Die absolute Mehrheit, die Enttäuschung und die Gefahr der Straße – Warum Macron gleich zu Beginn scheitern könnte

Image by LeWeb via Flickr , CC-BY-2.0.

Was bisher geschah – der frische Wind

Zwei Wahlen, zwei Einträge in die Geschichtsbücher der Grande Nation. Erst die Präsidentschaftswahl am 23. April, dann die wichtigen Parlamentswahlen am 11. und 18. Juni. Erst bebte bei den présidentielles die Erde unter den Füßen der Altparteien, dann kam es bei den législatives zu einem deutlichen Sieg von Macron. Die politische Landschaft wurde durcheinandergewirbelt, das Establishment auf den Kopf gestellt. Die Bürger haben die etablierten Parteien, die jahrelang kein Mittel gegen die steigende Arbeitslosigkeit finden konnten, abgestraft. Sie haben keine Lust mehr auf Skandale, die den Stolz der Grande Nation angreifen. Da war ein Präsident, der sich mit Motorroller heimlich zu seiner Affäre schleicht – Sixt freut sich, die Welt lacht. Da war ein aussichtsreicher Kandidat auf das politische Zepter Frankreichs, der seine Frau als Assistentin einstellt – der Steuerzahler zahlt, sie assistiert aber nicht. Peinlich. Beschämend. Es reicht. „Die absolute Mehrheit, die Enttäuschung und die Gefahr der Straße – Warum Macron gleich zu Beginn scheitern könnte“ weiterlesen

Der Wolf im Sharingpelz – warum die gesellschaftliche Wirkung der Sharing-Ökonomie besser ist als ihr Ruf

Dieser Artikel ist der zweite in einer Reihe über den Einfluss der ‚Sharing Economy‘ und ‚On-Demand Economy‘ auf Wirtschaft und Gesellschaft. Der erste Artikel Die Grenzen des Wachstums: Warum nach der Expansion jetzt die Erschließung kommt erschien bereits im November.

Der Einfluss der Sharing Economy ist unbestritten, ihre Wirkung steht jedoch in der Kritik. Sie verdamme uns zu ‚ewigen Händlern‘, warnt die Frankfurter Allgemeine Zeitung. ‚Erstaunlich talentierte Märchenerzähler‘ seien am Werk, die das Versprechen einer billigeren und umweltfreundlicheren Ökonomie nicht einlösten. Eine Alternative zum Kapitalismus sei die Sharing-Ökonomie gewesen, bevor die Investoren auftraten, sagt die Zeit. Das Resultat sei die Aushöhlung des Arbeitsschutzes, der zu einem Prekariat aus Tagelöhnern führe – alles bereits da gewesen, bloß jetzt kostenpflichtig und kommerziell. Und da kommt sie nun, die Sharing Economy als Wolf im Schafspelz: Außen fluffig und philantrophisch, innen profitgetrieben und gesellschaftszersetzend.

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Feinstaub im Gewerkschaftsgetriebe

Die Debatte über schwarze Staubpartikel ist mir besonders in Erinnerung geblieben. In meiner Ausbildung war ich Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung  meines Betriebes, einem deutschen Bankhaus in Frankfurt am Main, und durfte deshalb an den Betriebsratssitzungen teilnehmen. Glücklicherweise ist in Frankfurt der Hauptsitz des Unternehmens, der deshalb Standort des Hauptbetriebsrates ist, was die Sitzungen normalerweise ziemlich spannend macht.

An diesem Tag bereute ich es jedoch sehr. Hatte ich mich als Kind noch gefragt, ob es auf der Welt etwas Langweiligeres als eine zweistündige Ostermesse gäbe, hatte ich es jetzt gefunden: Es war die Debatte über Druckerfeinstaubemission. Die frei gewordene Zeit nutzte ich abwechselnd dafür, mir einerseits Strategien für die unauffällige Beschaffung der Konferenzkekse zurechtzulegen und mich andererseits zu fragen, was in der heutigen Zeit noch der Sinn von organisierter Arbeitervertretung ist. Schutz vor Druckerfeinstaub ist es jedenfalls nicht, da war ich mir sehr sicher.

Vielleicht lag es an der 2008 einsetzenden Finanzkrise, aber der Umgangston wurde zunehmend rauer und einige waren in der Zeit froh, auf den Betriebsrat zählen zu können – um die Wogen etwas zu glätten oder unserem aufbrausenden Vertriebsleiter die Stirn zu bieten. Spätestens, als ich mitbekam, wie sich eine ältere Mitarbeiterin vor dem Jähzorn eben jenes Vorgesetzten unter ihrem Schreibtisch versteckte, war ich froh, dass es den Betriebsrat gab, von dem sie sich hätte vertreten lassen können. Nicht, dass sie es getan hätte. Arbeitnehmervertreter sind in der Bankbranche nicht sehr beliebt.

Herr Sommer macht mir ein Geschenk (anderen aber nicht)

Die Gewerkschaften waren mir bis dahin nur in Form eines Herrn Sommer begegnet, der abends in der Tagesschau mit hochrotem Kopf mehr Lohn forderte. Irgendwann bekam ich dann einen Brief, der mir mitteilte, dass Herr Sommer wohl auch für mich mehr Lohn gefordert hatte, denn ich bekam eine saftige Einmalzahlung (reichte für eine mittelklasse Konzertgitarre) und etwas mehr monatlich drauf (reichte für ein Eis im Monat). Da habe ich mich schon gefreut.

Auf einem Betriebsratsseminar lernte ich einen Auszubildenden kennen, der nicht in den Genuss der tariflichen Erhöhungen gekommen war. Seine Bank hatte ihn kurz nach Abschluss einfach umdeklariert, so dass er jetzt als Leiharbeiter nicht mehr in den Tarif fiel und sein Anstellungsverhältnis auf ein Jahr befristet werden konnte. Anders als ich konnte er es sich durchaus vorstellen, bei seinem Arbeitgeber zu bleiben und hatte nicht vor, den Ort zu wechseln. Regulär arbeitend, sollte er so viel wie ich im letzten Ausbildungsjahr verdienen, ohne irgendeine Sicherheit. Das fand ich nicht fair.

Dabei besitzen Gewerkschaften gar nicht mal so wenig Macht. Bei der Hauptversammlung der Bank saß auf einmal ein bekanntes Gesicht aus dem Betriebsrat direkt in der Reihe der Vorstände. Durch die paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat und (ausschlaggebend) der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft hatte sie es zur stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden der Großbank gebracht. Das freute mich, denn sie war immer sehr energisch bei der Sache und ich fand sie sympathisch. Als ich ihr in der Pause zuwinkte, lächelte sie zurück.

Die fetten Jahre sind vorbei

Später ging es dann raus aus dem Filialgeschäft zu den alten Haudegen des Mittelstandsgeschäftes. Zwei der etwas älteren Bankiers nahmen mich unter ihre Fittiche, um mich als Grünschnabel aufzuklären, wie der Hase hier läuft. Von den beiden habe ich viel gelernt – unter anderem, dass sie noch aus alten Tagen Gehälter bezogen, die heute so einfach nicht mehr gezahlt werden. Dementsprechend hoch sind ihre Pensionsansprüche.

An sich störte mich das kein bisschen. Die beiden ignorierten mit stoischer Gemütlichkeit jeden neuen monetären Anreizmechanismus, nahmen sich viel Zeit für mich und fuhren nebenbei noch Rekordergebnisse ein. Leider geht das jedoch auf unsere Kosten. Die Selbstverständlichkeit, nach der Ausbildung einen unbefristeten Job im gleichen Unternehmen anzutreten, gibt es nicht mehr. Wer nach einer guten Ausbildung mit Auslandssemester und Praktika eine Garantie auf einen anspruchsvollen Job vermutet, wird enttäuscht. Der Deal ist geplatzt. Die Vorherrschaft der Alten gilt immer noch.

Genau aus diesem Grund stimmt auch die Standardantwort der Personalabteilung auf allzu forsche Karrierewünsche: „Frau/Herr [dein Nachname hier], derzeit können wir eine solche Zusage leider nicht tätigen, Sie wissen ja, die wirtschaftliche Lage.“ Klar: Wenn ich etwa 90% meines gesamten Unternehmenswertes meinen Pensionären versprochen hätte (wie bei Thyssen Krupp), wäre ich auch ganz vorsichtig, zu fairen Löhnen Neue einzustellen. Ganz zu schweigen von etwaigen Rentenversprechen. Je nachdem was genau früher versprochen wurde, müssen die Firmen jetzt noch was nachschießen, weil die Rechnung durch die Finanzkrise nicht mehr aufgeht, oder einfach zu viel versprochen wurde. Das verhagelt das Betriebsergebnis und führt zu eben jenem Satz.

Damit haben Gewerkschaften herzlich wenig zu tun. Ach ja, außer natürlich, dass sie mit nach Alter diskriminierenden Tarifverträgen noch tiefer in die Kerbe schlagen. Danke dafür.

Arbeitsschutz Reloaded 

Ein anderes Thema betrifft Arbeitsschutzrechte – das Urgestein der Gewerkschaftsthemen also. Tatsächlich sind deutsche Gewerkschaften ganz vorne mit dabei, wenn es heißt, organisierte Arbeit zum Beispiel in Bangladesch zu garantieren. Dort geht es richtig zur Sache mit zerschlagenen Kniescheiben und toten Funktionären – gut, dass sie vor Ort sind.

Kurz nachdem ich dem Banksektor endlich den Rücken gekehrt hatte, bekam ich einen Anruf von einem Bekannten. Er ist in etwa gleich alt und in einer dieser Fast-Track-Programme einer Bank. Er rief aus einer Rehaklinik an, weil der Druck ihn zermürbt hatte. Ich wunderte mich sehr, denn an Intelligenz oder Hartnäckigkeit kann es nicht gelegen haben.

‘If you can’t stand the heat, get out of the kitchen’

Das sagen die Amerikaner, wenn sie ausdrücken wollen, dass sie kein Mitleid für jemanden haben, der sich einer Situation nicht gewachsen fühlt, die er sich selber ausgesucht hat. Jung, gut ausgebildet, intelligent und zielstrebig – da hat man die Wahl. Oder etwa nicht?

Nein, haben wir nicht. Ob diese Optionslosigkeit nun real ist oder sich aus einer geschickt genährten Illusion ergibt: Selbst weniger sozialromantisch angehauchte Menschen aus meinem Umfeld teilen dieses Gefühl. Das geht von Unternehmensberatern über Investmentbanker bis hin zu einfachen Filialmitarbeitern, Sozialarbeitern, angehenden Architekten … Das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit ist ständiger Begleiter. Das treibt höchst seltsame Blüten: 16-Stunden-Tage im Investmentbanking bei heruntergebrochen kümmerlichen acht Euro die Stunde. Unbezahlte Praktika in Städten mit 800 Euro durchschnittlicher Kaltmiete für 20m2 Wohnraum. Erneutes Einschreiben nach dem Masterstudium, nur um an gering bezahlte Praktika als Einstiegsvoraussetzung zu kommen. Anstellung auf Jahresvertragsbasis in den ersten Berufsjahren. Anspruch der absoluten räumlichen und zeitlichen Flexibilität selbst bei stetigen, gut planbaren Tätigkeiten.

Wir setzen uns einer völlig atypischen, künstlich induzierten Belastung aus. Ich weiß, ein Arzt muss halt mal 12 Stunden durchoperieren, ein Psychologe hat bei suizidgefährdeten Patienten erreichbar zu sein, ein Seemann arbeitet vier Monate am Stück ohne Heimat außer seiner Koje. Bei wissenschaftlichen Artikeln, Bilanzen und Werbekampagnen ist dem nicht so.

Dieser Druck führt dazu, dass frappierend häufig immer die Besten in meinem Bekanntenkreis einfach wegbrechen. Angststörung mit Mitte zwanzig, graue Haare, Lidzucken, Depressionen mit Anfang dreißig, happy Birthday.

Spiel mal mit den Schmuddelkindern

Das funktioniert nur, weil alle mitspielen. Und es bleibt dabei, weil Einzelne es nicht ändern können. Und es ändert sich nichts, weil wir uns nicht organisieren, weil wir nicht organisiert werden. Wer das ändern könnte, sind die Gewerkschaften. Deren Kernklientel aber treibt bereits weit im Wohlfühlbereich der bürgerlichen Mitte, dem Establishment der Wohlstandsplautzen und des Vorruhestandes. Dabei gibt es sie doch, die Schmuddelkinder.

Vielleicht haben wir es auch einfach nicht besser verdient. Wir akzeptieren, dass man uns die herrlichen Mußejahre des Studiums zum Wohle der Volkswirtschaft streicht. Wir zahlen in ein öffentliches Rentensystem ein, von dem niemand ernsthaft erwartet, etwas zurück zu bekommen. Für unser Berufsleben sind wir mobil, ständig erreichbar und bereit Kompromisse einzugehen, für unser Privatleben sind wir es leider nicht. Wir sind schon ein trauriger Haufen. Wie Pawlowsche Hunde sitzen wir zuckend im Käfig und warten, dass uns da mal jemand rausholt.

Dabei müssten wir uns nur mal bewegen, um zu sehen, dass es auch anders geht. Wir benötigen dringend die grundlegenden Instrumente, die eine Gewerkschaft nunmal bietet: die Ressourcen, um Präzendenzfälle auch mal durchzubringen – die Schadensersatzklage eines depressiven Junior Consultant zum Beispiel. Eine Presseabteilung, um unsere Stimme geltend zu machen. Und vor allem – das Gemeinschaftsgefühl einer selbstbewussten Generation.