Ulrike Guérot, Politikwissenschaftlerin und Publizistin, hat es schon wieder getan. Sie hat ein extrem streitbares Buch zu einem eigentlich wenig emotionalisierten Thema veröffentlicht: Europapolitik. Ihr Essay Der neue Bürgerkrieg. Das offene Europa und seine Feinde ist im besten Sinne des Wortes eine Streitschrift. Frau Guérot gelingt es erneut in einzigartiger Weise, das Thema der zukünftigen politischen Gestaltung Europas mit Leben zu füllen. Bei der Beschreibung der aktuellen Zustände, welche sie mit den Worten Verteilungs- und Kulturkampf oder gar Bürgerkrieg umreißt, schießt sie rhetorisch allerdings einige Male deutlich über das Ziel hinaus.
Die Alternative für Europa
Das Zeitalter der Alternativlosigkeit ist an sein Ende gekommen. Mit Trump, Brexit und der „Alternative für Deutschland“ hat sich ein Gegenmodell zur Globalisierung formiert: Nationalismus, Abschottung, Repression. Wenn die offene Gesellschaft gegen diesen Ansturm eine Chance haben will, muss sie eine eigene, progressive Alternative entwickeln, anstatt den Status Quo zu verteidigen.
„There Is No Alternative.“ Mit dem berühmten TINA-Prinzip leitete Margaret Thatcher Ende der 70er Jahre programmatisch das Zeitalter ein, das jetzt an sein Ende kommt: das Zeitalter der Alternativlosigkeit. Die rechten Bewegungen, die derzeit in Mitteleuropa Morgenluft wittern, während sie in den USA, Großbritannien, Ungarn, Polen und Bayern bereits an der Macht sind, präsentieren sich – ganz wie die Faschisten der 20er Jahre – vor allem als Alternative: zur Globalisierung, zu Europa, Technokratie und Freihandel, zur liberalen Demokratie mit Freiheitsrechten, Minderheitenschutz und Rechtsstaat. Der Status Quo ist für sie unerträglich – er muss radikal umgestürzt werden, koste es, was es wolle.
Wider die Eskalation
Charlotte Theile zeigt, dass es in der Auseinandersetzung mit Rechtspopulisten weder ideologischer Aufrüstung noch Apokalyptik bedarf – sondern zuvorderst der Grundtugenden des Qualitätsjournalismus.
Die kritische Auseinandersetzung mit Populisten verführt dazu, es ihnen gleichzutun und auf Eskalation zu setzen. Gezielt gestreuten Provokationen folgt zuverlässig die Empörung, auf verbale Entgleisungen der moralische Aufschrei. Wenn Ethnopluralisten Kleinstaaterei und Kulturchauvinismus frönen, wird von ihren Gegnern unweigerlich das Pathos der universellen Menschenrechte bemüht. Zitieren sich Rechtskonservative schneidig durch die Œuvres von Ernst Jünger oder Oswald Spengler, parieren Linksprogressive umso leidenschaftlicher mit Michel Foucault oder Chantal Mouffe. Angesichts irritierender Vermischungen im rechten wie im linken Lager – neoliberale oder dieselfahrende Grüne, sozialdemokratische Putinversteher, Hipster-Identitäre, rhetorisch versierte Neonazis, etc. –, wirken die überkommenen, komfortablen Kampfbegriffe immer öfter hilflos. „Nazi!“ schleudern die einen dem Nationalkonservativen ins Gesicht; „Linksfaschistin!“ brüllen die anderen der Linksliberalen hinterher.
Wenn es Populisten gelingt, ihre Kritiker in eine Arena mit aufgepeitschter Stimmung zu locken, haben sie schon gewonnen. Was dann gesagt, wie dann argumentiert wird, spielt eine untergeordnete Rolle. Das Medium ist die Botschaft und der Ton macht die Musik, in diesem Fall: den Marsch.
Ihr seid nicht das Volk! Europäische Ideen gegen rechtspopulistische Propaganda
Grenzkontrollen? Volksgemeinschaft? Heim ins Reich? Neeein, danke! Wir können neue Ideen von Politik, Staat und Kultur entwickeln, um Europa als solidarisches Projekt neu zu erschaffen.
Die Schnelligkeit, mit der 2016 eine böse politische Überraschung die nächste jagte, war bemerkenswert. Es wurde viel darüber diskutiert, wie man mit der Formierung einer autoritären Internationalen oder den Wahlsiegen rechtspopulistischer Parteien umgehen sollte. 2017 ist ebenfalls ein bedeutendes Wahljahr, in dem rechte Parteien in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland die Möglichkeit haben große Erfolge heimzufahren.
Gibt es liberale oder linke Visionen, Bewegungen oder Parteien, die jenen Wählern eine glaubhafte Alternative bieten können, die mit dem Status Quo unzufrieden sind? Oder haben sich die liberalen Demokratien müde gelaufen und haben nur noch Figuren wie Angela Merkel, Hillary Clinton, David Cameron, François Hollande oder Mariano Rajoy anzubieten, die emblematisch für ein „business as usual“ stehen und deren größte Versprechungen sind, dass es kommenden Generationen vielleicht und unter günstigen Umständen nur etwas schlechter gehen wird als ihren Eltern?
Wie lässt sich eine Alternative zu unserer Gegenwart denken, die Menschen begeistern kann und nicht auf Angst und Ausgrenzung aufgebaut ist? Wie lässt sich also – um zwei Ausdrücke Ernst Blochs aufzugreifen – mit „militantem Optimismus“ eine „konkrete Utopie“ entwerfen? Dies sind wohlgemerkt offene Fragen, über die wir uns jedoch unterhalten sollten. „Ihr seid nicht das Volk! Europäische Ideen gegen rechtspopulistische Propaganda“ weiterlesen
Kann man dem Populismus den Nährboden entziehen? Ja, mit Demut, Respekt und einem Perspektivwechsel
Wie wir unsere Gesellschaft spalten
Von Martin Schulz ist in diesen Tagen viel die Rede. Das mag daran liegen, dass er ein profilierter Europapolitiker ist und Europa in einer tiefen und anhaltenden Krise steckt. Noch mehr liegt es aber wohl daran, dass er als möglicher Kanzlerkandidat der SPD gilt. Nun sind Personalfragen in der Politik für die Medien spannender als jeder Inhalt und man kann tagelang über das Für und Wider von Personen für bestimmte öffentliche Ämter debattieren, was absolut legitim ist. Was aber in den vergangenen Tagen von zwei prominenten Journalisten über die Personalie Schulz geschrieben wurde, zeigt auf besonders eindringliche und auch erschreckende Art und Weise ein Kernproblem unserer Zeit auf, das mit dem grassierenden Populismus in unmittelbarem Zusammenhang steht. Martin Schulz, der seit 22 Jahren im Europaparlament sitzt, der als Parlamentspräsident diese Institution in nie dagewesener Weise politisch gestärkt hat, der Bürgermeister war, der seit Jahrzehnten eine zentrale Rolle innerhalb der deutschen Sozialdemokratie spielt – diesem erfahrenen und natürlich nicht unumstrittenen Politiker wird die Fähigkeit zur Kanzlerschaft abgesprochen mit der Begründung, er verfüge weder über ein Abitur noch über einen Hochschulabschluss.
Man kann einem Politiker und einem Menschen aus vielerlei Gründen die Befähigung für politische Ämter absprechen, ihn als ungeeignet betrachten oder ihn schlichtweg unsympathisch finden und entsprechend mit ihm und über ihn streiten. Aber als Begründung allen Ernstes den formalen Bildungsabschluss zu nennen, ist eine Arroganz, aufgrund derer man sich in diesen Tagen nicht über das vielzitierte Elitenbashing wundern muss. Wenn sich immer mehr Menschen offen gegen das System, gegen Parteien und Politiker oder gegen unsere Wirtschaftsordnung stellen, dann reicht es nicht, diese Menschen als dumm oder durchweg antidemokratisch und rassistisch zu bezeichnen. Zum einen verstärkt man diese Menschen damit in ihrer Haltung. Zum anderen gilt es die Haltung dieser Menschen zu verstehen, um sie letzten Endes wieder von unserer freiheitlichen, offenen und demokratischen Gesellschaft zu überzeugen. „Kann man dem Populismus den Nährboden entziehen? Ja, mit Demut, Respekt und einem Perspektivwechsel“ weiterlesen
Warum Donald Trump wählen?
Wenn in einem Monat in den USA gewählt wird, haben die Nordamerikaner einen anderthalb Jahre währenden Wahlkampf hinter sich gebracht. Aufgedreht durch die Deregulierung von politischen Großspenden und abgedreht durch die Polarisierung der beiden großen Parteien, ist es eine Herausforderung, die wirklich wichtigen Töne im Wahlkampf zu hören.
Besonders aus europäischer Perspektive ist amerikanische Politik meistens irritierend vertraut und doch unverständlich – schon Barack Obama wäre in Deutschland nach einer Umfrage mit 77 Prozent gewählt worden. In Amerika dagegen gab es ein richtiges Rennen, obwohl die potentielle Vize-Kandidatin der Republikaner Sarah Palin hieß. Dass die Stichwahl zwischen dem ehemaligen Reality-TV-Tycoon Trump und der erfahrenen ehemaligen Außenministerin Clinton nicht ganz eindeutig für Letztere ausfällt, ist aus unserer europäischen Perspektive schwer nachvollziehbar.
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Rechtes Denken, linkes Denken
Wenn man heutzutage jemanden so richtig beleidigen möchte, genügt es schon, ihn als politisch rechts zu bezeichnen. Schon ‘konservativ’ reicht aus. Denn das sagte ich meiner Begleitung nachts auf dem Nachhauseweg in einem Berliner Taxi. Das fand sie gar nicht gut, auch wenn es neutral festgestellt, wenn auch zugegeben nicht mehr ganz nüchtern vorgetragen wurde.
Erlogene Wahrheiten und wahre Lügen. Verschwörungstheoristen und die Realität der Massenmedien
Warum Realität fluider wird, Verschwörungsphantasien ein regressiver Reflex auf moderne Massenmedien sein könnten und kritische Vernunft erkenntnisfördernd wirkt.
Wenn die Welt von Marx für ihn aussah wie eine unglaubliche Ansammlung von Waren – diesen Dingern „voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken“ – wie würde sich Marx dann heute in der Welt zurechtfinden? Das „Informationszeitalter“ hat gelernt, eine ganz eigene Produktionsweise von Waren in Form von Meinungsofferten zu entwickeln, die sich augenscheinlich sehr differenziert hat. Diese Waren werden nicht mehr primär auf ökonomischen Märkten gehandelt, sondern auf hoch frequentierten und hoch frequenten Märkten für Öffentlichkeiten. Meinungen, Neuigkeiten, Nachrichten kursieren als Produkte dieser Märkte und werden bewertet und konsumiert. Auch hier, ganz wie auf den ökonomischen Märkten, herrscht Überfülle: ein riesiges Spektrum an Meinungsbedürfnissen kann/könnte befriedigt werden. Die Medienlandschaft will und muss sich, um das leisten zu können, organisieren – gesellschaftlich und eben nicht persönlich organisieren wie manche „Lügenpresse!“-Schreihälse es sich scheinbar nur vorstellen können. Es gibt keine Leitinstanz, kein Kartell, keine Oberhoheit, das die Medien steuern oder auch nur überblicken könnte. Massenmedien steuern sich selbstreferenziell. Und dies ist eine unglaublich unwahrscheinliche und bewahrenswerte Kostbarkeit.
Zur rechten Zeit am rechten Ort – Die AfD im deutschen Parteiensystem (Teil 2)
Nachdem ich zuletzt die Alternative für Deutschland politisch verortet und als rechtspopulistisch eingestuft hatte, ist es jetzt an der Zeit, die Grundlagen ihres Erfolges zu erläutern und ihre zukünftigen Gewinnchancen auszuloten. Damals, als die Flüchtlingsfrage noch nicht das medienbeherrschende Thema war, hatte ich im Kontext ihrer Spaltung den Untergang der AfD prophezeit. Mittlerweile steht sie in Umfragen bei relativ stabilen sechs Prozent, zuletzt sogar bei acht Prozent. Habe ich mich also zu weit aus dem Fenster gelehnt? Bevor ich aber meine Vorhersage auf den Prüfstand stelle, möchte ich zunächst eine Erklärung für den Aufstieg der AfD anbieten.
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Der lange Weg nach Rechts: Die AfD im deutschen Parteiensystem (Teil 1)
Die AfD hat sich zurück in die öffentliche Diskussion gekämpft. Mit der Wahl der Landesvorsitzenden Sachsens Frauke Petry zur neuen Parteichefin und dem darauf folgenden Austritt zahlreicher Parteimitglieder, darunter Parteigründer und bisheriger Vorsitzender Bernd Lucke, ist die Partei wieder in die Schlagzeilen geraten. Der Parteitag der AfD am vergangenen Wochenende war mit Spannung erwartet worden und ist dadurch umso mehr zum Richtungsentscheid geworden. Der lange schwelende Streit zwischen Wirtschaftsliberalen und Wertkonservativen über die Ausrichtung der Partei scheint nun zugunsten Letzterer entschieden zu sein. Was bedeutet das aber für die politische Positionierung der AfD? Inwiefern ändert es die AfD? In diesem Artikel möchte ich einen kurzen Überblick über die Entwicklung der AfD im deutschen Parteiensystem geben, um in einem kommenden Artikel ihre bisherige Erfolgsgeschichte erklären und ihren künftigen Untergang prophezeien zu können.
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