gegner war, oder ob da etwas Wahrheit dahinter steckt. Allein der Vorwurf ist keine Antwort.

Für echte Demokratie – sie enthält Elektrolyte!

Im Film Idiocracy von Mike Judge erwachen der Armee-Bibliothekar Joe Bauer und die Prostituierte Rita im Jahr 2505 aus einem Kälteschlafexperiment, in dem sie 500 Jahre konserviert wurden, weil das Projekt so geheim war, dass es vergessen wurde. Die Welt, in der sie erwachen, ist freilich eine andere als 2005: Aufgrund der karrierebedingten Kinderlosigkeit der gebildeten Schichten und der unkontrollierten Reproduktion der ungebildeten Schichten ist es zu einer himmelschreienden Verblödung der Gesellschaft gekommen. Und so bewegen sich die beiden durch eine Welt, in der ein ehemaliger Wrestling-, Rap- und Pornostar Präsident der USA ist und sich nur durch herumballern mit einem Sturmgewehr Ruhe für seine „Reden“ verschaffen kann. Eine Gesellschaft, in der grundlegende Infrastrukturen wie die Müllabfuhr und essenzielles Menschheitswissen wie die Tatsache, dass sich klares Wasser besser zur Bewässerung eignet, als ein Isodrink, verloren gegangen sind. Die verblödete Menschheit glaubt stattdessen ihrem aufgeblasenen Multi-Media-Fernseher, in dem schließlich verkündet wird: „In Brawndo steckt, was Pflanzen schmeckt – Es enthält Elektrolyte!“

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