Wahlen sind für alle da

Wenn heute der neue Bundestag gewählt wird, dürfen über 20 Millionen Menschen in Deutschland nicht mitentscheiden, weil sie kein Wahlrecht haben – ein Skandal, der viel zu selten thematisiert wird.

Parlamentswahlen sollten die Sternstunde der Demokratie sein, Fixpunkt öffentlicher Deliberation und Vollzug politischer Selbstregierung. Bei der (heutigen) Bundestagswahl sind allerdings Zweifel angebracht. Nicht nur, dass den Wählerinnen und Wählern eine falsche Dichotomie zwischen konservativer Alternativlosigkeit und reaktionärer Zeitreise aufgedrängt wird. Nicht nur, dass die rein nationale Mitbestimmung unzureichend ist, um die globalisierten Probleme des 21. Jahrhunderts zu lösen. Nein, der Defekt der deutschen Demokratie (und nicht nur dieser) ist noch fundamentaler: Obwohl über 82 Millionen Menschen in Deutschland leben, verfügen nur 61,5 Millionen über das Wahlrecht. Mehr als 20 Millionen Menschen sind bei dieser weitreichenden Entscheidung über unsere politische Zukunft ausgeschlossen. Das ist ein Skandal, über den endlich gesprochen werden muss.

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Für einen politischen Transhumanismus

Wie wir den Humanismus überwinden und eine Welt, die sich fundamental wandelt, politisch gestalten.

Wir leben in einem Zeitalter, in dem wir Spezies verändern können und mit den möglicherweise folgenschwersten Erfindungen aller Zeiten buchstäblich über das Schicksal der Menschheit entscheiden.

Doch unsere größten Alltagsprobleme umfassen heute die Post vom Finanzamt und der GEZ. Das Desinteresse, mit dem viele unserer passiven Zeitgenossen dem politisch-gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Geschehen gegenüberstehen, steht im krassen Widerspruch zu den Möglichkeiten, die sich uns bieten.

Eine Antwort darauf ist der Transhumanismus. Dieser kann als die überfällige Grundsanierung des humanistischen Wertegebäudes verstanden werden.

Wie ist das gemeint?

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Die künstliche Intelligenz gefährdet die Demokratie – wem wir deshalb bei Facebook folgen sollten

Immer häufiger ist die Rede von künstlicher Intelligenz (KI). Aber nicht allen fällt es leicht, sich etwas darunter vorzustellen. Woran denkst Du bei dem Begriff? Denkst Du an selbstfahrende Autos, an einen menschenähnlichen Computerassistenten, oder denkst Du eher an eine bedrohliche Roboterarmee? Die öffentliche Wahrnehmung von KI wurde in den letzten Jahren vor allem geprägt von Kinofilmen wie Matrix, Ex Machina, A.I. oder I Robot. All diese Filme sind Dystopien, in denen ein Computerprogramm selbstständig wird und Menschen dominiert. Die Gefahr, die von KI ausgeht, wird deshalb meistens in einer fernen Zukunft verortet.

Die Gefahr ist jedoch schon jetzt gegenwärtig und alltäglich. Sie begegnet uns nicht als Roboterarmee, sondern im Internet, in Form selbstlernender Algorithmen. Diese Algorithmen bestimmen, was wir auf unseren Laptops, Tablets und Smartphones zu sehen bekommen: welche Treffer uns Google angezeigt, welche Werbung uns eingeblendet wird, welche Beiträge wir bei Facebook sehen. Die Algorithmen entscheiden ebenso darüber, was wir nicht sehen: welche Nachrichten und welche Posts uns verborgen bleiben, welche Freunde, Webseiten und YouTube-Videos uns nicht vorgeschlagen werden. „Die künstliche Intelligenz gefährdet die Demokratie – wem wir deshalb bei Facebook folgen sollten“ weiterlesen

Unsere Zeit – ein kultureller Raum der Hybridität?

Wollen wir eine Gesellschaft, die angstgeleitet agiert und ihr Handeln durch eine pejorative Beschreibung und Konstruktion des Anderen verteidigt? Oder lassen wir Transformationen zu, brechen polare Denkmodelle auf und verändern auch unsere Identitäts- und Kulturauffassungen in Richtung einer sowieso schon globalen Welt?

„Ich bin Deutsche, habe braune Augen, lange Haare und bin schwarz. Ich bin aber Deutsche“, sagt sie zu ihrer Verteidigung. Warum Verteidigung? Weil sie, eine afrodeutsche Bekannte, jede Woche mindestens einmal gefragt wird, aus welchem Land sie denn kommen würde, als sei es ganz klar, dass sie keine Deutsche sein könne. Die zweite Frage, die sich anschließt, ist meistens: und woher kommen deine Eltern? Wenn sie die Frage dann auch mit „Deutschland“ beantwortet, hört die Hälfte auf zu fragen, woher denn ihre Großeltern stammen. Die andere Hälfte würde vermutlich auch noch bis in die Urgroßelterngeneration zurückfragen, nur um ihre ‚nichtdeutschen Wurzeln‘ zu entdecken. „Ich bin ein Hybrid“, sagt sie und schließt an: „aber sind wir das nicht irgendwie alle?“

In einer Zeit der Globalisierung wird auf den unterschiedlichsten Ebenen von Hybridität geschwärmt. Von einer grenzenlosen Welt, in der die lateinamerikanischen Bananen auch im deutschen Winter in die Supermärkte kommen, in einer Welt, in der wir guatemaltekischen Kaffee importieren, peruanische Schokolade essen, Videokonferenzen mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Tochterfirma in Japan abhalten und noch schnell der Austauschstudentin aus Amerika, Kanada oder Afrika zurückschreiben, die seit einem Monat nicht mehr in Deutschland ist, uns jedoch jeden Tag über ihr Leben auf dem Laufenden hält. Unser Alltag ist schon längst interkulturell und international – vielleicht wird es JETZT Zeit über unsere Auffassungen von Identitäten und Kulturen nachzudenken. Deutschland ist nicht erst jetzt international, Europa nicht erst seit den neuesten Flüchtlingsströmen ein hybrider Erdfleck. „Unsere Zeit – ein kultureller Raum der Hybridität?“ weiterlesen

Mut in Zeiten des Terrors

Wir Europäer seien „selber schuld“ an den Anschlägen, schallt es aus den Kommentaren – wegen einer imperialistischen Politik, sagen die einen. Wegen einer fehlgeleiteten Immigrationspolitik, sagen die anderen. „Zu schwach“ seien wir, „um unsere Werte zu verteidigen“.

Es ist ein vertrautes Gefühl nach der Katastrophe. Nach dem Schock, dass so etwas mitten unter uns passieren konnte und der Trauer über dieses Mädchen, dass da in Sneakers auf dem Boden liegt, die Arme friedlich überkreuzt und jetzt tot ist. So tot wie 130 weitere Menschen, die vorletzten Freitag ausgehen wollten. Es hätte auch meine Schwester sein können. Es hätte jeder sein können.
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In the name of Europe: A new style of politics in the refugee crisis?

This week started with two political events that concerned the EU: On the one hand, Greek voters approved of Alexis Tsipras’ way of dealing with the Greek economic and political crisis. On the other hand, the European Ministers of the Interior agreed on a quota to relocate 120.000 refugees among the EU member states.
These events may appear to be distinct, but if one focuses on their structural causes a lot of similarities between both phenomenons can be detected. They both happened in an insufficient pre-crisis set-up during which warnings were ignored, and national rather than European interests were pursued. Once the problems became manifest and could no longer be ignored both cases led to a situation in which the persistence of the European Union, or part of its political achievements, were put into question. This was the case because national politicians did not seem to be willing, and European politicians did not seem to be entitled, to reach an agreement on a structural reform of the EU. Finally, both crises called for an exceptional role of German politics to absorb the foreseeable and avoidable negative consequences, caused by a regulatory framework which itself is strongly influenced by German politics.

Eigentum verpflichtet – warum die stärkere Besteuerung von Erbschaften wichtig und gerecht ist

Und plötzlich ist er da, der große Unterschied, nachdem man Nächte lang zusammen geschwitzt hat, um die Präsentation für den Chef im unterbezahlten Agenturjob doch noch fertig zu bekommen. Nachdem die erste Stelle nach den gemeinsamen Jahren der Entbehrung zwar nicht gerecht wird, aber zumindest die Ausbildung würdigt. Nachdem der Konzern die Frustrationstoleranzgrenze ausgereizt hat mit dem Versprechen eines Karrieresprungs. Wir werden gemeinsam im Freundeskreis sitzen, mit den gleichen Erzählungen von Mühen und Niederlagen, von guten Deals und steilen Karrieren und mit Mitte dreißig wird uns etwas entzwei reißen, das vorher nicht mehr als eine Randnotiz war – die einen werden erben und die anderen nicht.

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Der Wolf im Sharingpelz – warum die gesellschaftliche Wirkung der Sharing-Ökonomie besser ist als ihr Ruf

Dieser Artikel ist der zweite in einer Reihe über den Einfluss der ‚Sharing Economy‘ und ‚On-Demand Economy‘ auf Wirtschaft und Gesellschaft. Der erste Artikel Die Grenzen des Wachstums: Warum nach der Expansion jetzt die Erschließung kommt erschien bereits im November.

Der Einfluss der Sharing Economy ist unbestritten, ihre Wirkung steht jedoch in der Kritik. Sie verdamme uns zu ‚ewigen Händlern‘, warnt die Frankfurter Allgemeine Zeitung. ‚Erstaunlich talentierte Märchenerzähler‘ seien am Werk, die das Versprechen einer billigeren und umweltfreundlicheren Ökonomie nicht einlösten. Eine Alternative zum Kapitalismus sei die Sharing-Ökonomie gewesen, bevor die Investoren auftraten, sagt die Zeit. Das Resultat sei die Aushöhlung des Arbeitsschutzes, der zu einem Prekariat aus Tagelöhnern führe – alles bereits da gewesen, bloß jetzt kostenpflichtig und kommerziell. Und da kommt sie nun, die Sharing Economy als Wolf im Schafspelz: Außen fluffig und philantrophisch, innen profitgetrieben und gesellschaftszersetzend.

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Zurück oder Zukunft?

Der jüngste EU-Gipfel eignete sich wiedermal nicht, um große Schlagzeilen zu generieren. Neben dem Streit um die Haushaltsmittel und einem Programm gegen die Jugendarbeitslosigkeit, das von vielen Seiten als unzureichend kritisiert wird, ist kaum etwas vorzuweisen. Stattdessen werden nationale Interessen verstärkt in den Vordergrund gestellt und eine aufgeklärte politische Diskussion über Sinn und Struktur einer stärkeren Union bleibt aus. Dabei sind die Probleme drängend und der Nationalstaat alleine scheint ihnen kaum gewachsen. Der EU droht eine ganze Generation verloren zu gehen, die durch Perspektivlosigkeit in die Opposition getrieben wird. Es wird Zeit, dass man ihre Proteste ernst nimmt.

Der fehlende Wille zur Integration

Dabei wäre es nur zu wichtig, dass die immer wieder angestoßene Diskussion über den weiteren Integrationsprozess am Leben gehalten wird: Andere Teilbereiche der Gesellschaft haben die nationalstaatlichen Grenzen längst hinter sich gelassen. Die wirtschaftliche Krise der letzten Jahre hat sich auch deswegen zu einer politischen Krise entwickelt, weil es keinen politischen Rahmen gibt, um die Entwicklungen der globalen und europäischen Wirtschaft zu bearbeiten.

Der Nationalstaat scheint vor diesem Hintergrund immer häufiger als ein zu enges Korsett für eine effiziente Politik. Längst wird ein großer Teil der deutschen Gesetze in Brüssel verabschiedet. Auch die Interventionen des Europäischen Gerichtshofes verdeutlichen, dass der Integrationsprozess die Souveränität der einzelnen Staaten längst beschnitten hat. Am deutlichsten erfahren das sicher die Menschen in den Ländern, die aktuell von der Troika überwachte Strukturreformen durchführen müssen – ob sie wollen oder nicht. Gleichzeitig drängen andere Player auf die Bühne der internationalen Politik, die das Selbstverständnis der europäischen Nationen langsam aber sicher in seine Schranken weisen. Mit dem wachsenden Selbstbewusstsein Chinas und Russlands erscheinen selbst Länder wie Deutschland immer kleiner – wer kann schon sagen, wie eine europäische Krisenpolitik in Zukunft aussehen könnte, wenn China und Indien den IWF dominieren?

Doch anstatt die Krise als einen Motor für weitere Schritte anzusehen, wird der Nationalstaat wieder vermehrt in den Vordergrund gestellt: Eurokritische Parteien gibt es in jedem Staat. Aber auch die aktuelle deutsche Regierung genießt ihre komfortable Position durch ihr politisches und wirtschaftliches Gewicht und sieht keine Notwendigkeit zur Veränderung der Entscheidungsprozesse innerhalb der EU. Gerade das Minimum an notwendiger Abstimmung zwischen den Staaten wird realisiert. Doch am Ende versucht jede Regierung, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen.

Probleme einer rückwärtsgewandten Politik

Ein entscheidender Punkt scheint in diesem Zusammenhang in den inneren Problemen der europäischen Staaten zu bestehen. Das in der Nachkriegszeit etablierte Modell der Parteiendemokratie hat mit sinkender Zustimmung zu kämpfen. Dafür ist nicht zuletzt das Modell der Wählermobilisierung über den Wohlfahrtsstaat verantwortlich. Über Jahrzehnte hinweg wurden den WählerInnen immer neue Leistungen versprochen, um sie für die eigene Partei an die Wahlurne zu rufen. Doch die steigenden Staatsschulden lassen vor dem Hintergrund der weltweiten wirtschaftlichen Verflechtungen und des demografischen Wandels immer mehr Zweifel am Fortbestand dieses Systems – zumindest in seiner jetzigen Form. Andererseits trauen sich ParteipolitikerInnen nicht, Leistungen zurückzunehmen oder eine ernsthafte Reform der Sicherungssysteme zur Diskussion zu stellen. Allein die Familienförderung in Deutschland umfasst 150 verschiedene Leistungen und der Dschungel an Steuergesetzen scheint weitestgehend unbekanntes Gebiet. Die Pflegereform wird immer wieder verschoben und die Lebensleistungsrente stellt für viele junge Menschen keine ausreichende Motivation für einen Urnengang dar.

Die Politik hat sich in eine vertrackte Situation manövriert. Um WählerInnen und Sozialstaat erhalten zu können, ist eine gute Wirtschaftspolitik nötig. Zur gleichen Zeit offenbaren sich genau hier die oben angerissenen Grenzen des nationalstaatlichen Horizonts: Wirtschaft – vor allem die Finanzmärkte – denkt und agiert längst global und selbst bei authentischem Kampfeswillen wird sie sich wohl nicht im nationalen Alleingang „an die Kette legen lassen”. Ein Ausweg wäre die Flucht nach vorn. Auch hier lauern viele Probleme und Risiken, doch es winkt auch ein neues Verständnis von Staatlichkeit mit neuen Freiheiten und Gestaltungsmöglichkeiten. Die andere Option ist der Weg zurück. Ein Großteil der WählerInnen und PolitikerInnen sind anscheinend nicht bereit, die aktuellen Denkmuster zumindest infrage zu stellen. Und so bietet sich auch der Rekurs auf die Nation an, um die Legitimität der eigenen Politiken sicherzustellen. In den Nachrichten begegnen einem daher auch immer häufiger diese Muster, die teilweise schon abgeschrieben wurden. So wird die europäische Integration von vielen Seiten in immer weitere Ferne gerückt, um auf Probleme zu reagieren, die innerhalb der Union womöglich sogar einfacher zu lösen wären.

Die Zukunft steht auf dem Spiel

Diese beiden Möglichkeiten prägen auch die politischen Landschaften Europas und treten dort am klarsten zutage, wo eine Entscheidung unausweichlich wird: In den krisengebeutelten Staaten Südeuropas und den kleineren Staaten, die längst realisiert haben, dass nur die EU ihnen auch zukünftig die Möglichkeit der Mitbestimmung bietet. Doch hier macht sich die mangelnde Identifikation mit der Union bemerkbar. Es ist kaum möglich Programme zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit auf die Beine zu stellen, da PolitikerInnen und SteuerzahlerInnen nicht gewillt sind, Geld abzugeben.

Dabei steht viel auf dem Spiel. Gerade die Jugendarbeitslosigkeit zeigt, dass ein Umdenken erforderlich ist. Und nicht nur in Europa werden die Forderungen nach mehr Gestaltungsmöglichkeiten für die Zukunft und Rücksicht auf die Belange junger Menschen immer häufiger auf die Straßen getragen. Denn hier werden die Weichen für die Zukunft schon gestellt – die jungen Menschen, die keine Perspektiven sehen und die EU immer häufiger als Bösewicht oder Papiertiger erleben, sollen dieses Projekt einmal fortführen und tragen. Ihnen ist das Globale näher als den vorhergegangenen Generationen und sie haben (noch) keine Rentenversicherungen und Eigenheime und somit auch weniger zu verlieren.

Sicherlich ist jetzt keine blinde Reformwut gewünscht und in diesem Sinne muss von beiden Seiten Dialogbereitschaft bestehen. Aber ein entschiedener Schritt nach vorne muss getan werden. Und in diesem Sinne ist auch die Wahl zwischen zurück oder Zukunft keine wirkliche. Denn durch Politik lässt sich die Globalisierung längst nicht mehr aufhalten. So werden die Reformen früher oder später doch notwendig – es stellt sich dann nur die Frage, ob die Politik und ihre Projekte dann noch auf Menschen treffen, die ihnen ihr Vertrauen leihen. Es wäre für PolitikerInnen an der Zeit, dieses Neuland zu betreten – noch haben sie die Möglichkeit, seine Bewohner dabei mitzunehmen.

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