Wahlen sind für alle da

Wenn heute der neue Bundestag gewählt wird, dürfen über 20 Millionen Menschen in Deutschland nicht mitentscheiden, weil sie kein Wahlrecht haben – ein Skandal, der viel zu selten thematisiert wird.

Parlamentswahlen sollten die Sternstunde der Demokratie sein, Fixpunkt öffentlicher Deliberation und Vollzug politischer Selbstregierung. Bei der (heutigen) Bundestagswahl sind allerdings Zweifel angebracht. Nicht nur, dass den Wählerinnen und Wählern eine falsche Dichotomie zwischen konservativer Alternativlosigkeit und reaktionärer Zeitreise aufgedrängt wird. Nicht nur, dass die rein nationale Mitbestimmung unzureichend ist, um die globalisierten Probleme des 21. Jahrhunderts zu lösen. Nein, der Defekt der deutschen Demokratie (und nicht nur dieser) ist noch fundamentaler: Obwohl über 82 Millionen Menschen in Deutschland leben, verfügen nur 61,5 Millionen über das Wahlrecht. Mehr als 20 Millionen Menschen sind bei dieser weitreichenden Entscheidung über unsere politische Zukunft ausgeschlossen. Das ist ein Skandal, über den endlich gesprochen werden muss.

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Die Alternative für Europa

Das Zeitalter der Alternativlosigkeit ist an sein Ende gekommen. Mit Trump, Brexit und der „Alternative für Deutschland“ hat sich ein Gegenmodell zur Globalisierung formiert: Nationalismus, Abschottung, Repression. Wenn die offene Gesellschaft gegen diesen Ansturm eine Chance haben will, muss sie eine eigene, progressive Alternative entwickeln, anstatt den Status Quo zu verteidigen.

„There Is No Alternative.“ Margaret Thatcher begutachtet Truppen in Bermuda,  1990, gemeinfrei via Wikimedia Commons

„There Is No Alternative.“ Mit dem berühmten TINA-Prinzip leitete Margaret Thatcher Ende der 70er Jahre programmatisch das Zeitalter ein, das jetzt an sein Ende kommt: das Zeitalter der Alternativlosigkeit. Die rechten Bewegungen, die derzeit in Mitteleuropa Morgenluft wittern, während sie in den USA, Großbritannien, Ungarn, Polen und Bayern bereits an der Macht sind, präsentieren sich – ganz wie die Faschisten der 20er Jahre – vor allem als Alternative: zur Globalisierung, zu Europa, Technokratie und Freihandel, zur liberalen Demokratie mit Freiheitsrechten, Minderheitenschutz und Rechtsstaat. Der Status Quo ist für sie unerträglich – er muss radikal umgestürzt werden, koste es, was es wolle.

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The Big Short – Die Wette gegen unsere Generation

Die Hinweise, versteckt lediglich durch die Vielzahl der Fragmente, die wir jeden Tag wahrnehmen und als relevant oder irrelevant einstufen müssen, waren offen sichtbar. Das vermittelt The Big Short – ein Film über die Wallstreet-Trader, die der Immobilienblase von 2007 auf die Schliche kamen: ein riesiges Kartenhaus, sich selbst bestätigend und zusammengehalten von den Eigeninteressen der Spieler.

Dieses Gefühl des Hätte-wissen-müssens ist nach dem Ereignis so natürlich wie trügerisch: Hätte man wirklich wissen können, dass die Beziehung in die Brüche geht? War es tatsächlich abzusehen, dass das Internet sich so stark in allen Lebensbereichen durchsetzt? Im Nachhinein betrachtet fallen uns „die Schuppen von den Augen“ – warum also nicht vorher?

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Neuland

Willkommen auf dem Blog Unsere Zeit! Wir, vier Studenten in Berlin, Friedrichshafen und Bielefeld, beobachten Zustände und Entwicklungen der Gegenwart und kommentieren diese über Blogeinträge. In einer Zeit, deren zunehmende Komplexität das Einnehmen klarer Standpunkte immer schwieriger macht, wollen wir Positionen und Argumente entwickeln, die uns und euch anregen, euer Denken im Idealfall weiterbringen und euch gerne auch aufregen sollen. Der Blog ist als eine Art Netzwerk gedacht, an dem sich prinzipiell jeder durch Kommentare oder auch eigene Artikel beteiligen kann.

Entstanden ist das Projekt im Mai 2013. Um neben dem wissenschaftlichen Arbeiten im Studium mit Fußnoten, Bibliographien und ständigem Bezug auf schon Gedachtes auch breitere, aktuellere, zugänglichere Gedanken und Texte zu produzieren, verpflichten sich die zunächst vier Autoren, je einen Beitrag pro Monat zu veröffentlichen. Die Themenwahl steht jedem weitgehend frei, obligatorisch ist nur ein Bezug zu unserer Zeit, zur Gegenwart. Der vorläufige Name des Blogs Unsere Zeit geht auf ein gleichnamiges Lied des Lyrikers PeterLicht zurück, soll darüber hinaus aber auch eine bestimmte Perspektive verdeutlichen: Wir schreiben als Angehörige einer jungen Generation. Damit wenden wir uns gegen eingestaubte Denkmodelle vieler älterer Themen- und Tonangeber in öffentlichen Diskursen, die ihre Lösungen für Probleme der Gegenwart am liebsten in der Vergangenheit suchen, gerne auch in ihrer eigenen, angeblich goldenen Jugend. Wir gehen lieber vom Offensichtlichen aus: Die Welt hat sich rasant verändert, und für die Fragen von heute sind Antworten von gestern nicht mehr ausreichend. Wir wollen nach vorne denken statt zurück, und an diesem Anspruch wollen wir auch gemessen werden.

Wir sind nicht die ersten, die den Namen Unsere Zeit verwenden. Der Name ist, warum auch immer, besonders unter langweiligen und/oder totalitaristischen Gruppen beliebt. Er wurde schon verwendet von Kommunisten, schlechten Rockbands, Nazis, Christen und Teenagern – und natürlich von unserem Peter. Ein Gegenmodell unter gleichem Namen ist daher eine ansprechende Perspektive. Eine eigene politische Verortung fällt uns gar nicht so leicht, ohne dass wir uns dabei in Traditionen stellen, mit denen wir im Zweifelsfall doch nicht in Verbindung gebracht werden wollen. Wollte man uns festnageln, so würden wir uns am ehesten der Freiheit in staatlicher Selbstverwaltung verschreiben, in dem Sinne sind wir – für alle, die doch ein Label wollen – linksliberal. Warum das überhaupt voranschicken? Weil es redlich ist, die eigene Position offen zu legen, anstatt den Leser sie mühsam zwischen den Zeilen herausklamüsern zu lassen; weil es wichtig ist zu wissen, von welchen normativen Grundvorstellungen wir ausgehen, um unsere Probleme und Lösungsvorschläge – und sicher auch deren Grenzen – besser zu verstehen.

Andererseits heißt das nicht, dass hier nur linksliberale Positionen zu Wort kommen dürfen. Über die Kommentarfunktion sind Einwände direkt möglich; nach Absprache könnt ihr euren Widerspruch ggf. auch als Artikel veröffentlichen. Dieser Blog soll eine Plattform des Meinungsaustauschs und der Meinungsverschiedenheit sein; ein Ort, um Argumente zu entwickeln und auszuprobieren, Positionen zu beziehen und sie auch wieder zu räumen; Konsens wird nicht angestrebt. Es sollte auch nicht der falsche Eindruck entstehen, dass es hier nur um Politik gehen soll. Wir interessieren uns genauso für ökonomische, intellektuelle, ästhetische und überhaupt alle Entwicklungen, aus denen man etwas über die Gegenwart lernen kann.

Das Bloggen ist für uns alle Neuland. Als journalistische Dilettanten betrachten wir dieses Projekt als Experiment. Worauf der Blog hinaus läuft, welche Themen er behandelt und welche Positionen wir vertreten, das wird sich alles erst zeigen. Kritik, Anregungen und Fragen sind natürlich immer willkommen!

So weit erst mal: Viel Spaß also beim Lesen, Reflektieren und Kommentieren,
Erik, Sören, Adrian und Julian