Faschismus im 21. Jahrhundert. Ein Kommentar zu Orbán und Putin

Der Faschismus des 20. Jahrhunderts hatte zwei Feinde: Liberalismus und Sozialismus. Der des 21. Jahrhunderts richtet sich nach dem Zusammenbruch des Kommunismus folgerichtig vor allem gegen das liberale demokratische Modell – ein weiterer Grund, dieses „westliche“ Modell unmissverständlich zu verteidigen. Nehmen wir Victor Orbán, den ungarischen Premier, der noch immer Parteigenosse von Jean-Claude Juncker und Angela Merkel ist:

Orbán hatte in seiner Rede in Baile Tusnad Ende Juli davon gesprochen, dass das westliche Modell der liberalen Demokratie ausgedient habe. Stattdessen nannte Ungarns Regierungschef Staaten wie Russland, China, Singapur und die Türkei als Vorbilder – „Staaten, die nicht westlich, nicht liberal und vielleicht nicht einmal demokratisch, aber dennoch erfolgreiche Nationen sind“. Für Ungarn verkündete Orbán in seiner Rede das Ende der liberalen Demokratie und stellte den „Aufbau eines illiberalen Staates“ in Aussicht, in dem die Nation und die Gemeinschaft der Ungarn im Mittelpunkt stünden. „Wir müssen mit liberalen Grundsätzen und Methoden, mit dem liberalen Gesellschaftsverständnis überhaupt, brechen“, so Orbán.

 

Nicht umsonst bezieht sich Orbán auf Putin, der ein ganz ähnliches Modell verfolgt: Kontrolle der Medien, Einschränkung der Meinungsfreiheit, homophobe Gesetzgebung, Propaganda der nationalen Stärke und, nicht zuletzt, völkischer Nationalismus. Denn es ist bezeichnend, dass Orbán seine Rede gegen den Liberalismus im rumänischen Băile Tușnad hielt, im Rahmen einer Sommeruniversität der ungarischen Minderheit in Rumänien. Es geht hier also um einen Nationalismus, der an Staatsgrenzen keinesfalls haltmacht.

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Der Feind, liebe Linke, steht rechts

Gut, ich gebe es zu: Ich habe die Linken auf dem Kieker. Das liegt allerdings nur daran, dass ich selbst ein Linker bin. Ich will, dass alle Menschen frei und gleich werden. Ich will, dass die Welt besser und gerechter wird. Ich will, dass Rassismus, Sexismus und Nationalismus aus der Welt verschwinden, lieber gestern als morgen. Ich will, dass alle Menschen in Wohlstand leben können. Ich trage also auch das gute alte linke Bedürfnis mit mir herum, die Welt zu verändern. („Wir alle sind Atlanten und tragen die Welt auf den Schultern“, wie Erik gerade dichtete. Nunja, Ayn Rand nicht.) Wie viele meiner Freunde bestätigen können, bin ich auch mindestens so selbstgerecht wie die meisten Linken und habe außerdem einen ebenfalls typisch linken, nervtötenden Spaß daran, andere mit meinen politischen Ansichten zu belästigen. Eigentlich bin ich wahrlich ein Vollblutlinker.
Nun habe ich aber einige Probleme mit meinem Linkssein: Erstens werde ich nur selten als Linker wahrgenommen und anerkannt. Damit kann ich noch leben – ich behaupte einfach wacker weiter, dass ich dazugehöre. Zweitens aber finde ich zunehmend Ansichten und Aussagen von Linken, denen ich nicht nur nicht zustimmen kann, sondern denen ich ganz vehement widersprechen muss – und zwar gerade, weil ich links bin. Eine Einladung an junge Südeuropäer, in Deutschland eine Lehrstelle zu suchen, sei eine „Ohrfeige“ für die deutschen Jugendlichen, die, selbstverständlich, zuerst gefördert werden müssten, meint etwa Sahra Wagenknecht. Der Schweizer Sozialdemokrat Rudolf Strahm glaubt, Personenfreizügigkeit über nationale Grenzen hinweg sei ein „neoliberales und menschenverachtendes Konzept“. Oder nehmen wir die Forderung nach einer erneuerten nationalen „Grenzziehung gegenüber der sogenannten ‚Globalisierung’“, die der Soziologe Wolfgang Streeck erhebt. Und Paul Murphy von der Sozialistischen Partei Irlands, bis zur letzten Wahl Abgeordneter im Europäischen Parlament, befindet: „Gäbe es mehr europafeindliche Abgeordnete, ob von links oder rechts, würde das Parlament weniger Schaden anrichten.“

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„Wir sind der europäischste Teil der Europäischen Union“. Interview mit Norbert Glante, MdEP

Norbert Glante, 61, ist seit 1994 Mitglied der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialisten und Demokraten (S&D) im Europäischen Parlament. Das SPD-Mitglied aus Brandenburg arbeitet dort insbesondere im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie.

Das Telefoninterview führte Erik Brandes am Donnerstagmorgen; Vor- und Nachbereitung übernahmen Erik und Sören Brandes.
Unsere Zeit: Herr Glante, als Europa-Parlamentarier pendeln Sie zwischen Brüssel, Straßburg und Ihrem Wahlkreis Brandenburg. Wie finden Sie Brüssel? Gefällt Ihnen die Stadt oder freuen Sie sich dann doch, wenn Sie wieder in Werder an der Havel sind?

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Eine tolle Performance. Conchita Wurst und wir

„Who could possibly vote a creature like this?? FOR THOSE HOW VOTET HER/HIM :“ FUCK YOU GUYS!!! NOW ALL THE PEOPLE FROM ALL OVER THE WORLD LAUGHS WHEN THEY SEE WHAT EUROPE LIKE! — A HOMO!“ „Duuuu huuuuurensohhhn“. „Diese Schwuchtel sowas gehört nicht in die Gesellschaft“. „Einfach nur ein ekelhaftes Etwas.“ „du spast hast uns noch ch gefählt“. „Wo leben wir denn eigentlich? Und sagt nicht das das natürlich ist.. ..aber was ist das bitte ? Soll DAS Europa verkörpern?“ Oder einfach: „Go kill yourself.“

 

All diese Nettigkeiten habe ich bei einer kurzen Facebook-Recherche nach Reaktionen auf Conchita Wurst gefunden. Die Travestie-Figur des Österreichers Tom Neuwirth ist, wie mittlerweile bekannt sein dürfte, am Samstag Siegerin des Eurovision Song Contest geworden, mit einem Kleid, einem Vollbart und diesem Lied:

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=8fvLtTRzdHw]

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Olli Schulz, Erik Hakopjan und das Ende der Ausländerfeindlichkeit

Der beste Zeitungsartikel, den ich in letzter Zeit lesen durfte, stammt von Barbara Hardinghaus und ist im Spiegel erschienen, Nr. 9 vom 24. Februar 2014. Er ist nur eine Seite lang, heißt „Justus, Leon, Paul. Erik“ und handelt von Olli Schulz – nicht dem Musiker Olli Schulz, sondern dem Fußballtrainer des Duvenstedter SV. Oliver Schulz ist ein leidenschaftlicher Fußballer, für Politik hat er sich eigentlich nie interessiert – und doch sieht man ihn auf dem Bild zum Artikel ziemlich bedröppelt dreinblickend auf einer Demonstration in Bad Segeberg stehen, hinter ihm hält jemand ein Schild hoch, auf dem „Bleiberecht für Fam. Hakopjan“ zu lesen ist. Es ist die erste Demonstration, auf der Schulz jemals war. Was ist da los?

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David Simon and the End of the 20th Century Western Welfare Model

We all know the story by now, it goes like this: The world was good, back then, in the 1950s and 1960s. We had a nation state that cared for us, one that was actually capable of doing things: it built roads, provided decent schools and education, and, most importantly, it lessened poverty and social inequality. Why couldn’t it just stay that way forever? Why on earth did Milton Friedman, Margaret Thatcher, and Ronald Reagan have to come and clatter around our golden age of welfare paradise? Because so they did, around 1980, when Milton broadcast his famous, free-market advocating TV series Free to Choose, when Ronald gave speeches about choice and opportunity and when Maggie started her war on unions and state-owned businesses. Why couldn’t they just leave us alone?
As you may have noticed, I am slightly sceptical about that story. To me, it seems too simple, too conservative, and too centered on the development in the West, especially the US. This is not to say that it is utterly wrong, but rather that it is only a tiny shred of a much bigger story that is much more complicated and harder to grasp in all of it’s facets. I will hopefully explore this in a longer essay in the near future. However, what concerns me here is a new and very impressive piece by David Simon in The Observer. David Simon is the creator of The Wire, the best TV series of all times (even better, one might claim, than Friedman’s Free to Choose). As you know if you’ve watched it, it is about the decay of an American city, the great gap that divides American society, and the drug trade as a war on America’s underclass. If you haven’t watched it, just do it. Now. Nothing else matters. You can come back to this text once you’ve finished all of the incredibly good five seasons and 60 episodes of the show.

Hamed Abdel-Samad wieder frei!

Update: In einem Interview hat Hamed Abdel-Samad nun Auskunft darüber gegeben, was mit ihm passiert ist.

Wie sein Freund Kacem Al Ghazzali auf Facebook berichtet, ist Hamed Abdel-Samad wieder frei und in Sicherheit. Walid Malik schreibt, Hamed gehe es „den Umständen entsprechend sehr gut“. Er wurde Dienstag Abend von der ägyptischen Polizei befragt.

Spiegel Online, deren Team mit seinem Bruder gesprochen hat, berichtet, Hamed Abdel-Samad sei in Kairo in der Nähe des Al-Azhar-Parks von vier Unbekannten gepackt und in einen Minibus gezerrt worden. Die Entführer zogen Abdel-Samad einen Sack über den Kopf und fuhren mehrere Stunden. Der Entführte wurde in ein Gebäude getrieben und dort unter Gewalt zur Unterschrift verschiedener Dokumente gezwungen, vermutlich Schuldscheine. Wertgegenstände und Uhr wurden ihm abgenommen. Die Entführer setzten Hamed Abdel-Samad zwei Tage später in der Nähe des Kairoer Flughafens aus; er wurde anschließend von einem vorbeifahrenden Auto mitgenommen und zur nächsten Polizeistation gebracht. Mahmud Abdel-Samad vermutete, das internationale Aufsehen hätte zu seiner verhältnismäßig schnellen Freilassung beigetragen.

Die ägyptische Polizei berichtet, dass hinter der Entführung vermutlich ehemalige Geschäftspartner Abdel-Samads stehen, die ihm Geld schuldeten. Er hatte ihnen das Geld als Investition in Infrastruktur in Ägypten zukommen lassen. Dabei soll es laut Spiegel Online um 241.000 Euro gegangen sein. Anderswo war von 250.000 Ägyptischen Pfund die Rede, etwa 27.000 Euro

Mehrere Medien berichten, dass Hamed Abdel-Samad neben Verletzungen an Kopf, Augen und Rücken psychisch sichtlich angeschlagen wirke. Mittlerweile ist er zurück in Deutschland und möchte sich eine Auszeit nehmen. Sein erstes Interview nach der Entführung gab Abdel-Samad dem Spiegel. Dort brachte er insbesondere seine Enttäuschung über die ägyptischen Behörden zum Ausdruck.

Stand 30. November 2013, 19.55 Uhr

Von Erik & Sören

Muschi, Bello und die JuLis: Ein Lebenszeichen?

Meine Freundin erzählte mir letztens folgende Geschichte: Sie in der Tram. Ein paar Sitze weiter sitzt ein chinesisches Pärchen mit zwei kleinen Welpen. Es tritt ein: Ein deutsches Pärchen. Er zu ihr: Guck mal, die werden die Hunde gleich essen! Kichern. Kurze Zeit später: Zwei junge Männer setzen sich ebenfalls in die Nähe. Er zu ihm: Guck mal, die werden die gleich essen! Noch einmal etwas später. Es tritt ein: Eine Mutter mit Kleinkind. Die Mutter, flüsternd: Guck mal, die werden die Hunde jetzt gleich essen! Geschichten, die das Leben schreibt.
Und nun – wer hätte es gedacht: ein Lebenszeichen von den JuLis!

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Update zu Konservatismus und Ambivalenz

Die Bundestagswahl hat eine Republik hinterlassen, deren Wahlkreiskarte erschreckend schwarz ist. Der Anblick dieses stolzen Bilds lockt auch sogleich ein paar versprengte Konservative aus der Versenkung hervor. Wolfgang Bok befindet im Cicero: „Die grüne Journaille hat versagt. Die Bundestagswahl ist ein Weckruf für den Journalismus. Die Bürger sind viel konservativer als die Medien Glauben machen wollen.“ Als Argument hat Bok nicht viel mehr anzubieten als den Wahlausgang.
In meinem Artikel über Konservatismus und Ambivalenz (unbedingt lesen! das beste, was ihr zu diesem Thema je gelesen haben werdet!) habe ich vor einigen Wochen argumentiert, dass der Konservatismus in Deutschland im Grunde am Ende sei, weil er seine Skepsis gegenüber dem Anderen, Uneindeutigen, gegenüber Ausländern und Schwulen, gegenüber alternativen Familienformen und der Vermischung der Geschlechterrollen aufzugeben im Begriff ist – und damit sein konstitutives Unterscheidungsmerkmal verliert. Das, habe ich behauptet, korreliert mit einem generellen Rückgang konservativer Positionen in der deutschen Bevölkerung. Ich finde, damit kann ich mich mit Fug zur „grünen Journaille“ zählen, auch wenn Herr Bok wahrscheinlich eher Schreiberlinge mit einer höheren Leserzahl und auf etablierteren Plattformen als diesem Blog im Blick hatte.

Auf geht’s, FDP!

Wie ich gerade unserem Freund Simon schrieb:

So, lieber Simon, jetzt ist die Frage: Radikalisiert sich Deine FDP in Richtung konservativ und rechts, in Richtung Neoliberalismus, Marktglauben, Euro- und EU-Kritik, versucht sie also, die rechten CDU- und AfD-Wähler zurückzuholen? Oder wird sie endlich wieder eine echte, liberale Partei mit breitem Themenangebot, konzentriert sie sich endlich auf liberale Themen wie Demokratie und Bürgerrechte, z. B. für Homosexuelle, Migranten und Asylbewerber, auf wichtige, moderne Themen wie Datenschutz im Internet, Überwachungs- und Geheimdienstpolitik? Frank Schäffler und sein angeblich „liberaler“ Aufbruch oder Gerhart Baum, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger  und Christian Lindner?

Das, würde ich behaupten, ist eine historische Chance.